Das Schnäppchen-Spektakel startet pünktlich um sieben Uhr morgens an einer Ausfallstraße in Heilbronn. Zwischen BMW-Autohaus und McDonald’s lädt der Discounter Lidl zur Eröffnung seiner neuesten Filiale. „Feiern Sie mit“, steht auf dem Transparent vor dem Markt, und die komplette Nachbarschaft scheint dem Aufruf gefolgt zu sein. Der Parkplatz ist rappelvoll. Drinnen wird das hauseigene Brötchensortiment verkostet und Obst für fünf Euro pro Plastikeimer feilgeboten. Ein Ehepaar diskutiert derweil an der Kühltheke, ob der Lachs wohl auch frisch sei. Der Gatte beendet den Disput mit einem beherzten Griff zum Premiumkabeljau für 6,99 Euro und schleppt den Fang zur Kasse. Dort wird den Kunden mit dem Wechselgeld eine Karte überreicht: „Gewinnen Sie drei Minuten Frei-Shoppen“. Die Kundschaft ist entzückt, hinter der Kassenzone werden die Stifte knapp.
Das Lidl-Imperium in Zahlen
11.000 Standorte betreiben Lidl und Kaufland europaweit, 300.000 Mitarbeiter beschäftigt die Schwarz-Gruppe.
67,9 Milliarden Euro wird Lidl 2016 erlösen, eine Milliarde mehr als Aldi.
Die Schwarz-Gruppe könnte nach einer Prognose von PlanetRetail den Metro-Konzern schon 2013 als größten deutschen Handelskonzern ablösen. Lidl allein dürfte spätestens 2016 Aldi als weltweiten Discount-König entthronen.
30 Millionen Euro schuldet Drogeriepleitier Schlecker dem Lidl-Gründer Schwarz
So geht es nahezu im Wochentakt: „Feiern Sie mit“, „Gewinnen Sie mit“, „Knallerpreise“, „Jetzt zugreifen“, appellieren die mit funkelnden Sternen garnierten Eröffnungsflyer an die Spar- und Spielinstinkte der Kundschaft, denn „Lidl lohnt sich“. Allein in dieser Woche lässt sich die Magie des Billigen in drei neuen Filialen in Bochum, Werne und Cadolzburg erkunden. Sechs runderneuerte Läden gehen parallel von Hamburg bis Oberbayern an den Start.
Von Lappland bis zu den Kanarischen Inseln
Routine im Reich von Discount-Dominator Dieter Schwarz. Seit er vor rund 40 Jahren den ersten Lidl-Markt in Ludwigshafen am Rhein eröffnete, kamen im Durchschnitt mehr als vier neue Läden pro Woche hinzu. Kein Unternehmen der Branche wächst stürmischer, kein Händler agiert aggressiver, kein Konzern verschwiegener als seine Schwarz-Gruppe – nicht nur in Deutschland. Gemeinsam mit dem Lidl-Schwesterunternehmen, dem Großflächen-Discounter Kaufland, spannte der Konzern vom beschaulichen Neckarsulm nahe Heilbronn aus ein Netz von knapp 11.000 Filialen mit mehr als 300.000 Mitarbeitern über den Kontinent.
Das Billig-Reich erstreckt sich von Lappland bis zu den Kanarischen Inseln und schickt sich nun an, den Metro-Konzern als größtes deutsches Handelshaus zu entthronen. Mehr noch: Auch Lidl allein ist auf dem Weg, die Handelslandschaft umzukrempeln. In den kommenden vier Jahren, so die Prognose von Branchenexperten, wird Lidl den Erzrivalen Aldi als weltweit größten Discounter ablösen.
Einer der reichsten Deutschen
Damit rückt eine Handelsgruppe ins Blickfeld, die der Öffentlichkeit lange ähnlich zugetan war wie Vampire dem Licht. Ein Konzern, dem seit einem Überwachungsskandal vor fünf Jahren das Image des Mitarbeiter-Schinders anhaftet und dessen Gründer Schwarz zwar als Multimilliardär stets in den Listen der reichsten Deutschen auftaucht, über dessen Engagement als Stifter und Spender aber ebenso wenig bekannt ist, wie über seine privaten Investments.
