Der neue Nestlé-Chef Wie ein deutscher Pharmamanager den Konzern aufmischen soll

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Die Risiken und Nebenwirkungen

Tatsächlich liegen im Geschäft mit therapeutischen Lebensmitteln Chancen. Die Berater von Boston Consulting schätzen, dass 2020 damit weltweit rund 550 Milliarden Dollar umgesetzt werden – mit Gewinnmargen jenseits von 30 Prozent. Nestlé schafft mit seinen Kalorienbomben derzeit gerade mal 15 Prozent vom Umsatz.

Aber es gibt auch Risiken und Nebenwirkungen. Ähnlich wie in der Pharmaindustrie dauert die Entwicklung neuer Produkte viele Jahre. Und auch hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung bringen nicht immer marktfähige Produkte hervor. Der französische Wettbewerber Danone sowie Pharmaunternehmen wie Abbott und Sanofi entwickeln ebenfalls medizinische Nahrungsmittel, haben aber auch noch nichts, was für die Masse taugt.

Mit zwei Milliarden Euro Umsatz ist die 2011 auf Initiative von Brabeck gegründete Sparte Health Science heute noch überschaubar. Damit sich das ändert, gibt Nestlé jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Euro für Zukäufe aus. Bevorzugt wandert Geld in Biotech- und Pharmafirmen, zuletzt etwa in Seres Therapeutics in den USA, die an einem Wirkstoff gegen Verdauungskrankheiten arbeiten.

Wie kann es sein, dass ein Brötchen hier 13 und dort 30 Cent kostet? Und welchem der beiden gehört die Zukunft? Eine Erkundungsreise entlang zweier Produktionsketten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
von Konrad Fischer, Katharina Matheis

Schneiders gesammelte Fresenius-Expertise bei Energie- und Aufbaugetränken für Patienten sowie den Tücken von Verschreibungspflichten und der Marktzulassung pharmazeutischer Produkte dürfte sicher hilfreich sein. Allein, ein einzelner Mann reicht nicht aus, um das Mammutprojekt „Strategieschwenk“ zu stemmen. Das erkannte auch Verwaltungsratschef Brabeck: „Uns fehlen ein paar richtig gute Leute.“

Um neue Leute, neue Ideen und neue Produkte zu bekommen, darf Schneider weiter zukaufen. Rund zehn Milliarden Euro Umsatz im Jahr hofft Nestlé mit Gesundheitsprodukten eines Tages einzuspielen.

Während seiner Zeit bei Fresenius hat Schneider fünf Unternehmen mit einem Umsatz von jeweils mehr als einer Milliarde Euro übernommen – alle Übernahmen gelten als erfolgreich. Stets machte Schneider dabei klar, wer der neue Herr im Haus ist, hatte schnell einen Maßnahmenplan zur Hand und setzte klare Renditeziele. Von vornherein achtete er als Fresenius-Chef darauf, dass die Unternehmen auch kulturell zueinander passen. Er verzichtete auf einen großen Beraterstab; die Verhandlungen führte er im Wesentlichen zusammen mit seinem Finanzvorstand.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Bevor er bei Nestlé im großen Stil zukauft, muss Schneider die eigene Truppe auf Linie bringen. Vor allem altgediente Konzernmanager haben noch Schwierigkeiten, sich auf den neuen Gesundheitskurs einzulassen. „Schneider wird bei Nespresso, Maggi und Co. nicht gnadenlos zugunsten von kaum erprobter Gesundheitsnahrung kürzen können“, sagt der Manager eines Wettbewerbers. „Da stößt er auf Widerstand.“

Einige in der Branche geben darüber hinaus zu bedenken, dass Schneider bislang keine Erfahrung mit Konsumprodukten hat. Wer direkt an den Verbraucher will, muss kräftig trommeln. Das ist neu für Schneider: „Wenig schwätzen, viel liefern“, lautete sein Motto bei Fresenius. Stets präsentierte er den Medizintechniker so unauffällig wie möglich. Dass die Deutschen bei „Fresenius“ eher an das gleichnamige Institut für Lebensmittelqualität, nicht aber an seine Dialysemaschinen denken, war ihm ganz recht.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

„Wir machen bewusst keine teure Werbung und betreiben auch kein Sport- oder Kultursponsoring“, sagte er. Das brauchte er auch nicht. Die breite Masse musste sein Produkt nicht kennen, sondern nur die Leiter der regionalen Dialysezentren. Künftig aber hat er es direkt mit genau dieser breiten Masse der Konsumenten zu tun.

Diese Konsumenten muss er zunächst dazu bringen, die klassischen Nestlé-Produkte mit viel Zucker und Fett zu kaufen. Später – und hier beginnt der geistige Spagat– muss er sie davon überzeugen, noch einmal zu Nestlé-Produkten zu greifen, um die Folgen von zu viel Zucker und Fett zu bekämpfen. Ein Zyniker würde es so formulieren: Nestlé hilft seinen Kunden, die Probleme auszulöffeln, die der Konzern ihnen einst eingebrockt hat.

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