Drive-in-Supermärkte Shoppen im Vorbeifahren

Bestellen im Internet, abholen mit dem Auto: In Frankreich schießen Drive-in-Supermärkte gerade wie Pilze aus dem Boden. Immer mehr Kunden kaufen auf diese Weise ein. Aber funktioniert das auch in Deutschland?

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Mit den kleinen Barcode-Scannern arbeiten die Mitarbeiter die Einkaufsliste der Kundschaft ab. (Foto: Cordelia Chaton)

Maizières-les-Metz Es piept laut im Warenlager von E.Leclerc Drive. Stéphanie nimmt eine „Pistole“ von Motorola. Der Apparat, der einem Elektrorasierer ähnelt, zeigt ihr im Display einen Weg an: „Erster Gang, dritte Reihe links, Regal 12, Ware Wasser der Marke x.“ Schnell schnappt sich die Französin einen grauen Plastik-Container auf Rollen, stellt zwei braune Papiertüten hinein und flitzt los. Sobald sie am Regal ankommt, hält sie das Gerät an den Bar-Code für das Wasser. Es registriert, dass die Ware richtig ist, und arbeitet einen Einkaufszettel weiter ab.

„Das Gerät wählt immer den kürzesten Weg. Trotzdem laufe ich rund zwei Kilometer am Tag“, erzählt die Mitarbeiterin der französischen Supermarktkette E.Leclerc. Das, was Stéphanie da abarbeitet, ist nicht ihre eigene Einkaufsliste, sondern die eines Kunden. Er hat sie per Internet von seinem PC oder Smartphone aus abgeschickt und per Kreditkarte bezahlt. In zwei Stunden muss alles fertig sein, dann holt der Kunde die Ware mit dem Auto ab.

„Drive“ heißt diese Form des Einkaufens in Frankreich. Sie hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine regelreche Explosion erlebt, obwohl es den ersten Markt dieser Art schon 2007 gab. Im April 2013 gab es 2015 Drive-in-Supermärkte in Frankreich. Marktführer ist Intermarché mit 581 Filialen, gefolgt von der U-Gruppe mit 525 und E.Leclerc mit 312 Drives. Da es noch keine Gesetzte gibt, die die Eröffnung solcher Märkte beschränken, schießen sie wie Pilze aus dem Boden. Gleichzeitig gibt es seit zwei Jahren immer mehr Drive-Kunden.

Auch der Düsseldorfer Metro-Konzern ist in Frankreich mit einem Online-Angebot am Markt. Doch in Deutschland setzt sich das Konzept aber nur langsam durch. Über eine Test-Filiale von Rewe in Köln und einige lokale Versuche, dass Konzept zu übertragen oder Ware nach Hause zu liefern ist es bis jetzt nicht hinaus gekommen. „Das liegt an der extrem guten Nahversorgung mit einem sehr dichten Netz an Supermärkten und Discountern“, glaubt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung. „Die Logistik ist doch sehr aufwändig und die Deutschen sind bei Lebensmitteln preissensibel.“


Der deutsche Konsument tickt anders

Da zeigen sich andere Konsumgewohnheiten. Vor einigen Jahren noch war es Standard, dass eine französische Familie ihren Einkauf samstags in einem fußballfeldgroßen Hypermarché erledigte. Inzwischen machen neben den Online-Angeboten auch zahlreiche Discounter aus Deutschland – von Aldi über Lidl bis zu Norma und Penny – dieser Art des Einkaufens Konkurrenz. Mit einem Mal können die eher dörflich strukturierten Franzosen auch nach kurzer Fahrt einkaufen. Hypermarchés reagieren darauf mit einem weiteren lokalen Angebot. Drives sind also nur eine Facette des derzeitigen französischen Marktes.

