Concept Stores "Es ist wichtig, dass Überfluss inszeniert wird"

Concept Stores wie das Berliner Bikinihaus aber auch kleinere Läden sind en vogue. Warum Menschen dort gerne kaufen, obwohl unklar ist, was es dort gibt, erklärt der Soziologe Kai-Uwe Hellmann.

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Die 10 beliebtesten Luxusgüter der Welt
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WirtschaftsWoche: Herr Hellmann, viele Menschen bezeichnen Shoppen als ihr Hobby. Concept Stores haben kein klar definiertes Angebot. Warum geht man da hinein?
Kai-Uwe Hellmann: Ist den Konsumenten wirklich unklar, was ihnen dort geboten wird? Sicher sind Concept Stores mitnichten jedermanns Sache, ebenso wenig wie Luxuswarenhäuser und Flagshipstores einzelner Marken. Aber die Vertriebskanäle sind längst mit einer Vielzahl von Erwartungen belegt. Ich gehe davon aus, dass darüber beinahe jeder Bescheid weiß. Eine gewisse Unübersichtlichkeit wirkt ja zunächst nur so. Sie werden, wie auch bei Shopping Malls, von einem hochgradig strategischen Konzept gesteuert. Dahinter steckt eine Kalkulation von Stilähnlichkeiten vom Luxusgeschäft bis zum Discounter. Ein Concept Store ist wohl kaum erfolgreich zu führen, wenn man solche Wahlverwandtschaften nicht wahrnimmt und geschickt arrangiert. Und jene Menschen, die diese Stores aufsuchen, wissen im Voraus, was sie erwartet – wenn auch diffus. Womöglich ist genau dies aber sogar hilfreich.

Wieso das?
Die Konsumenten, die dort hingehen, werden von einem bestimmten Erwartungsbündel geführt. Dieses erfüllt sich, weil es nicht sehr konkret strukturiert ist. Wie bei guten Filmen, die eine Mehrdeutigkeit aufweisen und verschiedenste Erwartungen erfüllen können, stellt bei Concept Stores das enorm heterogene Programm ein riesiges Potential dafür dar, um die Besucher und Kunden zu höchst unterschiedlichen Wahrnehmungen und Beobachtungen zu verleiten. Es ist also keineswegs ein Mangel, wenn die Geschäfte kein einheitliches Programm bieten, sondern eher eine Stärke. Offenheit, die einlädt, unterschiedliche Wünsche und Ideen zu bedienen.

Zur Person

Eint denn die Concept Stores etwas?
Die Vielfalt. Es ist wichtig, dass Überfluss inszeniert wird. Es ist wichtig, dass man mit Komplexität geradezu überschüttet wird, dass man überwältigt wird von der Unübersichtlichkeit der Möglichkeiten. Es muss deswegen eine Mindestschwelle an Komplexität erreicht werden, um Konsumgesellschaft ästhetisch angemessen zu repräsentieren. Jeder einzelne Shop überfordert ja schon. Er lässt sich mit seinen vielfältigen Produktangeboten längst nicht mehr durchschauen, wie dies etwa beim Gründungskonzept von Aldi der Fall schien. Da fanden die Kunden eine überschaubare Anzahl von Grundlebensmitteln.

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Und die Kunden sind nicht überfordert?
Es ist doch so, dass wir Menschen in den vergangenen Jahrzehnten einen Sinn dafür entwickeln mussten, von immer mehr Komplexität, Innovation, Veränderung auszugehen. Mehr oder weniger gehen wir davon aus, dass es fast egal ist, was wir tun, weil es auch anders sein könnte. Das ist unsere Basissozialisation, mit der wir aufwachsen. Concept Stores bedienen diese Erwartungshaltung geradezu idealtypisch, also das, was die moderne Gesellschaft generell bedeutet. Im Konsumbereich kann der Mensch besser als irgendwo sonst die Erfahrung machen, was unsere Gesellschaft in Gänze bedeutet. Ob wir Politik, Recht, Wirtschaft oder Medizin betrachten: Immer geht es ja um ein Übermaß an Komplexität. Wir sind total überfordert, über irgendwas exakt Bescheid wissen zu können. Nur dass sich diese Überforderungserfahrung beim Konsum fast ins positive Gegenteil neigt, weil er Überfluss und Verschwendung symbolisiert.

Übersichtlichkeit ist nicht nötig

Die Kunden sind also dort eigentlich in einer Rolle, die Komplexität der heutigen Gesellschaft in Concept Stores komprimiert zu erleben?
Menschen, die dort hinein gehen – ob mit Absicht oder eher zufällig, wenn man da so reinstolpert – tendenziell ja. Wir sind alle so konditioniert, dass wir mit solchen ästhetischen Wahrnehmungsmustern mehr oder weniger kompetent etwas anfangen können. Wenn Sie in Berlin das erste Mal ins Bikinihaus gehen, dann wissen Sie nicht so genau, was Sie erwartet. Aber Sie finden dort unvermittelt eine spezifische Atmosphäre vor, der man sich nur schwer entziehen kann. Dies ist mehr als völlige Unklarheit, aber auch nicht so geartet, das alles gleich transparent wirkt, wie es in einem Elektrofachmarkt der Fall ist.