So gehört ausgerechnet der glamourferne Lidl-Patron nach Recherchen der WirtschaftsWoche zu den größten deutschen Geldgebern für Hollywood-Filme. Ihm zuzurechnende Produktionsgesellschaften haben bei Streifen wie „Spy Game“ mit Robert Redford oder „Blood Diamond“ mit Leonardo DiCaprio mitgemischt.
Die Blockbuster des Lidl-Patriarchen
Kein Geringerer als Hollywood-Star Leonardo DiCaprio spielt die Hauptrolle in dem Abenteuer-Thriller von 2006. In den USA spielte der Film 57,3 Millionen Dollar ein.
Die Literaturverfilmung mit Matt Damon und Franka Potente kam 2002 in die Kinos und gab den Auftakt zu einer der erfolgreichsten Agenten-Thriller-Serien - 2004 folgte Die Bourne Verschwörung - 2007 Das Bourne Ultimatum und 2012 Das Bourne Vermächtnis. Das Filmbudget für Teil eins betrug 60 Millionen Dollar - weltweit spielte die Bourne Identität 214 Millionen Dollar ein.
Die Komödie mit und von Sacha Baron Cohen - ebenfalls bekannt als Borat - kam 2002 in die Kinos und macht den britischen Comedy-Star weltweit berühmt. In den USA wurde der Film nicht gezeigt, in Großbritannien schoss er auf den dritten Platz der Kino-Charts.
Der Action-Film mit Dwayne Johnson in der Hauptrolle war eines der größten Kostümspektakle im Kinojahr 2002. Der Ägypten-Streifen lief überaus erfolgreich. Als Ableger erschienen "Die Mumie" und "Die Mumie kehrt zurück".
Die US-Produktion mit Kevin Costner und Susanna Thompson lockte 2002 Fans romantischer Mystery-Filme in die Kinos. Die Kritiken schwankten zwischen 'langweilige Schmonzette' und 'gefühlvoller Inszenierung zum Thema Nahtoderfahrung'.
Starbesetzung auch bei diesem Agenten-Thriller von 2001: Robert Redford und Brad Pitt in den Hauptrollen als CIA-Agenten Nathan D. Muir und Tom Bishop, bei dem der alte Hase Redford den jungen wilden Pitt rettet.
Poker-Drama aus dem Jahr 2007. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Curtis Hanson und Eric Roth. In den Hauptrollen Eric Bana und Drew Berrymore. Produktionskosten: Rund 55 Millionen Dollar. Weltweit spielte das Drama 8,3 Millionen Dollar ein, 5,7 in den USA und nur rund 200.000 Dollar in Deutschland.
Der Mystery-Thriller mit Keanu Reeves und Rachel Weisz spielte weltweit mehr als 230 Millionen Dollar ein. Die Produktionskosten lagen bei rund 100 Millionen Dollar.
Die erfolgreiche Teenager-Komödie American Pie kam 1999 in die Kinos. Ihr folgte Teil 2001 American Pie 2 und 2003 American Pie -Jetzt wird geheiratet. Mittlerweile gibt es die achte Fortsetzung. Binnen 10 Wochen spielte American Pie im Jahr 1999 mehr als 100 Millionen Dollar ein und zählte damit zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres.
Im Tagesgeschäft von Lidl und Kaufland führt der 73-Jährige schon längst nicht mehr Regie. Fast alles in der Gruppe hängt an Schwarz‘ Statthalter und Vertrautem Klaus Gehrig, einem 1,90-Meter-Mann von robustem Auftritt, der für das rasante Wachstum der vergangenen Jahre verantwortlich ist und dessen Abneigung gegen Krawatten wohl nur von der zum Dauergegner Aldi, seinem Ex-Arbeitgeber, überboten wird. Seit 40 Jahren tobt der Wettkampf der Discount-Systeme, gibt Lidl auf der Billig-Bühne den ewigen Aldi-Jäger und Treiber. Ist Lidl inzwischen der bessere Aldi? Und hat die Dauerhatz den Händler dabei zu stark aufgebläht? Ist die Grenze sinnvoller Expansion nicht längst erreicht?
