Deutsche Börse und LSE „Der Deal ist mehr tot als lebendig“

Der Brexit torpediert die Hochzeitspläne von Deutscher Börse und London Stock Exchange: London dürfte als Standort aus dem Spiel sein, die Fusion steht auf der Kippe. Nun üben sich die Beteiligten in Durchhalteparolen.

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Das Brexit-Votum gefährdet die Fusionspläne von Deutscher Börse und der London Stock Exchange. Quelle: dpa

London/Berlin Carsten Kengeter und Xavier Rolet wollen den ganz großen Wurf: Die Chefs von Deutscher Börse und London Stock Exchange möchten ihre Konzerne unter dem Dach einer britischen Holdinggesellschaft zusammenführen. Doch seit die britischen Wähler für den Austritt aus der EU votiert haben, steht auch der Milliardendeal auf der Kippe.

Nach Informationen aus Berater- und Finanzkreisen fürchten die Beteiligten, dass die Aktionäre dem bisherigen Angebot angesichts der jetzt geänderten Rahmenbedingungen nicht zustimmen werden. Es gebe eine Reihe von Bedenken, heißt es. „Der Deal ist mehr tot als lebendig“, sagt ein Insider. Ein anderer bringt es so auf den Punkt: „Es würde mich nicht wundern, wenn man die Fusionspläne angesichts des Brexits auf sich beruhen lässt.“

Zu den Bedenken gehört etwa die Frage, wo die gemeinsame Holdinggesellschaft ihren Standort haben soll. Bisher haben beide Unternehmen London vereinbart. Durch einen Brexit würde der Rechtssitz der Superbörse in Zukunft außerhalb der Europäischen Union liegen – dem aber dürften die zuständigen Aufsichtsbehörden kaum zustimmen.

Zwar bekräftigten beide Börsen am Freitag, dass sie weiter an ihren Plänen festhalten wollen. Doch der Brexit wirft dazu viele Fragen auf – auch bei der hessischen Börsenaufsicht. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir sagte, das Votum der Briten werde bei den Prüfungen des Ministeriums eine Rolle spielen, vor allem bei Fragen der Börsenaufsicht. „Und natürlich werden wir auch abwarten, ob die Pläne in dieser Form bestehen bleiben.“

Zwar gebe es grundsätzlich die Flexibilität, zwei Standorte für die Holding zu haben, London und Frankfurt, heißt es aus dem Umfeld der Börsen. Doch offenbar wächst der Widerstand der deutschen Politik, sich darauf einzulassen. Zudem sei dann wohl eine neue Offerte notwendig. „Und sobald wir eine neue Offerte machen, können auch andere Dinge, die eigentlich bisher vereinbart gewesen sind, aus den Fugen geraten“, heißt es. 

Viel Zeit für Änderungen sieht der Fahrplan für die Fusion nicht vor: Aktionäre der London Stock Exchange sollen bereits in gut einer Woche auf einer außerordentlichen Hauptversammlung über die Fusion abstimmen. Anteilseignern der Deutschen Börse bleibt Zeit bis zum 12. Juli. 

Der finanzpolitische Sprecher der SPD, Lothar Binding, plädiert angesichts des Brexits deshalb für eine Pause: „Über den Zusammenschluss der Deutschen Börse und der London Stock Exchange muss nach der Brexit-Abstimmung nochmal neu nachgedacht werden“. Die Entscheidung dürfe nicht der Hektik der Finanzmärkte folgen. „Ich plädiere für ein Moratorium, in dem nach dem Volksentscheid nochmal neu über die strategische Ausrichtung und die praktischen Folgen eines Zusammenschlusses nachgedacht wird“, sagte Binding.

„Der Brexit hat die Fusion erschwert“, sagt auch Michael Fuchs, der Vizefraktionschef der Union. „Nach meiner Auffassung sollte der Sitz der Holding in Deutschland sein. Die Fusion sei aber angesichts der Konkurrenz aus den USA „weiterhin notwendig“. 

Auch der Betriebsrat der Deutschen Börse pocht darauf, dass der Rechtssitz der fusionierten Gesellschaft nach dem Brexit-Votum „zwingend in Frankfurt am Main (…) angesiedelt werden muss“, heißt es in einer Mitteilung an die Belegschaft. Ein schlagkräftiger europäischer Börsenkonzern könne nach dem Brexit nur mit einem Sitz in Frankfurt entstehen.

Deutsche Börse und LSE haben einen Referendumsausschuss gegründet, der auch über den Rechtssitz der fusionierten Börse verhandeln soll: „Der Ausschuss erörtert und beschäftigt sich mit allen relevanten Fragen“, hatte Börsenchef Carsten-Kengeter im Gespräch mit dem Handelsblatt angekündigt. Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber hat dabei die Stichstimme.

Allerdings: Der Ausschuss kann Vorschläge erarbeiten – bindend sind seine Empfehlungen aber nicht. Ohnehin bleibt abzuwarten, ob britische Behörden dem Deal auch dann zustimmen, wenn der Hauptsitz der Holding nicht in London angesiedelt wird. Dass sich die scheidende Regierung von David Cameron mitten im Brexit-Gewitter um derlei Fragen kümmern kann, hält mancher in Frankfurt für unwahrscheinlich. Zumal diverse Großbanken bereits angekündigt haben, ihr Hauptquartier auf den Kontinent zu verlagern. Schwer vorzustellen, dass London dann auch noch die Holding der Börse aus der Hand gibt. 

Doch nicht nur die Politik könnte den Deal torpedieren – auch die Zustimmung der Aktionäre in Deutschland gilt als ungewiss. Rund 75 Prozent der Anleger müssen auf deutscher Seite zustimmen. Das galt bislang als quasi ausgemacht. Doch die Aktien der LSE gaben am Freitag kräftiger nach als die der Deutschen Börse. Die Londoner Börse verliert also an Wert. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich auch deshalb, weil die LSE ihre Nettoerlöse in Pfund ausweist – die Währung fiel am Freitag so schnell wie nie zuvor. „Damit haben sich über Nacht die Bewertungsrelationen verändert und das wird wohl auch künftig so sein, da Pfunderträge in Euro weniger wert sind“, sagt ein Banker.

Die Deutsche Börse hat zweimal erfolglos versucht, mit der London Stock Exchange zu fusionieren. Nach dem Brexit droht nun auch der dritte Anlauf zu scheitern.

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