Klingt doch aber eher anstrengend?
Diese Übersichtlichkeit ist aber auch gar nicht nötig. Vielmehr wirkt es entlastend, nicht gleich klar zu wissen, was passiert. Es ist eher eine Art Zerstreuung, Entspannung und Ablenkung, die gewünscht wird. Sie hat einen hohen Freizeitcharakter.

Die beliebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands
Trotz Online-Boom gehen die Deutschen immer noch gern klassisch auf Einkaufsstraßen shoppen. Das zeigt die alljährliche Passantenfrequenz-Zählung von JLL. Am Zähltag (Samstag, 14. April 2018) besuchten zwischen 13 und 16 Uhr insgesamt 718.880 Passanten die Shoppingmeilen, das sind nur etwa 4000 weniger als 2017 und fast 240.000 Menschen pro Stunde. Kann die Frankfurter Zeil ihren Titel als beliebteste Einkaufsstraße 2017 verteidigen? Quelle: dpa
Rang 10: Schadowstraße, DüsseldorfDie Düsseldorfer Schadowstraße hat sich wieder gefangen. Nachdem sie 2017 einen deutlichen Frequenzrückgang zu beklagen hatte, verbesserte sie sich in diesem Jahr um 665 auf 9130 Besucher pro Stunde. Im Bild die Eröffnung des C&A-Flagship-Stores. Quelle: obs
Rang 9: Königstraße, StuttgartDie Königstraße legt noch deutlicher zu: Stuttgarts meistfrequentierte Einkaufsstraße steigert sich um 1690 auf 9.145 Passanten pro Stunde. Quelle: dpa
Rang 8: Hohe Straße, KölnDie Kölner Hohe Straße lockt pro Stunde 9.435 Einkäufer an,, zu Spitzenzeiten waren es mal 12.795. Damit ist sie nur auf dem zweiten Platz unter den Kölner Top-Shopping-Lagen. Quelle: dpa
Rang 7: Flinger Straße, DüsseldorfDie Flinger Straße in Düsseldorf ist dagegen etwas abgerutscht: Nach dem dritten Platz 2017 reiht sie sich in diesem Jahr weiter hinten ein. 9670 Passanten wollten hier stündlich einkaufen. Quelle: dpa
Rang 6: Westenhellweg, DortmundDortmunds Westenhellweg war 2013 noch absoluter Spitzenreiter mit 12.950 Passanten, stürzte bis 2017 aber auf den neunten Rang ab. Nun reicht es wieder für den sechsten: Mit 10.180 Einkäufern pro Stunde nähert die Ruhgebiets-Shoppingmeile dem Trubel alter Tage wieder an.
Rang 5: Georgstraße, HannoverDie Georgstraße in Hannover, lockte 2015 noch 10.430 Menschen pro Stunde, damals ergab das Rang Vier. Nach einigen schwächeren Jahren hat sie ihren alten Wert nun sogar übertroffen: 10.985 Shoppende pro Stunde. Trotzdem reicht es damit in diesem Jahr nur noch für Platz Fünf. Quelle: dpa

Shoppen als Erholung, nicht als Erledigung?
Mit Niklas Luhmann könnte man in diesem Zusammenhang von Kontingenz sprechen. Wir hier leben in einer Welt, in der sich auf Grund der Säkularisierung die Verantwortung für nahezu sämtliche Ereignisse in der Welt nicht mehr einer externen Instanz zurechnen läßt. Für die stark Gläubigen wohl schon, für die meisten anderen von uns aber wohl eher nicht. Damit fällt die Verantwortung für alle diese Ereignisse auf uns zurück. Wir Menschen richten die Welt zu, wir richten sie zugrunde. Alle Zurechnungs- und Verantwortungsschleifen, die wir drehen, beginnen und enden inzwischen bei uns. Alles, was ist, könnte auch anders sein, weil wir es so entschieden haben und damit auch anders entscheiden könnten. Das bedeutet die Erfahrung von Kontingenz, und ist zunächst ziemlich anstrengend und belastend.

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Rang 10: Porsche Quelle: REUTERS
Walter Knoll Quelle: PR
Rang 8: Dedon Quelle: gms
Bechstein-Flügel Quelle: C. Bechstein
Model und BMW i8 Quelle: REUTERS