Lernen aus der Schlecker-Pleite
Den schmalen Grat zwischen Aus- und Überdehnung konnte Schwarz zuletzt beim Ruin seines früheren Geschäftsfreundes Anton Schlecker beobachten. Schwarz, das geht aus einem Insolvenzgutachten hervor, gehört zu den größten Gläubigern des Drogerie-Pleitiers.
Ironie des Schicksals: Vor ein paar Jahren waren die Verhältnisse umgekehrt. Schlecker hatte Schwarz Millionenbeträge für die Expansion geliehen – doch anders als der schwäbische Seifenpatriarch wusste der Lidl-Schöpfer das Kapital zu nutzen.
Expansion bis nach Litauen
Die Discounter-Flotte parkt auf dem Flugplatz in Schwäbisch Hall. Vier Cessna-Jets und ein Helikopter sollen von hier aus regelmäßig Konzernmanager in eines der 26 Lidl-Länder Europas fliegen, berichten Insider. Seit Frankreich-Fan Schwarz 1988 die Auslandsexpansion im Nachbarland startete, hat sich Lidl in alle Himmelsrichtungen ausgedehnt und verkauft Brot und Butter in Großbritannien und Italien ebenso wie in Finnland, Polen und der Schweiz. Serbien und Litauen sollen demnächst folgen.
Die stete Expansion hat die Umsätze in der vergangenen Dekade nach oben katapultiert. Bei rund 74,3 Milliarden Euro verortet Matthias Queck, Discount-Experte des Handelsdatenspezialisten PlanetRetail mit Sitz in London und Frankfurt, die Jahres-Bruttoerlöse der Schwarz-Gruppe. „Lidl und Kaufland verzeichneten zwischen 2006 und 2011 im Schnitt jährliche Wachstumsraten von 8,6 Prozent“, sagt Queck.
Halten die Neckarsulmer Kurs, könnten sie beim Umsatz schon im kommenden Jahr mit Metro gleichziehen oder die Düsseldorfer sogar knapp überholen.
Aufstieg zum größten deutschen Händler
Nachhaltig besiegelt wäre der Wachwechsel, wenn sich die Rheinländer, zu denen die Kaufhauskette Kaufhof, der Elektronikhändler MediaSaturn und die SB-Warenhäuser von Real gehören, von einzelnen Konzernteilen trennen. So sondiert Metro-Chef Olaf Koch derzeit einen Verkauf der Osteuropa-Aktivitäten von Real. Kommt es dazu, fällt der stolze Superlativ an den Krämer aus dem Ländle. Spätestens aber 2014, so Quecks Prognose, wird die Vormacht der Metro in jedem Fall gebrochen. Die Schwarz-Gruppe steigt zum größten deutschen Händler auf.
Mit dem absehbaren Titelgewinn drängt jedoch die Frage auf die Agenda, wo Gehrig und Schwarz in ein paar Jahren, wenn auch die letzten Lidl-freien Landstriche in Europa erschlossen wurden, noch Perspektiven sehen. Die Führungsspitze gibt sich gelassen: Durch Erweiterungen und Renovierung oder die Verlagerung von Filialen an attraktivere Standorte würden reichlich „Expansions- und Entwicklungsmöglichkeiten bestehen“, lässt Gehrig mitteilen, hält sich aber alle Möglichkeiten offen: „Märkte jenseits von Europa sind eine Option“, wenngleich es derzeit keine konkreten Planungen gebe.
Discount-Entwicklungsländer
Tatsächlich kommen für die Strategen vom Neckar wohl vor allem die Türkei und die USA in Betracht. Beide Märkte sind noch immer Discount-Entwicklungsländer und gelten in der Handelszunft als ebenso reizvoll wie risikoreich. So müssten für den Start in der Türkei deutlich mehr regionale Produkte ins Sortiment aufgenommen werden: Tiefkühl-Köfte und Pistazien-Halva statt Gebirgsjäger-Frikadellen und Choco Crossies. Das Problem dabei: Beim Preisgefeilsche mit den Lieferanten könnten die Lidl-Einkäufer nicht ihre gewohnte Marktmacht ausspielen, zu gering wären die Einkaufsvolumina – der Schritt gen Bosporus dürfte teuer werden.
