Wenn der Seemann mit der Biene tanzt und die Nonne mit dem Cowboy, ist in Köln Karneval. Seit am vergangenen Donnerstag um 11.11 Uhr der Straßenkarneval mit der Weiberfastnacht in die heiße Phase startete, sind bis Aschermittwoch die Gesänge der Jecken in den Straßen und Kneipen zu hören, ihre Kehlen gut geölt von Abertausenden Litern Kölsch – fünf Prozent des Jahresumsatzes machen einzelne Hersteller des hellen, obergärigen Bieres an diesen sechs Tagen.
Lokales Oligopol mit kölschem Lebensgefühl
Am großen Durst an den tollen Tagen allein liegt es jedoch nicht, dass die großen Kölner Traditionsbrauereien es geschafft haben, sich von zwei Entwicklungen auf dem deutschen Biermarkt abzukoppeln: erstens der Übermacht von Brauerei-Riesen wie der belgischen AB Inbev. Und zweitens dem nachlassenden Bierdurst, der bei vielen Brauereien die Gewinne zusammenfallen lässt wie den Schaum eines Kölsch, das drei Minuten auf dem Tresen steht.
Um ihre Unabhängigkeit zu bewahren und gegen den Trend zu wachsen, haben die drei größten Anbieter Reissdorf, Gaffel und Früh einen speziell Kölner Weg gefunden. Der besteht aus einem Schutzgesetz, dass den Kölsch-Brauern eine Art lokales Oligopol sichert, einer geschickten Markenpolitik, die ans kölsche Lebensgefühl appelliert, sowie einer erfolgreichen Hochpreisstrategie; Letztere allerdings wird zurzeit vom Bundeskartellamt überprüft.
Werben um die Bierfreunde
Seit Jahren schwindet der Bierdurst der Deutschen. Vergangenes Jahr genehmigten sie sich 98,2 Millionen Hektoliter, rund elf Prozent weniger als noch 2000. Damit war 2011 das schlechteste Jahr für die Brauer seit der Wiedervereinigung. Zugleich steigen die Produktionskosten wegen höherer Rohstoff- und Energiepreise.
Um die verbliebenen Bierfreunde für sich zu gewinnen, tobt besonders unter Pils-Anbietern wie Krombacher und Bitburger ein Preiskampf: Zwei Drittel aller Bierkästen in diesem Segment, so die Marktforscher der GfK, wurden 2011 zu einem Aktionspreis von rund zehn Euro verkauft. Normal kosten die Kästen mehr als zwölf Euro. Bei diesen Preisen können viele mittelgroße Spieler nicht mithalten: Seit 1994 sind mehr als 40 Prozent der Brauer mit einer Jahresproduktion zwischen 50 000 und einer Million Hektolitern pleitegegangen oder übernommen worden.
Der Kölsch-Markt scheint entspannt zu sein
Dies ist an den Kölnern nicht spurlos vorbeigegangen. Doch „der Kölsch-Markt nimmt weniger ab als der Gesamtmarkt“, sagt Heinrich Philipp Becker, der gemeinsam mit seinem Vater Heinrich die Privatbrauerei Gaffel führt. Ob das stimmt, wissen nur Eingeweihte, da der Kölner Brauerei Verband keine Zahlen über den Kölsch-Absatz herausgeben will. Schätzungen von Branchenkennern zufolge soll der Kölsch-Markt von 2010 auf 2011 sogar um über sechs Prozent gestiegen sein.
Ohne Sorgen in die Zukunft
Der Konferenzraum, in dem Becker sitzt, verströmt holzschwere Bodenständigkeit, in einer Ecke ist eine Bar. Die Gaffel-Zentrale ist in einem Backsteinhaus untergebracht, direkt hinter der Brauerei am Eigelstein 41 zu Köln. Seit 700 Jahren wird hier Bier gebraut, seit 1908 unter dem Namen Gaffel, 2011 waren es 440 000 Hektoliter.
Zukunftssorgen, sagt Becker und schaut auf das Glas Fassbrause in seiner Hand, habe er derzeit keine. Gaffel habe ihren Absatz 2011 um vier Prozent gesteigert und rund 52 Millionen Euro umgesetzt. Dazu beigetragen hat ein Absatzplus von zehn Prozent bei der Fassbrause, einer Mischung aus Limonade und alkoholfreiem Bier. Gaffels Neuauflage des Berliner Klassikers ist so erfolgreich, dass Brauereien wie Bitburger und Warsteiner jetzt mit einer eigenen Fassbrause nachziehen.
Reissdorf: Marktführer bei Kölsch
Ähnlich entspannt gibt sich die Privatbrauerei Reissdorf: 635 000 Hektoliter Bier haben 2011 die Brauerei Richtung Kunde verlassen, knapp ein Prozent mehr als 2010. Damit ist Reissdorf Marktführer bei Kölsch, obwohl sie im Vergleich zu anderen Brauereien kaum Werbung machen. Der geschäftsführende Gesellschafter Michael von Rieff ist sich der Marktstärke seines eher milden Kölsch so sicher, dass er „keinen Grund für neue Marketingstrategien und Produkte“ sieht. Es sei jedoch hilfreich, räumt er ein, „dass Verbraucher mehr und mehr ein regionales Markenbewusstsein entwickeln“. Neuere Zahlen mag von Rieff nicht nennen, aber die letzte veröffentlichte Bilanz der 1894 gegründeten Brauerei wies für 2010 ein Gewinnplus von zwölf Prozent auf gut drei Millionen Euro aus.
