Discounter investieren massiv Das globale Wettrennen von Aldi und Lidl

Aldi und Lidl investieren massiv in neue Läden und das Onlinegeschäft. So hängen sie Wettbewerber ab. Ein Familienstreit könnte hingegen aber Aldi Nord bremsen.

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Wie die neuen Lidl-Filialen aussehen
Auch Lidl wird edel: Glasfronten, Aluminiumverblendungen und einem kombinierter Ein- und Ausgangsbereich sollen „ein Einkaufserlebnis“ für die Kunden zu schaffen. Quelle: Presse
Im Inneren dominiert die Farbe Grau und hat das zuvor bekannte Lidl-Blau abgelöst. Das deutet sich schon im Eingangsbereich an. Quelle: Presse
Lidl Quelle: Presse
Lidl

Der Sieger? „Wir sind’s bestimmt nicht“, sagt ein hochrangiger Edeka-Manager. Auch Rewe-Chef Alain Caparros winkt ab: „Es gibt keinen Sieger in dieser Auseinandersetzung.“ Mehr als zwei Jahre hatten die beiden Supermarktketten um die 400 Filialen des defizitären Rivalen Kaiser’s Tengelmann gestritten. Sie hatten geklagt, gefeilscht und gedroht. Diesen Freitag soll die Aufteilung der einzelnen Häuser zwischen den Kontrahenten besiegelt werden und das Dauergezerre damit endlich enden.

Warum Aldi billig ist

Es gibt keine Gewinner? Von wegen. Während die Supermarktbosse mit sich selbst beschäftigt waren, investierten Deutschlands Discountkönige Aldi und Lidl in ihre Sortimente und Läden und beschleunigten ihre weltweite Expansion. Aldi und Lidl ­werden in den kommenden fünf Jahren weltweit mehr als 3000 neue Filialen eröffnen, prognostizieren Experten des Handelsinformationsdienstes Planet Retail. Die USA und Australien, Italien, Serbien und selbst China gehören zu ihren Zielen. Zugleich preschen sie mit Wucht im Onlinegeschäft vor. „Die digitale Transformation“ sei schließlich „eine Kernaufgabe“, skizziert Lidl-Chef Sven Seidel gegenüber der WirtschaftsWoche die Richtung. Globale Discount-Disruption also, anstelle von Klein-Klein um Tengelmann-Filialen, das ist die Botschaft der Discounter. Als „globales Wettrennen“ beschreibt Planet-Retail-Experte Boris Planer die jüngste Expansionswelle, deren Ausläufer bis in das verschlafene Neckartal hinein zu spüren sind.

Aufbruch nach Amerika

Ein paar Cafés, Touristenshops und kleinere Geschäfte säumen den historischen Kern von Bad Wimpfen. Die Kurstadt am Neckar nahe Heilbronn wird bald zur deutschen Discounterkapitale aufsteigen. Lidl will hier sein neues Hauptquartier für das Heimatgeschäft aufschlagen. 1300 Mitarbeiter sollen spätestens Anfang 2020 ein terrassenförmigen Gebäudeensemble beziehen, das in den kommenden Monaten für einen dreistelligen Millionenbetrag aus dem Boden gestampft wird. Über vier Hektar soll sich das Lidl-Areal erstrecken, samt unterirdischen Boulevards und hauseigenem Fitnessparcours. Es sei das erste Mal in der Geschichte des Unternehmens, dass „wir für ein Verwaltungsgebäude so einen riesigen Aufwand“ betreiben, konstatierte jüngst Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch die Handelskette Kaufland gehört.

Wie Aldi mit neuem Filial-Design den Umsatz steigern will
Die Vorführ-Filiale bietet viel Tageslicht, breitere Gänge, viel Holz. Obst und Gemüse werden präsentiert wie an einem Marktstand. Quelle: obs
Lars Linscheid, Geschäftsführer der ALDI SÜD Regionalgesellschaft Ebersberg und Jeannette Thull, Geschäftsführerin Zentraleinkauf, bei der Vorstellung der Filiale der Zukunft in München-Unterhaching. Quelle: obs
Journalisten filmen am 11.05.2016 in Unterhaching (Bayern) die neu gestaltete Aldi-Filiale. Vor allem die Präsentation von Obst und Gemüse soll ansprechender werden. Quelle: dpa
Doch die Pappfigur von "Frau Weber", die um Aldi-Nachwuchs wirbt, gehört weiter zum Inventar des Discounters. Quelle: dpa
Wenn nicht Aldi drauf stünde, könnte man fast glauben, in einem Supermarkt von Rewe oder Edeka zu sein. Quelle: dpa
Das Sortiment, hier die Wurst- und Fleischwaren, bleibt im Wesentlichen das selbe. Quelle: dpa
Die größte Veränderung betrifft die Präsentation des Obstes und Gemüses, die an einen Wochenmarkt-Stand erinnern soll. Quelle: dpa

