Chronik des Scheiterns Die endlose Karstadt-Seifenoper

2009 rauschte Karstadt in die erste Pleite. Nun ist der Traditionskonzern wieder ein Sanierungsfall. Warum der Neuanfang misslang und wer dabei welche Rolle spielte.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Karstadt: Ein Wirtschaftsdrama, das in all seinen Facetten mühelos jeder Vorabend-Soap Konkurrenz machen könnte. Quelle: dpa (4), imago, bloomberg - Montage: Marcel Stahn für WirtschaftsWoche Online

2009 legte die Warenhauskette die größte Pleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte hin. Fünf Jahre später ist das Handelshaus wieder ein Sanierungsfall und steht vor tiefen Einschnitten. Die vermeintlichen Retter entpuppten sich als Blender, frühere Konzerngranden verspielten Ruf und Vermögen. Wie konnte es so weit kommen? Rekonstruktion eines aufhaltsamen Abstiegs.

Karstadts Krisen-Chronik

Juni 2009 bis August 2010: Nahtoderfahrungen

Essen, 8. Juni 2009: Applaus brandet auf, als Karl-Gerhard Eick auf die rote Klappleiter steigt. Hunderte Karstadt-Mitarbeiter, die sich im Halbkreis um das Tor vor der Hauptverwaltung des Konzerns versammelt haben, schauen auf ihren übermüdeten Chef. Das Jackett hat er abgelegt, die Krawatte gelöst.

Eick klatscht kurz mit, als wolle er sich selbst anfeuern, greift dann zum Megafon. „Wir kämpfen bis zur letzten Minute“, ruft er den Leuten zu, die trotzig ihre Plakate schwenken. „Es geht um 56 000 Arbeitsplätze“, steht darauf und „Das Warenhaus lebt“. Es ist das letzte Aufbäumen. Am Abend entscheidet die Bundesregierung, dass es keine Staatshilfen für den Konzern geben wird: Die größte Pleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte beginnt.

Wohl niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, welche Wucht der Arcandor-Crash entfalten wird. Der Absturz wird Tausende Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze kosten, Gerichte und Staatsanwaltschaften über Jahre hinweg beschäftigen. Vor allem aber wird damals das Fundament für eine Neuauflage des Karstadt-Niedergangs gelegt.

Die Hauptdarsteller in der Kaufhaus-Soap
Karl-Gerhard Eick Quelle: dpa
Nicolas Berggruen Quelle: dpa
Andrew Jennings Quelle: dpa
René Benko Quelle: dpa

Ein Wirtschaftsdrama nimmt seinen Lauf, das in all seinen Facetten mühelos jeder Vorabend-Soap Konkurrenz machen könnte: Da verarmt eine milliardenschwere Erbin, da entpuppt sich der vermeintliche Retter des Konzerns als windiger Blender, ein ehemaliger Vorstandschef wird von seinen Gläubigern über die Dächer gejagt.

Ein ebenso glamouröser wie geheimnisvoller Investor betritt die Bühne. Was er mit Karstadt vorhat – ob er den Laden fusionieren, filetieren oder sanieren will –, wird sich bei einer Aufsichtsratssitzung an diesem Donnerstag entscheiden. Es geht um Pleite oder Rettung, Scheitern oder Leuchten – wie so oft bei Karstadt.

Nach dem Insolvenzantrag im Sommer 2009 herrscht auf den Fluren der Essener Konzernzentrale eine Mischung aus Angst und Aufbruchstimmung. Eick und der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter Klaus-Hubert Görg wollen den Konzern als Ganzes retten. Doch dafür müssen die Großaktionäre – Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz und das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim – noch einmal Geld ins Unternehmen investieren.