Aber auch die Atlantik-Querung ist ein Wagnis. Das Management hätte über Jahre mit dem US-Aufbau zu tun, die Expansion würde Unsummen verschlingen. Zugleich birgt das Land enormes Umsatzpotenzial und könnte langfristig als Brückenkopf für weitere Discount-Destinationen wie Mexiko und Kanada dienen. Wichtiger noch: In den USA trumpft zunehmend Aldi auf.
Aldi punktet in Amerika
Schon mehrfach hatte Lidl-Lenker Gehrig geplant, dem Billig-Primus in Amerika Paroli zu bieten. 2005 sollte Kanada zum Einfallstor für Lidl werden. Die Zentrale hatte bereits Standorte gesichert und Personal eingestellt, um dann überraschend doch den Rückzug anzutreten. Offizielle Erklärungen gab es damals nicht. Schnell machte auf den Fluren der Zentrale das Gerücht die Runde, Gehrig leide unter Flugangst und habe daher das Experiment beendet. Tatsächlich stoppte er das Großprojekt wohl eher, weil dem Konzern die Verzettelung drohte. Zu viele Baustellen waren zur gleichen Zeit aufgerissen worden. Die Auslandsgesellschaften wichen bei Ladengestaltung und Ausrichtung immer weiter von der reinen Lehre aus Neckarsulm ab, wichtige Markteintritte wie in Polen und in Tschechien waren weder finanziell noch personell verdaut.
2016 soll Lidl Aldi überholen
Nun tun sich erneut Chancen in den USA auf. Lidl wolle „zu strategischen Fragen keine Stellung nehmen“, heißt es dazu in Neckarsulm. „Die US-Präsenz ist einer der wichtigsten Vorteile, die Aldi noch gegenüber Lidl hat“, urteilt derweil Handelsexperte Queck.
Nach seinen Daten haben nicht nur Lidl und Kaufland, vereint in der Schwarz-Gruppe, den Dauerkonkurrenten beim Umsatz längst abgehängt. Auch Lidl allein könnte den Billig-Veteranen in absehbarer Zeit übertrumpfen. „Spätestens 2016“, so Queck, „löst Lidl Aldi als weltweit größten Discounter ab.“ Der Experte geht davon aus, dass die globalen Aldi-Umsätze bis dahin auf 66,8 Milliarden Euro steigen werden, die von Lidl sollen dann 67,9 Milliarden Euro erreichen. Rüstet Emporkömmling Lidl jetzt zum endgültigen Gegenschlag – Discounterstrike?
Schwarz startete seine Aufholjagd 1973, zwölf Jahre nach den Albrecht-Brüdern. Da die Brüder ihr Reich in die rechtlich getrennten Unternehmen Aldi Nord und Aldi Süd mit Zentralen in Mülheim und Essen aufteilten, könnte sich Schwarz formal schon heute als Sieger über die jeweiligen Einzelteile betrachten. In der Realität sind Aldi Nord und Süd aber eng verbandelt und werden in Summe als gemeinschaftliches Billig-Bollwerk und deutscher Discount-Primus wahrgenommen.
Richtig daran ist, dass Aldi bei der Produktivität nach wie vor das Maß aller Dinge im Lebensmittelhandel ist. Kein Unternehmen erzielt pro Quadratmeter Verkaufsfläche mehr Umsatz. Der Kult-Discounter gibt im Preiseinstiegssegment den Ton an und ist bei Qualitätsrankings wie in der Kundenzufriedenheit kaum zu schlagen.
Lidl läuft - Aldi lahmt
Trotzdem: Der einst so übermächtige Gegner hat zuletzt an Schlagkraft verloren. Nach Daten des Markforschers GfK stiegen die Lebensmittelumsätze von Lidl in Deutschland im ersten Halbjahr 2012 um 2,2 Prozent. Aldi Süd legte nur um 1,3 Prozent zu, Aldi Nord verlor sogar 0,3 Prozent.