Dem Bauherrn bleibt keine Wahl. Die bisherige Konzernzentrale in Neckarsulm platzt aus allen Nähten, und der nächste Wachstumsschub bahnt sich bereits an. Fast 2000 zusätzliche Läden wollen Lidl und Kaufland nach Berechnungen von Planet Retail bis Ende 2021 weltweit hochziehen. Die Schwarz-Gruppe käme dann insgesamt auf rund 13.700 Standorte und dürfte einen Bruttoumsatz von rund 142 Milliarden Euro erzielen. Vor allem in Großbritannien und in osteuropäischen Ländern wie Serbien wollen Konzernchef Gehrig und Lidl-Lenker Seidel die letzten freien Landstriche besetzen. Kaufland hat sich bereits Markenrechte in Australien gesichert.

Das weitaus wichtigste Ziel aber ist der amerikanische Markt. Offiziell sollen hier 2018 die ersten Filialen eröffnen. Hartnäckig hält sich in der Branche aber das Gerücht, Gehrig und Seidel wollten schon Ende kommenden Jahres mit den ersten 120 bis 150 Filialen loslegen. Bis 2023 soll Lidls US-Umsatz laut Prognosen des Marktforschers Kantar Retail auf 8,8 Milliarden Dollar steigen.

Aldi kündigt Preiskampf an

Ein Selbstläufer wird die US-Expansion nicht. Nicht nur der amerikanische Handels-Weltmarktführer Walmart verteidigt sein Revier. Auch Erzrivale Aldi, der seit 40 Jahren in den USA aktiv ist, will Lidl einen heißen Empfang bereiten und könnte – ganz Aldi-like – einen Preiskampf entfachen, sobald der Newcomer seine ersten Stores eröffnet. Bis dahin sichert sich Aldi im großen Stil Immobilien und dehnt sein US-Imperium immer schneller aus. Mehr als 30 Millionen Menschen kaufen bereits jeden Monat in den landesweit rund 1600 Läden von Aldi Süd ein. Hinzu kommen rund 450 Outlets des Feinkostdiscounters Trader Joe’s, die zum Inventar des Schwesterkonzerns Aldi Nord gehören. Bis Ende 2018 sollen US-weit fast 500 Aldi-Süd-Märkte dazukommen, knapp drei Milliarden Dollar nimmt das Unternehmen dafür in die Hand.

Familienfehde lähmt Aldi Nord

Aldi-Süd-Chef Norbert Podschlapp will noch mehr. Zeitgleich zur US-Offensive wird er erstmals in Italien Läden eröffnen. In China will er über einen eigenen Internetshop im zweiten Quartal 2017 Wein und andere ungekühlte Lebensmittel vertreiben. Eigene Märkte sollen folgen. Das Unternehmen wäre damit in insgesamt elf Ländern auf vier Kontinenten vertreten.

Auch Aldi Nord zieht es in die Ferne. Frankreich, Polen und sieben weitere Auslandsmärkte gehören zum Absatzgebiet der Essener, mögliche neue Discountdestinationen werden nach Unternehmensangaben „selbstverständlich“ beobachtet. Allein, die Expansionspläne von Aldi Nord stehen unter Vorbehalt: Denn im Eigentümerclan von Aldi Nord tobt eine Schlammschlacht, die das Zeug hat, den Konzern zu lähmen und damit die gesamte Expansionsstrategie zu verzögern. Es geht um die drei Familienstiftungen, in denen alle Aldi-Nord-Anteile gebündelt sind und in die auch die Unternehmensgewinne fließen.

Im Zentrum des Konflikts steht die Jakobus-Stiftung. Streitparteien sind auf der einen Seite Theo Albrecht, der erste Sohn des gleichnamigen Aldi-Gründers, und auf der anderen Seite die Erben von Berthold Albrecht, des 2012 verstorbenen zweiten Sohns des Aldi-Gründers. Berthold hatte vor sechs Jahren über eine Satzungsänderung den Einfluss seiner Frau und seiner Kinder auf die Stiftung stark beschnitten. Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig brachten die Erben diese Änderungen wegen Formfehlern zu Fall. Doch Theo legte Berufung ein, fürchtet er doch, Witwe Babette und die Kinder seines Bruders könnten „das Unternehmen am Nasenring durch die Manege führen“, sollte das Urteil Bestand haben.

Zuletzt ist der Streit eskaliert. Während die Babette-Fraktion argumentiert, Berthold sei zum Zeitpunkt der umstrittenen Satzungsänderung krank und „nicht geschäftsfähig“ gewesen, sieht Theo den Ruf seines Bruders durch derlei Behauptungen in „unerträglicher Art und Weise“ beschmutzt.