Die Komparsen in der Kaufhaus-Soap um Karstadt

Köln, 11. Juni 2009: Matthias Graf von Krockow hastet in den Sitzungssaal des Bankhauses Sal. Oppenheim. Er kommt 20 Minuten zu spät zur Sitzung des Aktionärsausschusses. Als der bullige Sal.-Oppenheim-Frontmann seine Entschuldigung vorbringt, beginnen selbst die unbedarfteren Teilnehmer der Runde zu ahnen, wie es nach der Arcandor-Pleite um die Bank steht: Die Finanzaufsicht BaFin macht Druck. Am nächsten Tag soll von Krockow bei der BaFin zum Rapport antreten und sich zu den Arcandor-Risiken äußern, vor allem zu den Darlehen der Bank an Arcandor-Aktionärin Schickedanz.

Dass die Quelle-Erbin die Kredite je zurückzahlen kann, glaubt wohl keiner der Anwesenden. Sie habe „wahnsinnig viel“ verloren, barmt Schickedanz in einem Interview wenige Wochen nach der Krisensitzung der Bankiers. Sie lebe jetzt von 600 Euro im Monat und bestelle beim Italiener um die Ecke allenfalls mal eine Pizza.

Dass Sal. Oppenheim die eigenen Probleme in den Griff bekommt, geschweige denn in der Lage ist, Geld in die Rettung von Arcandor zu pumpen, wird immer unwahrscheinlicher. Der insolvente Konzern bricht auseinander, und Vorstandschef Eick wird nicht mehr gebraucht.

Die größten Baustellen von Karstadt
Der neue Karstadt-Eigentümer René Benko übernimmt ein Unternehmen in der Krise. Die Karstadt-Warenhäuser schreiben rote Zahlen und kämpfen mit sinkenden Umsätzen. Ein Teil der Probleme ist auf den Strukturwandel im deutschen Einzelhandel zurückzuführen. Andere Schwierigkeiten sind hausgemacht. Welche Herausforderungen erwarten den Immobilieninvestor. Quelle: dpa
Übermächtige KonkurrenzDie Warenhäuser in Deutschland haben in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt massiv an Marktanteilen verloren. Denn Konkurrenten wie H&M, Zara und zuletzt Primark haben sich mit preiswerten, schnell wechselnden Kollektionen einen immer größeren Teil des Einkaufsbudgets der Verbraucher gesichert. Außerdem geht der Siegeszug der Einkaufszentren zulasten der Warenhäuser. „Alles unter einem Dach“ gibt es dort in der Regel in weitaus größerer Auswahl als in den Warenhäusern. Quelle: dpa
Schwaches Online-GeschäftDer Online-Handel ist zurzeit der mit Abstand größte Wachstumsträger im Einzelhandel. Doch auch hier kann Karstadt bislang mit der Konkurrenz nicht mithalten. Im Gegenteil: Während die meisten Online-Anbieter im vergangenen Weihnachtsgeschäft zweistellige Zuwachsraten verzeichneten, schrumpften die Verkäufe des Essener Unternehmens über das Internet. Quelle: dpa
Unklare MarkenpositionierungDer bis Ende 2013 amtierende Karstadt-Chef Andrew Jennings versuchte Karstadt mit der Brechstange ein jugendlicheres Image zu verpassen. Er wollte den Konzern stärker auf Mode ausrichten, setzte auf neue trendige Marken und gab ganze Sortimentsbereiche wie etwa Elektronik auf. Das verschreckte die ältere Stammkundschaft. Doch neue Zielgruppen wurden dennoch nicht im erhofften Umfang erreicht. Quelle: dpa
Verunsicherte MitarbeiterDie Unsicherheit der vergangenen Jahre und der schleichende Personalabbau in den Filialen ist an den Karstadt-Mitarbeitern nicht spurlos vorübergegangen. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert vor allem den bisherigen Eigentümer Nicolas Berggruen: „Die Beschäftigten sind von diesem angeblich sozialen Investor Berggruen bitter getäuscht worden“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Wenn Benko die Karstadt-Mitarbeiter auf einem harten Sanierungskurs mitnehmen will, muss er das Vertrauen der Beschäftigten zurückgewinnen. Quelle: dpa
Großer InvestitionsstauDie meisten Handelsexperten sind sich einig, dass bei Karstadt in den letzten Jahren viel zu wenig investiert wurde. Heinemann schätzt den Investitionsstau sogar auf mindestens 1,5 Milliarden Euro. Soviel Geld wäre nach seiner Auffassung nötig, um das Unternehmen zukunftsfähig auszurichten - im stationären, wie im Internethandel. Quelle: ZB

