Immerhin, jetzt wird das Aldi-Reich kräftig umgebaut. Vor allem im Norden werden kleinere Läden aussortiert und größere renoviert. Zudem sollen mehr Markenartikel wie Coca-Cola künftig die Regale zieren. Dieser Frontalangriff auf Lidl, wo es im Unterschied zum Discount-Puristen schon seit Jahren Jacobs-Kaffee, Nivea-Deo und Nutella gibt, lässt sich zugleich als Eingeständnis interpretieren: Der frühere Aldi-Epigone Lidl wird nun selbst nachgeahmt.
Experten wie Martin Fassnacht, Handels-Professor an der Otto Beisheim School of Management, halten wenig von Aldis Flirt mit den Marken. Denn zwei Dinge galten in Essen und Mülheim bis dato als sakrosankt: die unbedingte Preisführerschaft und der Verzicht auf Aktionsangebote beim Standardsortiment. Kommen nun mehr Markenartikel in die Läden, bestehe die Gefahr, dass Konkurrenten „die Preise von Aldi zumindest zeitweise unterbieten“, analysiert Fassnacht. „Die von Aldi bisher verfolgte Dauerniedrigpreisstrategie ließe sich unter diesen Umständen nur schwer aufrechterhalten.“ Dass es sich dabei um keinen akademischen Diskurs handelt, zeigt das Beispiel Österreich.
Kaum hatte der dortige Aldi-Ableger Hofer im Sommer Marken wie Coca-Cola, Red Bull, Ferrero und Danone ins Sortiment genommen, brachen Preisscharmützel aus. So wurde Coca-Cola bei Hofer ursprünglich für 1,29 Euro pro 1,5-Liter-Flasche verkauft, 20 Cent günstiger als bei der Konkurrenz. Lidl und die Rewe-Tochter Billa senkten den Preis auf 1,19 Euro. Anfang August ging wiederum Hofer auf 99 Cent herunter und Lidl zog nach. Ob der alpenländische Brausekrieg damit beendet ist, bleibt abzuwarten. In Deutschland verramschte die Lidl-Schwester Kaufland die Coke-Flaschen schon zum Aktionspreis für 88 Cent.
Lidl-Kader sehen bereits ein grundsätzliches „Aldilemma“: Prominente Marken bringen Umsatz, kratzen aber an der Marge. „So läuft Aldi Gefahr“, glaubt Experte Fassnacht, „zusätzlichen Umsatz zulasten einer geringeren Umsatzrendite zu erkaufen.“
Lidls Kampfpreis-Aktionen
Lidl kann Niedrigpreise bei großen Marken besser kompensieren: Kampfpreis-Aktionen wie Lidls allwöchentlicher „Super-Samstag, bei dem Produkte wie Pringles-Chips für 1,29 Euro und Ritter-Sport-Schokolade schon mal für 59 Cent verschleudert werden, sind kurzfristige Frequenzgeschäfte. Der Discounter setzt darauf, dass die Kunden neben den stark beworbenen Artikeln auch gleich ihren kompletten Wochenendeinkauf vor Ort erledigen. Für Lidl lohnt sich die befristete Mischkalkulation. Ohnehin ist das Markensortiment erheblich größer. Lidl bietet fast doppelt so viele Artikel an wie Aldi. Was bei einem Produkt an Marge wegfällt, kann bei anderen wieder eingespielt werden.
Fassnacht erwartet, dass Aldis Markenoffensive letztlich zur Anpassung an den Wettbewerb führen könnte: „Ein Teil der Aldi-Identität ginge verloren.“ Auch in der Öffentlichkeit schlägt Aldi ungewohnte Kritik entgegen. Anfang des Jahres sah sich der Konzern den Vorwürfen des ehemaligen Managers Andreas Straub ausgesetzt, der in seinem Buch „Aldi – Einfach billig“, das Bild eines gleichermaßen paranoiden wie pedantischen Händlers zeichnet.
Von den Auswirkungen solcher Image-Diskussionen hat sich Lidl bis heute nicht erholt. Als 2008 bekannt wurde, dass Lidl-Detektive Beschäftigte mit Stasi-Methoden bespitzelt hatten, brach ein Sturm der Entrüstung los, kurzfristig fielen die Umsätze. Seither ist Lidl das Image als Skandal-Discounter nicht mehr losgeworden – obwohl sich die Lage nach Aussagen von Mitarbeitern und Gewerkschaftern gebessert hat.
Tatsächlich dürfte kaum ein Handelsmanager mittlerweile ähnlich gewerkschaftsnahe Forderungen vertreten wie Lidl-Frontmann Gehrig. Der zahlt seinen Mitarbeitern seit September mindestens 10,50 Euro pro Stunde und versetzt die Branche mit Forderungen nach staatlichen Eingriffen in Aufruhr. „Nur mit einem verbindlichen Mindestlohn“, so Gehrig, lasse sich „Lohndumping wirksam unterbinden“. Unlängst erklärte Gehrig gar: „Die Zeiten der Workaholics sind vorbei.“ Er setze keine Besprechungen mehr nach 17 Uhr an.