Ziemlich viel Verantwortung.
Egal, was wir tun: Im Prinzip kann man sich nur sehr mühsam von dieser Verantwortung für sich selbst frei sprechen. Das ist immer problematisch, da man im Einzelfall nachweisen muss, weshalb man keinerlei Verantwortung hatte für dies oder jenes, und das ist längst nicht mehr so einfach. Inzwischen gilt dies sogar für den Konsum. Der Druck, fortlaufend verantwortlich zu sein für das, was unser Konsum mit der Welt macht, ist fast zu hoch geworden. Uns Konsumenten wird inzwishen ja fast schon die Verantwortung für das Überleben der Welt als solcher aufgehalst, etwa für die Abholzung der Urwälder, die Verschmutzung der Meere und so weiter. Der Diskurs der vergangenen 10 bis 15 Jahre ist dahingegangen: Wir Konsumenten haben es letztlich in der Hand. Das ist aber viel zu viel Verantwortung für den Einzelnen. Das ist kaum zu realisieren. Vor diesem Hintergrund ist die Chance für den je Einzelnen, dieser Verantwortung mal zu entgehen, umso verlockender. Und vor diesem Hintergrund ist die Zeit, die man in solchen Geschäften verbringt, enorm entlastend, weil einem dort vordergründig keinerlei Verantwortung zugerechnet wird, da gar nicht klar ist, worum es im Detail geht. Es ist Freizeit, es ist Konsum, ohne sich permanent fragen zu müssen, wofür ich schon wieder Verantwortung übernehmen muss.

Concept Stores ähneln religiösen Bauten

Viele dieser Geschäfte sind vor allem eines: Extrem geschmackvoll und aufwändig eingerichtet. Woher kommt das?
Ein Kapitel in meinem Buch „Fetische des Konsums“ setzt sich mit einer umstrittenen These auseinander, die Ende der 80er Jahre von maßgeblichen Konsumforschern aus den USA aufgestellt wurde. Sie lautet, dass der moderne Konsum die Eigenschaft hat, sakral, das heißt übergeordnet, transzendierend, auf- und erhebend zu wirken.

Bieten Concept Stores in ihrer Inszenierung Elemente, wie sie sich in religiösen Gebäuden finden ließen?
Es gibt einen wunderbaren Beitrag des Künstler Hermann Ehmer, der schon 1971 anhand einer Doornkaat-Werbung aufzeigte, wie die typischen architektonischen Elemente einer Kathedrale in einer Anzeige nachempfunden wurden. In der Anzeigenmitte steht die Flasche, und die Ähnlichkeiten sind frappierend. In diesem Sinne des Abkupferns könnte man für viele Flagship und Concept Stores davon sprechen, dass sie mit diesen Elementen spielen, wie wir sie aus den Hochreligionen kennen: monumentale Bauten, die unvermittelt Eindruck schinden und Ehrfurcht auslösen. Ich würde jedoch bestreiten, dass es sich bei diesen Inszenierungen tatsächlich um genuin sakrale Elemente handelt. Es sind bloß Anleihen. Der Konsum selbst vermag in meinen Augen mangels einer starken Ideologie (Theologie) die Erwartungen an eine Religion nicht erfüllen. Insofern reagiere ich immer sehr skeptisch, wenn diese Verbindung zu weit getrieben wird.

In diesen Städten ist der Luxus zu Hause
Schöne Prachtbauten im Grünen: Stuttgart Quelle: Dahler & Company Immobilien
Villa mit Pool Quelle: Dahler & Company Immobilien
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Luxus-Apartment in Frankfurt Quelle: Dahler & Company Immobilien
Premium-Wohnen in Hamburg Quelle: Dahler & Company Immobilien
Hamburger Immobilienmarkt Quelle: Dahler & Company Immobilien
Wohnen mit Blick auf die Außenalster Quelle: Dahler & Company Immobilien

Auch wenn es nur Anleihen sind – was versprechen sich die Marken und Händler, die ihre Shops so inszenieren, davon? Zumal die Kirchen hierzulande ja über Mitgliedsschwund klagen.
Ja, traditionelle, konfessionsgebundene Religion hat erkennbar an Einfluss verloren. Was aber weiterhin und in einer vervielfältigten Form außerhalb von Religion gilt, ist die Wirkung von Ästhetik, die Wirkung von monumentaler Architektur. Der Mensch ist, ob mit oder ohne Ideologie, durch große und aufwändig gestaltete Architektur leicht zu beeinflussen. Die Materialität lässt sich gewissermaßen vom ideologischen Hintergrund entkoppeln. Insofern sind Kathedralen wie der Kölner Dom oder Notre Dame ungeachtet ihres kulturellen Backgrounds noch immer in der Lage, Eindruck zu schinden, sensationell zu wirken, Ehrfurcht zu erzeugen. Auf dieser Effektbasis sind auch viele Concept Stores und große Shopping Malls konzipiert worden. Dies ist ein Effekt, der vielseitig einzusetzen ist. Wobei die katholische Kirche auf Grund ihrer langen Geschichte hierfür eine Art Vorbildfunktion erhalten hat. Durch Religionen wurden einige der bedeutendsten Gebäude der Menschheit errichtet, so auch die Pyramiden: gleichfalls ein religiöser, zugleich aber auch dynastischer Hintergrund, das hing ja früher oft zusammen. Derartige imposante Gebäude aus religiös-herrschaftlichem Zusammenhang haben unverkennbar eine Vorbildfunktion für andere Verwendung ähnlicher Ästhetik zugewiesen bekommen, und das teilt sich in einer höchst verkleinerten Form selbst in Concept Stores mit.

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