Fürth, 20. Oktober 2009: Ein knorriger alter Herr mit korrekt gebundener Krawatte und dunklem Anzug betritt das Kasino der Quelle-Hauptverwaltung. Insolvenzverwalter Görg ist gekommen, um das Ende des Versandhauses zu verkünden. „Das ist eine besonders schlimme Art der Pleite“, sagt Görg. 7000 Menschen verlieren ihre Arbeit. Zuvor war auch der letzte Kaufkandidat abgesprungen, das Aus der Wirtschaftswunder-Ikone mit ihren bibeldicken Konsumwälzern ist damit besiegelt.

Gut eine Woche später endet auch in Köln eine Ära: Eine Bank geht in die Knie. Nach 220 Jahren verliert Sal. Oppenheim die Unabhängigkeit und wird zu einem Anhängsel der Deutschen Bank.

Eine Milliarde Euro investieren die Frankfurter in die vage Hoffnung, künftig im Geschäft mit Deutschlands Superreichen zu reüssieren. Nebenbei übernehmen sie milliardenschwere Risiken. Im Hintergrund arbeiten Anwälte bereits an Klageschriften, die Sprengstoff bergen.

September 2010 bis Oktober 2011: Der Neustart

Essen, 23. April 2010: Ein Schicksalstag für Karstadt: Die Frist für die Abgabe eines Kaufangebotes läuft ab. Nach dem Quelle-Desaster hat Insolvenzverwalter Görg alle Kräfte auf die Rettung von Karstadt konzentriert und 13 Häuser geschlossen. Doch für die Übernahme der verbleibenden 120 Warenhäuser hat sich bis jetzt kein Investor gefunden. Sieht wirklich niemand mehr eine Chance für die Marke?

Erst wenige Stunden vor Ablauf der Frist erhält Görg ein Angebot. Die deutsch-skandinavische Beteiligungsgesellschaft Triton will die Kette übernehmen, fordert von den beiden wichtigsten Machtpolen im insolventen Konzern aber Zugeständnisse: Bis zu 5000 Jobs sollen wegfallen, weitere Häuser geschlossen und die Mieten der verbleibenden Standorte gesenkt werden. Den Vertretern der Gewerkschaft Verdi und des Vermieterkonsortiums Highstreet geht das zu weit. Wenig später legen die Vermieter ein eigenes Angebot vor. Zudem taucht ein neuer Name im Verkaufsprozess auf: Nicolas Berggruen.

Der verlangt zwar ebenfalls, dass Highstreet die Mieten senkt, von den Mitarbeitern fordert er aber keine weiteren Zugeständnisse. Ein kluger Schachzug, mit dem sich Berggruen Sympathien bei Gewerkschaften und Politik sichert. Den Rest erledigt eine gekonnt inszenierte PR-Strategie, die den Finanzinvestor und Sohn des Kunstsammlers Heinz Berggruen als Milliardär mit Herz inszeniert, der mangels festen Wohnsitzes in seinem Gulfstream-Privatjet um den Globus düst, um Unternehmen vor dem Untergang zu retten.

Im Vergleich zur Lichtgestalt Berggruen wirkt sein Gegenspieler Alexander Dibelius wie eine Art Darth Vader des Kapitalismus: Als Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs kämpft er aufseiten des Immobilienkonsortiums Highstreet. Über Monate feilschen die Rivalen um Vertragsdetails. Immer wieder stehen die Verhandlungen vor dem Scheitern. Am Ende setzt sich Berggruen durch.

