2009 legte die Warenhauskette die größte Pleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte hin. Fünf Jahre später ist das Handelshaus wieder ein Sanierungsfall und steht vor tiefen Einschnitten. Die vermeintlichen Retter entpuppten sich als Blender, frühere Konzerngranden verspielten Ruf und Vermögen. Wie konnte es so weit kommen? Rekonstruktion eines aufhaltsamen Abstiegs.
Karstadts Krisen-Chronik
Mit seinem früheren Mutterkonzern Arcandor war Karstadt 2009 in die Insolvenz gerutscht. Im Juni 2010 stieg Investor Nicolas Berggruen ein. Von seinem Einspringen wurde die Wende erhofft. Die Chronik der Krise.
Für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften - darunter die Karstadt Warenhaus GmbH - wird am 1. September 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Am 1. Dezember wird bekannt, dass zehn Karstadt-Standorte mit teils mehreren Häusern nach Angaben der Insolvenzverwaltung geschlossen werden sollen. Etwa 1200 Mitarbeiter sind betroffen.
Beim Essener Amtsgericht wird am 15. März ein Insolvenzplan vorgelegt. Am 12. April stimmen die Gläubiger dem Plan zu. Am 1. Juni haben von bundesweit 94 Kommunen bis auf drei bereits alle einem Verzicht auf die Gewerbesteuer zugestimmt. Die im Insolvenzplan geforderte Zustimmungsquote von 98 Prozent gilt damit als sicher. Nur sechs Tage später erhält die Berggruen Holding vom Gläubigerausschuss den Zuschlag zur Übernahme. Einen Tag später unterschreibt Berggruen den Kaufvertrag unter Vorbehalt. Berggruen fordert vom Karstadt-Standortvermieter Highstreet deutliche Mietsenkungen. Am 14. Juni endet eine erste Verhandlungsrunde zu den künftigen Mieten ohne Ergebnis. Am 20. Juni lehnt Berggruen ein Angebot von Highstreet über Mietsenkungen von mehr als 400 Millionen Euro ab.
Am 26. August hat sich Berggruen mit der Essener Valovis-Bank geeinigt: Die Bank hatte Highstreet ein Darlehen über 850 Millionen Euro gewährt und dafür im Gegenzug 53 Waren-, Sport- und Parkhäuser als Sicherheit erhalten. Man habe sich unter anderem darauf verständigt, dass Berggruen dieses Darlehen bis 2014 ablösen könne, heißt es. Am 2. September stimmen die Highstreet-Gläubiger den geforderten Mietsenkungen zu.
Am 30. September hebt das Essener Amtsgericht das Insolvenzverfahren auf. Damit erhält Berggruen zum 1. Oktober die Schlüsselgewalt für die Karstadt Warenhaus GmbH. 40.000 Gläubiger verzichten auf zwei Milliarden Euro. Die Belegschaft verzichtet auf 150 Millionen Euro.
23. November: Der frühere Woolworth-Manager Andrew Jennings wird zum neuen Karstadt-Chef bestellt. Er beginnt Anfang Januar 2011.
Jennings legt am 6. Juli das Konzept „Karstadt 2015“ vor: Modernisierung der Warenhäuser, stärkeres Online-Geschäft und Expansion der Sporthäuser sind der Kern.
Am 16. Juli kündigt Karstadt die Streichung von 2000 Stellen an.
Karstadt kündigt am 13. April 2013 eine „Tarifpause“ für die Beschäftigten an. Am 9. Juni bestätigt das Unternehmen, dass der Vertrag von Karstadt-Chef Jennings zum Jahresende ausläuft.
Im Februar kommt Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt nach Essen und übernimmt den Geschäftsführerposten. Am 7. Juli legt Sjösted nach nur fünf Monaten alle Ämter nieder. Als Grund dafür nennt sie, dass die „Voraussetzungen“ für den von ihr angestrebten Weg nicht mehr gegeben seien.
Der Österreicher René Benko kauft Karstadt im August für nur einen Euro. Der bisherige Eigentümer Nicolas Berggruen zieht sich komplett zurück. Die Sanierungsaufgaben bleiben gewaltig.
Juni 2009 bis August 2010: Nahtoderfahrungen
Essen, 8. Juni 2009: Applaus brandet auf, als Karl-Gerhard Eick auf die rote Klappleiter steigt. Hunderte Karstadt-Mitarbeiter, die sich im Halbkreis um das Tor vor der Hauptverwaltung des Konzerns versammelt haben, schauen auf ihren übermüdeten Chef. Das Jackett hat er abgelegt, die Krawatte gelöst.
Eick klatscht kurz mit, als wolle er sich selbst anfeuern, greift dann zum Megafon. „Wir kämpfen bis zur letzten Minute“, ruft er den Leuten zu, die trotzig ihre Plakate schwenken. „Es geht um 56 000 Arbeitsplätze“, steht darauf und „Das Warenhaus lebt“. Es ist das letzte Aufbäumen. Am Abend entscheidet die Bundesregierung, dass es keine Staatshilfen für den Konzern geben wird: Die größte Pleite der deutschen Wirtschaftsgeschichte beginnt.