Den Discountern wehe „seit einiger Zeit der Wind ins Gesicht“, schrieben die GfK-Forscher. Vor allem Aldi finde „nicht so recht in die Spur“ zurück.
Über die Genauigkeit der GfK-Daten streitet die Branche, die Tendenz ist aber klar: Lidl läuft, Aldi lahmt. Vorbei sind die Zeiten als neue Angebote wie Reisen oder Telefontarife die Aldi-Geschäfte beflügelten. Passé ist die Ära, als Menschenmassen vor Aldi- und nicht vor Apple-Läden warteten, um Computer zu ergattern. Die Chancen in Osteuropa verschliefen die Manager in Mülheim und Essen.
Und auch im Online-Geschäft agiert der Niedrigpreiskonstrukteur zu zögerlich. Während Lidl im Internet von Abfalleimern bis zu Zelten Tausende Artikel auch fern des klassischen Sortiments verkauft, beschränkt sich die Aldi-Seite auf Basisangebote wie Blumenversand und Fotoservice. „Lidl ist schneller, vielleicht auch etwas mutiger“, konstatiert Queck. Aldi agiere dagegen „sehr viel konservativer bei Innovationen und bei der Expansion“.
Umbau im Aldi-Reich
Immerhin, jetzt wird das Aldi-Reich kräftig umgebaut. Vor allem im Norden werden kleinere Läden aussortiert und größere renoviert. Zudem sollen mehr Markenartikel wie Coca-Cola künftig die Regale zieren. Dieser Frontalangriff auf Lidl, wo es im Unterschied zum Discount-Puristen schon seit Jahren Jacobs-Kaffee, Nivea-Deo und Nutella gibt, lässt sich zugleich als Eingeständnis interpretieren: Der frühere Aldi-Epigone Lidl wird nun selbst nachgeahmt.
Experten wie Martin Fassnacht, Handels-Professor an der Otto Beisheim School of Management, halten wenig von Aldis Flirt mit den Marken. Denn zwei Dinge galten in Essen und Mülheim bis dato als sakrosankt: die unbedingte Preisführerschaft und der Verzicht auf Aktionsangebote beim Standardsortiment. Kommen nun mehr Markenartikel in die Läden, bestehe die Gefahr, dass Konkurrenten „die Preise von Aldi zumindest zeitweise unterbieten“, analysiert Fassnacht. „Die von Aldi bisher verfolgte Dauerniedrigpreisstrategie ließe sich unter diesen Umständen nur schwer aufrechterhalten.“ Dass es sich dabei um keinen akademischen Diskurs handelt, zeigt das Beispiel Österreich.
Kaum hatte der dortige Aldi-Ableger Hofer im Sommer Marken wie Coca-Cola, Red Bull, Ferrero und Danone ins Sortiment genommen, brachen Preisscharmützel aus. So wurde Coca-Cola bei Hofer ursprünglich für 1,29 Euro pro 1,5-Liter-Flasche verkauft, 20 Cent günstiger als bei der Konkurrenz. Lidl und die Rewe-Tochter Billa senkten den Preis auf 1,19 Euro. Anfang August ging wiederum Hofer auf 99 Cent herunter und Lidl zog nach. Ob der alpenländische Brausekrieg damit beendet ist, bleibt abzuwarten. In Deutschland verramschte die Lidl-Schwester Kaufland die Coke-Flaschen schon zum Aktionspreis für 88 Cent.
Lidl-Kader sehen bereits ein grundsätzliches „Aldilemma“: Prominente Marken bringen Umsatz, kratzen aber an der Marge. „So läuft Aldi Gefahr“, glaubt Experte Fassnacht, „zusätzlichen Umsatz zulasten einer geringeren Umsatzrendite zu erkaufen.“
Lidls Kampfpreis-Aktionen
Lidl kann Niedrigpreise bei großen Marken besser kompensieren: Kampfpreis-Aktionen wie Lidls allwöchentlicher „Super-Samstag, bei dem Produkte wie Pringles-Chips für 1,29 Euro und Ritter-Sport-Schokolade schon mal für 59 Cent verschleudert werden, sind kurzfristige Frequenzgeschäfte. Der Discounter setzt darauf, dass die Kunden neben den stark beworbenen Artikeln auch gleich ihren kompletten Wochenendeinkauf vor Ort erledigen. Für Lidl lohnt sich die befristete Mischkalkulation. Ohnehin ist das Markensortiment erheblich größer. Lidl bietet fast doppelt so viele Artikel an wie Aldi. Was bei einem Produkt an Marge wegfällt, kann bei anderen wieder eingespielt werden.