Kölsch-Konvention: Kölsch muss aus Köln kommen
Auch die dritte im Bunde, die Cölner Hofbräu P. Josef Früh von 1904, ist mit dem Geschäft zufrieden. Geschätzt sechs Meter hoch und hundert Meter lang, stapeln sich ihre roten Bierkästen auf dem Brauereigelände am Kölner Stadtrand. Mit 380 000 Hektolitern Kölsch haben sie 2011 zwei Prozent mehr Bier abgesetzt als 2010. Zu ihrem Erfolg trägt ein Schutzgesetz bei, dass Kölsch eine extra Portion Lokalkolorit verleiht: Die von den Brauern vereinbarte Kölsch-Konvention legt seit 1986 mit Segen des Kartellamts im Prinzip fest, dass Bier nur Kölsch heißen darf, wenn es aus Köln kommt. Seit 1997 genießt Kölsch zudem eine geschützte EU-Herkunftsbezeichnung wie Champagner oder Cognac.
Das Bundeskartellamt prüft Klüngel-Vorwürfe
Dies verhindert, dass neue Konkurrenzmarken ortsfremder Konzerne aus den Zapfhähnen der Altstadt laufen. Ganz draußen halten ließen sich die Brauriesen jedoch nicht: Radeberger, Tochter der Oetker-Gruppe und größter deutscher Getränkekonzern, übernahm 2004 die Kölner Verbund Brauereien und hat mit Gilden, Sion, Küppers, Peters und Sester fünf der elf größeren Brauereien der Stadt im Portfolio.
Kölner kaufen teures Bier
Angst vor dem Bierriesen hat das Kölsch-Dreigestirn dennoch nicht, im Gegenteil: „Unser Zuwachs an Marktanteilen geht auch zulasten von Radeberger“, sagt Gaffel-Chef Becker. Der Konzern versucht mit auffälligen Flaschenformen oder günstigeren Preise dagegenzuhalten. Die drei Marktführer verkaufen ihr Bier mit fast 14 Euro pro Kasten deutlich teurer als der Wettbewerber, der zum Teil gerade mal rund zehn Euro verlangt. Dennoch greifen die meisten Kölner zum teureren Kasten: Reissdorf, Gaffel und Früh machen rund 60 Prozent des Kölsch-Marktes unter sich aus – Tendenz steigend, so die Brauereien.
Hohe Strafen für Brauereien
Früh-Marketingchef Dirk Heisterkamp erklärt das Phänomen so: „Die Konzerne haben größere finanzielle Möglichkeiten als wir regionalen Brauer, aber die Kölner haben eine besondere Verbindung zu ihrem Bier.“ Kölner seien sehr loyal, bestätigt Becker. Soll heißen: Wer etwas auf sich hält, trinkt eine der angesehenen Marken wie Früh, Reissdorf, Gaffel oder Zunft und Päffgen – auch wenn die mehr kosten.
Ob einige Brauer ihre Popularität gesetzwidrig ausnutzen, untersuchen derzeit die Beamten des Bundeskartellamts. Ein Kronzeuge hatte sich Ende 2011 bei den Bonnern gemeldet. Er wirft fünf Kölsch-Brauereien, darunter Früh und Gaffel, vor, ihre Preise jahrelang abgesprochen zu haben. Anfang Dezember fanden „Durchsuchungen wegen des Verdachts auf Preisabsprachen für Kölsch (...), sowie auf den gegenseitigen Austausch sensibler Unternehmensdaten“ statt, so das Amt. Seitdem laufen Ermittlungen. Die Verdächtigten weisen die Vorwürfe zurück – sie seien schlicht „abstrus und in der Sache wenig bedacht“, sagt Früh-Manager Heisterkamp. Selbst wenn Früh von Preisplänen anderer wüsste, würde man seine Strategie nicht ändern. Ist an den Klüngel-Vorwürfen dennoch etwas dran, drohen Strafen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Bei Früh wären das rund fünf Millionen Euro.
Gaffel-Kölsch: das beste Sommerbier
Bis die Wettbewerbshüter ihre Ermittlungen abschließen, werden Monate vergehen. Derweil feiern die Kölsch-Brauer erst einmal närrische und feuchtfröhliche Tage. „Karneval ist kostenloses Marketing für Kölsch“, sagt Gaffel-Brauer Becker. Feierfreudige Touristen kämen reichlich in Kontakt mit dem Bier. „Bisher verkaufen wir noch 95 Prozent im Regierungsbezirk Köln“, sagt er. Aber das „außerkölsche“ Interesse steige merklich.
2011 wählte Eric Asimov, Gastro-Kritiker der „New York Times“, Gaffel-Kölsch zum besten Sommerbier.
Aber auch in anderen Regionen Deutschlands werde Kölsch immer populärer, sagt Marketing-Mann Heisterkamp: Früh wirbt etwa in Frankfurt und München sowie mit besonders liebevollem Gruß in der Altbierstadt Düsseldorf: „Früh-Kölsch – bevor es Alt wird.“