Die Anatomie der Arcandor-Krise: wie die Konzernchefs Walter Deuss, Wolfgang Urban und Thomas Middelhoff den früheren KarstadtQuelle-Konzern ruiniert haben. Ein Lehrstück über Missmanagement, Interessenkonflikte und...
von Henryk Hielscher

Berlin, 3. September 2010: Als Nicolas Berggruen die sechste Etage des Karstadt-Hauses am Kurfürstendamm in Berlin betritt, springen wartende Mitarbeiter auf, Verkäuferinnen fallen sich in die Arme. „Herzlich willkommen“ steht auf einem Transparent. Aus dem hauseigenen Restaurant wird ein Rollwagen mit Sektgläsern herangeschoben.

Der Investor – Dreitagebart, lässig aufgeknöpftes weißes Hemd und Sonnenbrille in der Hand – bedankt sich artig: „Ich bin irrsinnig glücklich, dass ich dabei bin.“ Von einem „Tag der Freude“ spricht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die zusammen mit Insolvenzverwalter Görg und der stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Margret Mönig-Raane, vor Ort ist.

Kurz zuvor hat das Essener Amtsgericht die Übernahme durch Berggruen abgesegnet. Karstadt wechselt zum symbolischen Preis von einem Euro den Besitzer. Für die Namens- und Markenrechte zahlt Berggruen zusätzlich fünf Millionen Euro. Ein Angebot wie aus dem Sommerschlussverkauf. Das Risiko für den Investor ist minimal.

Mitarbeiter und Gewerkschafter, Politik und Presse feiern ihn trotzdem als Retter der Warenhaus-Ikone. Jeder noch so kleine Aufschwung im Geschäft gilt fortan als Berggruen-Effekt. Fragen, wie er den maroden Laden wieder auf Kurs bringen will, lächelt er weg.

Bielefeld, 7. Oktober 2010: Die Villa liegt inmitten eines parkähnlichen Areals. Ein kleiner Bach schlängelt sich durch das Gelände. Doch die Besucher, die an diesem Vormittag das Anwesen von Thomas Middelhoff betreten, habe keine Muße, die landschaftlichen Reize zu genießen. Sie sollen Unterlagen des früheren Arcandor-Chefs sicherstellen.

Die Razzia ist Teil eines Untreue-Verfahrens gegen Middelhoff. Dabei interessieren sich die Ermittler vor allem für Boni- und Abfindungszahlungen in Millionenhöhe, die Middelhoff erhalten hat. Zudem sammeln sie Belege über seine vielen Dienstreisen im teuer angemieteten Privatjet. Die Verdächtigungen seien absurd, sagen Middelhoffs Anwälte dazu.

Die Ermittlungen sind indes nicht das einzige Problem des Managers. Insolvenzverwalter Görg fordert Schadensersatz von dem Mann, dem er attestiert, „selbst den Staub in den Ecken des Unternehmens noch zu Liquidität gemacht“ zu haben. Auf 175 Millionen Euro Schadensersatz hat er Middelhoff und weitere Ex-Manager des Konzerns wegen umstrittener Immobiliengeschäfte verklagt.

Essen, Dezember 2010: Andrew wer? Selbst Experten sind verblüfft, als sie den Namen des neuen Karstadt-Chefs hören. Der Brite Andrew Jennings soll die Führung übernehmen. Groß gewachsen, sonnengebräunt und durchtrainiert, ist der 62-Jährige eine vitale Erscheinung – und bringt Erfahrung mit. Zuletzt war Jennings bei der Kauhaus-Kette Woolworth in Südafrika im Einsatz. „The Hurricane“ nannten sie ihn dort, galt er doch als Mann, der wie ein Wirbelwind durch den Laden fegte – eigentlich gute Voraussetzungen für den Job bei Karstadt. Doch Jennings kennt weder den deutschen Markt, noch spricht er die Sprache seiner Mitarbeiter.