Wohl niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, welche Wucht der Arcandor-Crash entfalten wird. Der Absturz wird Tausende Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze kosten, Gerichte und Staatsanwaltschaften über Jahre hinweg beschäftigen. Vor allem aber wird damals das Fundament für eine Neuauflage des Karstadt-Niedergangs gelegt.
Ein Wirtschaftsdrama nimmt seinen Lauf, das in all seinen Facetten mühelos jeder Vorabend-Soap Konkurrenz machen könnte: Da verarmt eine milliardenschwere Erbin, da entpuppt sich der vermeintliche Retter des Konzerns als windiger Blender, ein ehemaliger Vorstandschef wird von seinen Gläubigern über die Dächer gejagt.
Ein ebenso glamouröser wie geheimnisvoller Investor betritt die Bühne. Was er mit Karstadt vorhat – ob er den Laden fusionieren, filetieren oder sanieren will –, wird sich bei einer Aufsichtsratssitzung an diesem Donnerstag entscheiden. Es geht um Pleite oder Rettung, Scheitern oder Leuchten – wie so oft bei Karstadt.
Nach dem Insolvenzantrag im Sommer 2009 herrscht auf den Fluren der Essener Konzernzentrale eine Mischung aus Angst und Aufbruchstimmung. Eick und der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter Klaus-Hubert Görg wollen den Konzern als Ganzes retten. Doch dafür müssen die Großaktionäre – Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz und das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim – noch einmal Geld ins Unternehmen investieren.
Die Komparsen in der Kaufhaus-Soap um Karstadt
Durch die Fusion des ererbten Quelle-Versands mit Karstadt wird Schickedanz größte Aktionärin des Konzerns. Nach und nach stockt sie ihre Anteile auf – vor allem mit Millionenkrediten von Sal. Oppenheim.
Der Troisdorfer Immobilienentwickler Esch wird Vermögensberater von Schickedanz.
Der frühere Bertelsmann-Chef Middelhoff wird zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Karstadt-Quelle-Konzerns und entert wenig später den Chefposten. Auch er nutzt die Dienste von Esch.
Die Kredite an Schickedanz werden für Sal.-Oppenheim-Chef von Krockow zum Problem.
Der Kölner Insolvenzverwalter Görg übernimmt das Kommando in Essen und findet einen Konzern vor, in dem selbst der „Staub aus den Ecken“ noch zu Geld gemacht worden sei. Die Rettung von Quelle scheitert, Karstadt wird verkauft.
Karstadt-Chefin Sjöstedt räumt ihren Posten. „Ich will lange hierbleiben“, hatte sie zum Einstand versprochen. Fünf Monate später war sie wieder weg.
Köln, 11. Juni 2009: Matthias Graf von Krockow hastet in den Sitzungssaal des Bankhauses Sal. Oppenheim. Er kommt 20 Minuten zu spät zur Sitzung des Aktionärsausschusses. Als der bullige Sal.-Oppenheim-Frontmann seine Entschuldigung vorbringt, beginnen selbst die unbedarfteren Teilnehmer der Runde zu ahnen, wie es nach der Arcandor-Pleite um die Bank steht: Die Finanzaufsicht BaFin macht Druck. Am nächsten Tag soll von Krockow bei der BaFin zum Rapport antreten und sich zu den Arcandor-Risiken äußern, vor allem zu den Darlehen der Bank an Arcandor-Aktionärin Schickedanz.
Dass die Quelle-Erbin die Kredite je zurückzahlen kann, glaubt wohl keiner der Anwesenden. Sie habe „wahnsinnig viel“ verloren, barmt Schickedanz in einem Interview wenige Wochen nach der Krisensitzung der Bankiers. Sie lebe jetzt von 600 Euro im Monat und bestelle beim Italiener um die Ecke allenfalls mal eine Pizza.
Dass Sal. Oppenheim die eigenen Probleme in den Griff bekommt, geschweige denn in der Lage ist, Geld in die Rettung von Arcandor zu pumpen, wird immer unwahrscheinlicher. Der insolvente Konzern bricht auseinander, und Vorstandschef Eick wird nicht mehr gebraucht.
Fürth, 20. Oktober 2009: Ein knorriger alter Herr mit korrekt gebundener Krawatte und dunklem Anzug betritt das Kasino der Quelle-Hauptverwaltung. Insolvenzverwalter Görg ist gekommen, um das Ende des Versandhauses zu verkünden. „Das ist eine besonders schlimme Art der Pleite“, sagt Görg. 7000 Menschen verlieren ihre Arbeit. Zuvor war auch der letzte Kaufkandidat abgesprungen, das Aus der Wirtschaftswunder-Ikone mit ihren bibeldicken Konsumwälzern ist damit besiegelt.
Gut eine Woche später endet auch in Köln eine Ära: Eine Bank geht in die Knie. Nach 220 Jahren verliert Sal. Oppenheim die Unabhängigkeit und wird zu einem Anhängsel der Deutschen Bank.
Eine Milliarde Euro investieren die Frankfurter in die vage Hoffnung, künftig im Geschäft mit Deutschlands Superreichen zu reüssieren. Nebenbei übernehmen sie milliardenschwere Risiken. Im Hintergrund arbeiten Anwälte bereits an Klageschriften, die Sprengstoff bergen.