Fassnacht erwartet, dass Aldis Markenoffensive letztlich zur Anpassung an den Wettbewerb führen könnte: „Ein Teil der Aldi-Identität ginge verloren.“ Auch in der Öffentlichkeit schlägt Aldi ungewohnte Kritik entgegen. Anfang des Jahres sah sich der Konzern den Vorwürfen des ehemaligen Managers Andreas Straub ausgesetzt, der in seinem Buch „Aldi – Einfach billig“, das Bild eines gleichermaßen paranoiden wie pedantischen Händlers zeichnet.
Von den Auswirkungen solcher Image-Diskussionen hat sich Lidl bis heute nicht erholt. Als 2008 bekannt wurde, dass Lidl-Detektive Beschäftigte mit Stasi-Methoden bespitzelt hatten, brach ein Sturm der Entrüstung los, kurzfristig fielen die Umsätze. Seither ist Lidl das Image als Skandal-Discounter nicht mehr losgeworden – obwohl sich die Lage nach Aussagen von Mitarbeitern und Gewerkschaftern gebessert hat.
Tatsächlich dürfte kaum ein Handelsmanager mittlerweile ähnlich gewerkschaftsnahe Forderungen vertreten wie Lidl-Frontmann Gehrig. Der zahlt seinen Mitarbeitern seit September mindestens 10,50 Euro pro Stunde und versetzt die Branche mit Forderungen nach staatlichen Eingriffen in Aufruhr. „Nur mit einem verbindlichen Mindestlohn“, so Gehrig, lasse sich „Lohndumping wirksam unterbinden“. Unlängst erklärte Gehrig gar: „Die Zeiten der Workaholics sind vorbei.“ Er setze keine Besprechungen mehr nach 17 Uhr an.
Rein ins Schnäppchengetümmel
Kritiker bleiben skeptisch. Noch immer gebe es zu viele altgediente Kräfte, die die neuen Regeln ignorierten, sagt ein früherer Lidl-Leitender. Auch der Mindestlohnvorstoß wird in der Branche vielfach als Versuch gewertet, die Personalkosten der Wettbewerber nach oben zu treiben.
Mit derlei Vorhaltungen hatte das Schwesterunternehmen Kaufland nie zu kämpfen. Mehr als 600 Kaufland-Märkte gibt es in Deutschland. Die meisten Filialen wirken wie eine labyrinthartige Melange aus Supermarkt und Warenhaus – nur, dass an den Regalen Hunderte Hinweisschilder pappen, die in Knallgelb versprechen: „Discountbillig.“
Obst und Eierlikör
Der Geruch von geräuchertem Fisch zieht über den Parkplatz vor der Kaufland-Filiale in der Rostocker Südstadt. Doch die meisten Kunden ignorieren die Fischbude direkt neben dem Eingang des Marktes. Statt Dorsch und Flunder „frisch vom Kutter“ gilt es heute, Sonderangebote abzustauben. Kaufland feiert Neueröffnung, und so stürzt sich gegen Mittag die überwiegend ältere Kundschaft ins Schnäppchengetümmel. Zwei Damen mit Wuschelfrisuren manövrieren ihren Einkaufswagen beherzt in die Schnapsabteilung und bunkern sieben Kombi-Sets Eierlikör mit Schokobechern. Am Obststand bildet sich rund um die Tafeltrauben „Italia“ eine Rentnertraube. Statt 2,49 Euro kostet das Kilo 1,11 Euro. „Aber mit Kernen“, murrt ein Silberschopf und lädt drei Packungen in den Wagen.