Für Berggruen ist das kein Problem: „Jennings hat alle Voraussetzungen für den Job, selbst wenn er nicht Deutsch spricht.“ Zudem stellt der Eigentümer „mehrere Hundert Millionen Euro“ in Aussicht, um die veralteten Kaufhäuser auf das Niveau des Konkurrenten Kaufhof zu hieven.

Das Geld will er aus dem laufenden Geschäft abzwacken. „Und falls wir mehr brauchen sollten, dann brauchen wir eben mehr.“ Auf die Frage, ob die zusätzlichen Mittel dann von ihm kämen, antwortet Berggruen: „Klar, woher sonst?“

Essen, 8. Juli 2011: Der Andrang ist groß, die Erwartungen sind riesig. Rund 1000 Karstadt-Beschäftigte strömen in die Kantine ihrer Hauptverwaltung. Ein halbes Jahr nach Amtsantritt will Vorstandschef Jennings seinen Masterplan „Karstadt 2015“ verkünden.

Der Brite wünscht zunächst einen „Guten Morgen“, um dann auf Englisch fortzufahren: Kundenfreundlicher müsse Karstadt werden. Die Zahl der Modemarken soll erweitert, die Elektroabteilungen dafür verkleinert und das Online-Geschäft ausgebaut werden. Als Jennings nach rund einer Stunde endet, gibt es in der Kantine höflichen Applaus, mehr nicht. Der angekündigte Orkan hat sich als laues Lüftchen erwiesen.

November 2011 bis Februar 2014: Die Rückkehr der Krise

Düsseldorf, 17. November 2011: René Benko rauscht durch das Shoppingcenter Sevens auf der Düsseldorfer Königsallee. In der Rechten ein Glas Wein, grüßt er hier, plaudert dort und bestaunt nebenher die bunte Bühnenshow, mit der an diesem Abend die Wiedereröffnung der Passage gefeiert wird. Seinem Immobilienunternehmen Signa gehört das Haus. Trotzdem verabschiedet sich der Gastgeber schon um kurz nach 21 Uhr: Benko hat Wichtigeres vor in Düsseldorf. Er will den Karstadt-Konkurrenten Kaufhof kaufen und versucht das Management des Mutterkonzerns Metro auf seine Seite zu ziehen.

Und er will seinen Rivalen ausstechen: Auch Berggruen hat Interesse an Kaufhof. Doch der Plan des Karstadt-Eigners, „die beiden großen deutschen Warenhausketten unter einem Dach“ zu vereinen, liefe auf den Abbau Tausender Jobs hinaus. Die Schlagzeilen will sich bei Metro niemand antun. Schnell steuert der Verkauf daher auf den 34-jährigen Österreicher zu. Er wolle investieren und expandieren, statt Kaufhof-Filialen zu schließen, versichert Benko.

Am Ende scheitert der Kaufhof-Verkauf jedoch am Veto des neuen Metro-Chefs Olaf Koch. Der zweifelt daran, dass Benko den Kaufpreis von gut zwei Milliarden Euro stemmen kann. Für den Österreicher hat der Einsatz dennoch Folgen: Er knüpft Kontakt zu Berggruen.

Köln, 23. Mai 2012: Quelle-Erbin Schickedanz will ihr Geld zurück. Vor dem Oberlandesgericht Köln reicht sie eine Schadensersatzklage über rekordverdächtige 1,9 Milliarden Euro ein. Die Summe fordert sie vor allem von Sal. Oppenheim und dem Troisdorfer Immobilienunternehmer Josef Esch, ihrem früheren Vermögensberater. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die einst reichste Frau Deutschlands im Spiel um Karstadt nur eine Strohfrau der Bankiers war. Madeleine als Marionette?

Folgt das Gericht ihrer Version, wären wohl alle Darlehen, die sie für den Kauf von Arcandor-Aktien aufnahm, Makulatur. Die Anwälte von Sal. Oppenheim und Esch widersprechen denn auch energisch, zumal sich auch die Staatsanwaltschaft Köln für den komplexen Fall interessiert und in mehreren Verfahren dem Beinahe-Zusammenbruch von Sal. Oppenheim nachspürt.