Der Familienzwist ist gefährlich für Aldi Nord. Denn bei zentralen Entscheidungen gilt das Konsensprinzip. Nur wenn die Vorstände aller drei Aldi-Nord-Stiftungen zustimmen, darf der Discounter im großen Stil investieren oder neue Geschäftsführer ernennen. De facto verfügen damit beide Parteien über ein Vetorecht und können sich wechselseitig blockieren.

„Gruß von Klaus“

Noch scheint der Streit nicht im Unternehmen angekommen. Aldi Nord gibt sich locker wie nie zuvor. Jüngst verabschiedete sich das Haus vom Krawattenzwang. „Damit setzen wir unsere Modernisierungsstrategie konsequent fort“, heißt es dazu staatstragend aus Essen.

Auch jenseits des Dresscodes experimentiert das Management. Vor wenigen Wochen lud das Unternehmen mit Aldi Süd zu einer Pressekonferenz in die 13. Etage des Essener Ruhrturms. Vorn, neben der breiten Fensterfront des Besprechungsraums, flimmerten bunte Bilder von einem leicht beschürzten Göttervater Zeus über die Leinwand. Gegenüber einem Controller muss sich Zeus für die teuren Orgien im Olymp rechtfertigen. Der Controller schickt ihn daraufhin zum Einkauf zu Aldi. Der Werbespot ist Teil einer TV- und Kino-Kampagne, mit der Aldi vor allem jüngere Kunden ansprechen will. Schon zuvor hatten Aldi Nord wie auch Aldi Süd ihr Sortiment, das jahrelang fast ausschließlich aus Eigenmarken bestand, mit Herstellerlabels von Pampers-Windeln bis zu Wagner-Pizza aufgemöbelt. Die Folgen lassen sich im Zahlenwerk ablesen. Die Umsätze würden sich „hervorragend“ entwickeln, heißt es bei Aldi Nord. Im ersten Halbjahr 2016 sei der Bruttoumsatz in Deutschland um 3,1 Prozent ­gestiegen. Im zweiten Halbjahr habe sich die „Entwicklung noch einmal deutlich ­verstärkt“. Eine Sprecherin von Aldi Süd ­berichtet ebenfalls über „positive Umsatzentwicklungen“, will aber keine Zahlen ­nennen.

Demnächst könnte im Süden ein neues Serviceangebot für zusätzliche Kundschaft sorgen. Bis Ende des Jahres will das Unternehmen entscheiden, ob Kunden an den Kassen künftig Geld von ihren Konten abheben können. Aldi Süd prüfe aktuell die Möglichkeiten der Bargeldauszahlung an der Kasse“, bestätigt die Sprecherin.

Dauergegner Lidl hält mit eigenen Innovationen dagegen, setzt dabei aber, anders als Aldi, gezielt auf das Onlinegeschäft. Mit einem dreistelligen Millionenbetrag will Lidl etwa dafür sorgen, dass künftig nicht mehr nur Pyjamasets, Weinkartons und Konserven den hauseigenen Onlineshop zieren, sondern auch Bananen, Brot und andere Frischwaren.

Die Schwesterfirma Kaufland hat bereits im Herbst einen eigenen Lieferdienst für Lebensmittel in Berlin gestartet und will demnächst in Hamburg loslegen. Ob sich auch Lidl zu dem Schritt durchringt, ist indes fraglich. Zunächst sei der Versand über externe Logistiker geplant. Zudem könnten Kunden die zuvor im Onlineshop ausgewählten Waren in der Filiale abholen, heißt es in der Branche. Lidl-Chef Seidel schweigt hierzu. Nur so viel: „Das Produkt- und Dienstleistungsangebot erweitern wir sukzessive“, kündigt er an. Auch die Zahl der Digitalarbeiter bei Lidl steigt stetig. Das Unternehmen lockt das neue Personal über „tolle Mitarbeiterevents“ und ein „breites Sport- und Fitnessangebot“, wie es in aktuellen Stellenausschreibungen heißt.

von Henryk Hielscher, Niklas Dummer

Zudem hat Konzernchef Gehrig schon vor Jahren die Krawattenpflicht gekappt. Nach der Lektüre eines Interviews mit Otto-Chef Hans-Otto Schrader ging er noch einen Schritt weiter. Der Otto-Anführer hatte im Gespräch mit der WirtschaftsWoche im Frühjahr erklärt, dass alle Mitarbeiter ihn fortan duzen dürften, um ein Zeichen für den Kulturwandel im Unternehmen zu setzen. In einer internen Mail griff Gehrig die Idee auf: „Passt auch zu uns“, schrieb er an seine Mannschaft, bevor er sich mit „Gruß, Klaus“ verabschiedete.

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