Das Haus in Rostock passt in das neue Filialkonzept. Der Markt ist kleiner als viele ältere Standorte und auf eine Ebene beschränkt. Das Sortiment an Gebrauchswaren wie Geschirr und Jacken wurde zugunsten von Lebensmitteln ausgedünnt. Mit dem Mix aus einem breiten Sortiment von bis zu 60.000 Artikeln und der Discounter-Anmutung hat Kaufland keinen direkt vergleichbaren Konkurrenten. Allenfalls die Metro-Tochter Real agiert mit einem ähnlichen Flächenkonzept.
Waschpulver und Bügeleisen
Während Real seit Jahren die Gewinnzone aber bestenfalls touchiert, schlage sich Kaufland „glänzend“, lobt Thomas Roeb, Handelsprofessor der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Egal, ob Kostenstruktur oder Preisaggressivität, Kaufland sei „in jeder Hinsicht die Benchmark im Großflächengeschäft“, so Roeb. Um die Position zu halten, stachelt das Management den Ehrgeiz der Führungskräfte an. „Wir haben um jeden Cent gekämpft, jeder Verkauf eines Joghurtbechers war wichtig“, erinnert sich Daniel Brußig, der 15 Jahre lang verschiedene Kaufland-Märkte führte, bevor er 2011 die Branche wechselte. Kern der Motivation ist ein Cobra getauftes Steuerungssystem.
Das Kürzel steht für Controlling by Ranking. In mehr als 50 Disziplinen vom Umsatz bis zur Zahl der Stornos an den Kassen und den Personalkosten müssen sich die Marktleiter messen und vergleichen lassen.
Kostenmanager prüfen akribisch jedes Detail. Wie oft muss der Müll abgeholt werden? Legen Reinigungsfirmen bei der Abrechnung der Parkplatzsäuberung die korrekte Quadratmeterzahl zugrunde? Im Zweifel messen die Neckarsulmer Kostenblocker persönlich nach. Das Spar-Gebot erstreckt sich bis zur Gemüsetheke. Um weniger Frischeartikel abschreiben zu müssen, zücken die Kaufland-Kräfte jeden Abend vor Ladenschluss den Rotstift.
Das Niedrigpreisversprechen funktionierte von Anfang an. Als 1984 der erste Kaufland-Markt direkt neben der Zentrale der Schwarz-Gruppe eröffnete, stauten sich die Autos kilometerlang auf den Zufahrtstraßen. 19.000 Video-Kassetten schleppte die Kundschaft von dannen, 6.000 Trommeln Waschpulver und 3.000 Bügeleisen gingen weg, vermerkte damals andächtig der „Spiegel“. „Bei aller Vorsicht gegenüber Eröffnungs-Euphorien“, wurde Dieter Schwarz ob des Ansturms zitiert, „können wir unsere Umsatzerwartung von 100 Millionen Mark im Jahr nach oben korrigieren.“ Heute spült allein Kaufland brutto rund 20 Milliarden Euro ein.
Verschuldung durch Expansion
Der Preis des Wachstums: Ehemalige Führungskräfte monieren, dass die Expansion inzwischen zu einem personellen Überhang in der Zentrale geführt habe und die Gruppe langsam Fett ansetze. Bedrohlicher sind die finanziellen Folgen: Die Expansion der Gehrig-Truppe trieb die Verschuldung nach oben. 11,4 Milliarden Euro Verbindlichkeiten verzeichnet der Lidl-Geschäftsbericht. Mit rund fünf Milliarden Euro stand zuletzt Kaufland in der Kreide.
Steigen die Zinsen oder brechen die Erträge ein, droht Ungemach. Doch Schwarz ist in der Finanzszene gut vernetzt, sitzt in den Beiräten der Landesbank Baden-Württemberg sowie des Stuttgarter Förderinstituts L-Bank, und er gehört dem Verwaltungsrat der Kreissparkasse Heilbronn an. Unter den Sparkassenräten gilt der Unternehmer als akribischer Kontrolleur, gleichermaßen „gut vorbereitet“ bei grundsätzlichen wie Detailfragen. So soll der Alemanne bei einem Umbau der Sparkassen-Zentrale nach Durchsicht der Baupläne etwa beharrlich nachgefragt haben, warum eine abgelegene Ecke im Gebäude völlig ungenutzt bleiben solle.