Die Schickedanz-Klage ist nicht der einzige Streit, den die neue Sal.-Oppenheim-Spitze ausfechten muss. Prominente Kunden wie Maxdata-Gründer Holger Lampatz und Mitglieder der Schuhdynastie Deichmann ziehen vor Gericht. Sie fordern Geld zurück, das sie in Immobilienfonds gesteckt hatten, die von Oppenheim und Esch aufgelegt wurden.

Auch Thomas und Cornelie Middelhoff haben groß investiert, pikanterweise auch in Oppenheim-Esch-Fonds, denen Karstadt-Häuser gehören. Mehr als 100 Millionen Euro haben sich die Middelhoffs dafür bei der Bank geborgt. Als sie Zins- und Tilgungszahlungen für ihre Darlehen aussetzen, reagieren die Banker wie bei Häuslebauern, die ihre Kreditraten nicht pünktlich abstottern: Sie frieren die Konten der Middelhoffs ein. Der Zugriff auf rund 23 Millionen Euro Festgeld wird dem Bielefelder Power-Paar versperrt.

Essen, 16. Juli 2012: „AJ’s Coffee Updates“ sind ein festes Ritual bei Karstadt. Einmal im Monat trommelt Kaufhauschef Jennings die Mitarbeiter der Zentrale im Foyer zusammen, um sie bei einem Kaffee über die neuesten Entwicklungen des Geschäfts zu informieren. Diesmal serviert er den Mitarbeitern eine Hiobsbotschaft: 2000 der rund 18 000 Vollzeitstellen fallen weg. Das Wetter habe nicht mitgespielt, Strukturen und Prozesse müssten angepasst werden, begründet er den Stellenabbau. Im Klartext: Die Krise ist zurück.

Jennings Strategie, das Sortiment um hippe Modemarken zu erweitern, zündet nicht, der Umbau der Filialen stockt. „Statt Personalabbau muss dringend mehr Geld in die Modernisierung der Filialen, die Sortimentsstruktur und in Beschäftigte investiert werden“, fordert Verdi, „hier ist auch der Eigentümer in der Pflicht.“ Knapp zwei Jahre nach der gefeierten Übernahme ist Berggruen in den Niederungen des deutschen Handelsgeschäfts angekommen. Berichte, er wolle die Sporthäuser und die Premiumhäuser des Unternehmens mit dem Flaggschiff KaDeWe verkaufen, dementiert er. Er denke nicht an Verkäufe, Karstadt bereite ihm „sehr große Freude“.

Berlin, 22. Dezember 2012: Kurz vor dem Weihnachtsfest geht Immobilienkönig Benko auf Einkaufstour. Vom bisherigen Karstadt-Vermieter Highstreet übernimmt er das KaDeWe und 16 weitere Karstadt-Immobilien für 1,1 Milliarden Euro.

Als Co-Finanzier ist der israelische Diamantenmilliardär Beny Steinmetz mit von der Partie. Auch sonst blitzt und blinkt es im Umfeld von Benkos Immobilienkonzern Signa. Der griechische Reeder und Kunstsammler George Economou und der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zählen zu den Investoren, Österreichs Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ziert den Signa-Beirat. Beobachter rätseln, was der Österreicher vorhat. Denn beim zentralen Mieter der Häuser laufen die Geschäfte nach wie vor schlecht. Spätestens als Karstadt-Chef Jennings dem Unternehmen im Mai eine „Tarifpause“ verordnet und wenig später ankündigt, das Unternehmen zum Jahresende zu verlassen, ist klar, wie ernst die Lage bei Karstadt ist. Die Umsätze erodieren in ähnlichem Tempo wie die Glaubwürdigkeit des Eigentümers.