In der Vergangenheit hatte sich Schwarz über Genussscheine auch bei privaten Investoren Geld für die Expansion geliehen, unter ihnen Drogerieunternehmer Schlecker. Er steckte einst rund 75 Millionen Euro in Genussscheine von Schwarz und saß bei Lidl zeitweise im Aufsichtsrat.
Folgen von Schlecker-Pleite
Die Pleite des schwäbischen Drogisten Anfang des Jahres dürfte der Geschäftsfreundschaft nicht sonderlich zuträglich gewesen sein. Nach Informationen aus der Branche hatte der Schweizer Einkaufsverbund Markant die Schlecker-Gruppe vor dem Insolvenzantrag unter Druck gesetzt und für einen länger fälligen Betrag keinen Zahlungsaufschub geduldet. Bei Markant spielt die Schwarz-Gruppe eine zentrale Rolle: Kaufland ist ein wichtiger Geschäftspartner, Schwarz sitzt im Verwaltungsrat.
Aus Insolvenzakten geht zudem hervor, dass Schwarz Schlecker einen Kredit zur Verfügung gestellt hatte. Dem Vernehmen nach geht es um rund 30 Millionen Euro. Anders als das Gros der Schlecker-Gläubiger geht Schwarz trotz der Pleite nicht leer aus. Das Darlehen ist mit mehreren Immobilien im Wert von rund 26,8 Millionen Euro besichert. Dabei soll es sich unter anderem um Einkaufscenter handeln, bei denen Kaufland Mieter ist.
Die Stiftung Schwarz
Um zu verhindern, dass Lidl und Kaufland dereinst von der Handelslandkarte getilgt werden, hat Schwarz schon seit 1999 Vorsorge getroffen. Er hat seinen Konzern Stück für Stück mit einer Stiftungskonstruktion ummantelt, um so Verkauf oder Zerschlagung auf Dauer auszuschließen. Die operative Macht liegt seither bei der Schwarz Unternehmenstreuhand, in deren Reihen Schwarz altgediente Kräfte wie Gehrig, aber auch Externe versammelt hat wie den früheren Chef des Pharmahändlers Celesio, Fritz Oesterle. Die Treuhand kontrolliert die Stimmrechte des Konzerns.
Der gemeinnützigen Dieter Schwarz Stiftung gehören 99,9 Prozent der Geschäftsanteile der Gruppe. Der Stiftung fließt ein Anteil der Gewinne zu. Verarmt ist Schwarz deshalb nicht. Im familieneigenen Privatbesitz verblieb der Immobilienschatz des Imperiums. Zudem verfügt der öffentlichkeitsscheue Unternehmer über allerlei Reserven.
So weisen ihn Unterlagen aus dem Handelsregister als Gesellschafter eines Unternehmens namens Munich VMRS-Media aus. Die Gesellschaft mit dem kryptischen Namen wird von Schwarz’ persönlichem Generalbevollmächtigten Hermann-Josef Hoffmann geführt und ist nach Angaben des Wirtschaftsauskunftsdienstes Creditreform an mehreren Münchner Filmproduktionsgesellschaften beteiligt, darunter Kalima Productions und Lonely Film.
Selbst enthusiastischen Kino-Gängern dürften die Namen wenig sagen, den Managern großer Studios wie Warner und Universal dafür umso mehr. Ausgestattet mit insgesamt fast einer Milliarde Euro Kommanditkapital haben sich die Münchner Unternehmen Verwertungsrechte an mehr als einem Dutzend Hollywood-Streifen gesichert und erzielen Lizenzeinnahmen.
Dass Schwarz mit seinem Engagement nur cineastische Passion verbindet, darf bezweifelt werden. Laut der Filmdatenbank IMDb haben Kalima und Lonely bei Blockbustern wie „Looney Tunes: Back in Action“ mit Bugs Bunny mitgemischt. Auch die Gangsta-Rapper-Persiflage „Ali G in da House“ haben Filmfreunde wohl teilweise Dieter Schwarz zu verdanken. Der Lidl-Gründer finanziert Ali G? Warum eigentlich nicht, das Humorlevel bewegt sich schließlich auf Discount-Niveau.