Essen, 16. September 2013: Allen früheren Treueschwüren zum Trotz verkauft Berggruen die Mehrheit am operativen Geschäft der Sport- und Premiumhäuser an Benko. Geld bekommt er nicht, dafür verspricht Benko, 300 Millionen Euro zu investieren. Die Beschäftigten sind alarmiert. Daran ändert auch ein Brief von Berggruen nichts. „Niemand muss sich Sorgen machen“, schreibt er darin an seine „lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Die klassischen Warenhäuser „bleiben vollständig im Besitz von Berggruen Holdings“. Schließlich „sehe ich mich hier in einer besonderen Verantwortung“, er sei sich „absolut sicher: Gemeinsam schaffen wir es“.

März 2014 bis heute: Das Endspiel beginnt

Köln, 13. März 2014: „Die Zeugin Schickedanz bitte auf Saal 210“, schallt es über den Gerichtsflur. Wenig später betritt eine zierliche Frau mit brauner Tasche und grauem Kostüm den Verhandlungsraum im Kölner Landgericht. „Geboren am 20. Oktober 1943“, „Beruf Hausfrau“, beginnt Schickedanz mit zittriger Stimme ihre Aussage im Strafprozess um den Niedergang von Sal. Oppenheim.

Angeklagt sind ihr ehemaliger Vermögensberater Esch sowie Graf Krockow und drei weitere frühere Top-Banker. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Untreue beziehungsweise Beihilfe dazu vor, was die Angeklagten bestreiten. Schickedanz soll als Zeugin Licht ins Dunkel des Falls bringen und Details zu jenem mysteriösen Kredit beisteuern, mit dem sie einst ihr Arcandor-Engagement aufstockte.

Doch die Quelle-Erbin tut sich schwer. „Das kann ich nicht beschwören“, „den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht“, „das sollten Sie besser meinen Mann fragen“, lauten ihre Standardantworten.

So verdient Benko sein Geld

Es entsteht das Bild einer in Geschäftsdingen überforderten Frau, die Papiere blanko unterschrieb und den Beratern in ihrer Umgebung blind vertraute. Doch wie glaubhaft ist ihre Darstellung? Auch für Schickedanz steht viel auf dem Spiel, und als naives Opfer hat sie weitaus bessere Chancen, mit ihrer parallel laufenden Milliardenklage gegen die Bank zu punkten denn als toughe Businesslady.

Wie ein Gegenentwurf zur verschüchterten Hausfrau aus Fürth tritt Thomas Middelhoff vor Gericht auf. Ein siegesgewisses Lächeln umspielt die Lippen, während er – wie im Untreue-Prozess vor dem Essener Landgericht – den Ausführungen seines Anwalts lauscht: Flüge im Privatjet? Das sei keine Geldverschwendung, sondern berufliche Notwendigkeit gewesen, erklärt der Jurist. Und das Pendeln per Hubschrauber vom Familienquartier in Bielefeld nach Essen? Absolut sinnvoll, eine Baustelle am Kamener Kreuz hätte den Konzernchef sonst stundenlang aufgehalten.

von Jacqueline Goebel, Henryk Hielscher

Essen, 7. Juli 2014: Schon wieder ein Abgang bei Karstadt: Eva-Lotta Sjöstedt schmeißt hin. Kaum fünf Monate hat es Jennings Nachfolgerin an der Spitze des Konzerns ausgehalten, bevor sie feststellt, „dass die Voraussetzungen für den von mir angestrebten Weg nicht mehr gegeben sind“.

Danach geht es Schlag auf Schlag: Im österreichischen Magazin „Format“ bestätigt Signa-Chef Benko, „dass wir zu Hilfe gerufen wurden, um Berggruen als Gesellschafter abzulösen.“ Das Gefeilsche um die Vertragsdetails zieht sich bis Mitte August hin, dann steht fest, dass die Ära Berggruen Geschichte ist.

Für den symbolischen Preis von einem Euro wechselt Karstadt den Besitzer. Finanziell hat sich das Karstadt-Manöver für Berggruen trotzdem gelohnt. Allein für die Nutzung der Namensrechte hat seine Holding jährlich Millionenbeträge vom Unternehmen kassiert. Die versprochenen Investitionen sind nie geflossen.

Nun soll Benko retten, was zu retten ist. Unklar bleibt, was ihn zu dem Schritt treibt. Fürchtet er um den Wert seiner Immobilien, sollte Karstadt erneut in eine Insolvenz taumeln, oder wittert er ein gutes Geschäft? Selbst Karstadt-Veteran Middelhoff schaltet sich in die Spekulationen ein.

Er gehe davon aus, dass Karstadt jetzt Standorte schließen werde und es später zu der lange diskutierten Fusion mit Kaufhof kommen dürfte. Benko sei ein Immobilieninvestor, „er interessiert sich vor allem für die Grundstücke“, sagt Middelhoff.

Dabei hat der frühere Arcandor-Chef eigentlich ganz andere Sorgen. Seine Gläubiger jagen ihn, lassen selbst seine Piaget-Uhr pfänden. Sein ehemaliger Geschäftspartner Roland Berger zwingt ihn zum Offenbarungseid. Um bei dem Termin nicht fotografiert zu werden, türmt Middelhoff hollywoodreif: „Ich bin wie die Katze übers Dach“, berichtete er später nicht ohne Stolz. „Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.“

Ganz genau weiß wohl niemand, wessen finanzielle Situation brenzliger ist: die von Middelhoff oder die seines früheren Unternehmens.

Essen, 11. September 2014: Die Bilder erinnern an das große Warenhausfinale vor fünf Jahren. Wieder warten vor den Karstadt-Standorten Kamerateams und Übertragungswagen, wieder bangen die Mitarbeiter einer Entscheidung entgegen. Als der Aufsichtsrat zur ersten Sitzung unter dem neuen Eigentümer zusammentritt, stimmt Aufsichtsratschef Stephan Fanderl, der neue starke Mann bei Karstadt, die Runde auf eine Radikalsanierung ein. Was bleibt ihm auch übrig: Wenn die Geschäfte weiterlaufen wie bisher, sind die finanziellen Mittel des Unternehmens spätestens im März 2016 aufgebraucht.

In einem ersten Schritt soll Karstadt über 200 Millionen Euro einsparen, mittelfristig noch viel mehr. Stellenstreichungen scheinen damit unausweichlich. Im Raum steht auch die Aufgabe von bis zu 30 der 83 Warenhäuser. Das Problem dabei: Schließungen außerhalb einer Insolvenz seien extrem teuer, sagt Otto Christian Lindemann, Sanierungsexperte der Unternehmensberatung Ebner Stolz.

Acht Stunden debattieren die Aufsichtsräte hinter verschlossenen Türen über das Rettungskonzept, bevor sie sich vertagen. Erst am 23. Oktober wollen sie konkrete Entscheidungen treffen.

Essen, 19. Oktober 2014: Nur wenige Tage vor der entscheidenden Sitzung des Kontrollgremiums machen neue Schreckens-Zahlen die Runde. Ein Viertel aller Karstadt-Häuser steht vor der Schließung, heißt es in Medienberichten. 23 der 83 Warenhausfilialen seien bedroht, weil sie kaum noch eine Perspektive hätten.

Am gleichen Tag wird ein möglicher Sjöstedt-Nachfolger bekannt. Neuer Karstadt-Chef soll offenbar der Aufsichtsratsvorsitzende Stephan Fanderl werden. Der Handelsexperte und ehemalige Rewe-Manager will sich offenbar am Donnerstag in der Sitzung zur Wahl stellen, um den Sanierungskurs voranzutreiben. Dann geht die Endlos-Soap um Karstadt in die nächste Runde. Grablegung oder Wiederauferstehung? Der Titel der nächsten Staffel steht noch nicht fest.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%