Jean-Luc Bramas hat bereits zwei Drive-in-Supermärkte in der Nähe von Metz. „Ein dritter ist in Planung“ verrät der Vorstandsvorsitzende von E.Leclerc in Maizières-les-Metz in Lothringen. Die 1949 gegründete Handelskette beschäftigt heute rund 100.000 Personen in 569 Filialen und ist nach Marktanteil der größte Lebensmittelhändler im Hexagon. Die 569 Geschäfte in Frankreich gehören den jeweiligen Betreibern, denn E. Leclerc ist eine Kooperative. Darüber hinaus gibt es 117 Geschäfte in Polen, Italien, Portugal, Spanien, Andorra und Slowenien. Leclerc ist ähnlich wie die Aldi-Brüder mit dem Slogan groß geworden: „Nous sommes les moins chers.“ (Wir sind die Preiswertesten).

Bramas hat auch ein riesiges Leclerc-Geschäft, das direkt neben seinem Drive liegt. Anders als bei anderen Hypermarchés gibt es aber ein extra Lager für die Drive-Waren. Die Kunden, die zuvor per Internet bestellt haben, fahren vor eine Säule, an die sie ihre Kundenkarte halten. In diesem Moment piept es im Lager. Dann saust ein Mitarbeiter los, um die extra entwickelten fahrbaren grauen Container nach draußen zu bringen. „Dafür hat er bis zu fünf Minuten Zeit“, erklärt Bramas.

Für ihn ist die Technik Schlüssel zum Erfolg. „In unserer Zentrale wird die Software zur Abwicklung der Einkäufe und des Systems ständig weiter entwickelt. Kein Supermarkt bedient seine Kunden so schnell wie wir.“ Über Konkurrenten, bei denen Mitarbeiter mit einem Einkaufswagen durch das Geschäft gehen, um die Liste der Kunden abzuarbeiten, kann er nur lächeln. „Hier gilt das Gesetz 20/80: Mit zwanzig Prozent der Ware wird 80 Prozent des Umsatzes gemacht.“ Deshalb bietet der Drive weniger Artikel an, als der riesige Supermarkt nebenan. Insgesamt sind es etwa 6.000 Produkte. Ihre Anordnung erscheint ein wenig wild; Seife steht neben Mineralwasser, Milch neben Toilettenpapier. Aber hier gilt die Regel: kurze Wege für die Mitarbeiter. Vorn steht, was am schnellsten dreht.


Drive-Abholstationen funktionieren nicht in Deutschland

Während der Franzose Bramas mit Rewe in Deutschland kooperiert, will sein Landsmann und Rewe-CEO Alain Caparros die Deutsche bekehren. Caparros hat in Metz und Saarbrücken studiert und das Geschäft bei Aldi in Frankreich gelernt. Jetzt will er vertriebslinienübergreifend „die Digitalisierung des Geschäfts voran treiben“, wie das Unternehmen in der Lebensmittelzeitung bekannt gab. Dazu hat er sich einen „Chief Digital Officer“ nach Köln geholt, der zuvor für die britische Handelskette Tesco deren Online-Angebot mitverantwortete. Tesco erzielte mit der Homepage rund 3,1 Milliarden Euro Umsatz. Das ist zwar wenig gemessen am Gesamtumsatz – aber dieser hier wächst zweistellig.

Das wünscht Rewe sich auch. Bislang gibt es erst in sieben Städten einen Online-Supermarkt. Eine Erkenntnis hatte Caparros aber schon: Drive-Abholstationen funktionieren nicht in Deutschland, „denn Kunden wollen stationär einkaufen oder sich beliefern lassen.“ Aber er gibt nicht auf: „Wenn wir mit dem Lieferdienst die kritische Größe erreichen, werden wir damit auch Geld verdienen“, sagte er der Lebensmittelzeitung – und setzt auf Ausdauer und Geduld.

Konkurrenz bekommt er vom Start-up food.de, das inzwischen in 27 Städten präsent ist. Auch sie verlegen sich wegen der niedrigen Margen und der Filialdichte in Deutschland auf die Ballungsgebiete. Dort ist auch Tengelmann-Tochter Bringmeister aktiv. Aber derzeit soll das Geschäft nicht über die Städte Düsseldorf, München oder Berlin hinaus ausgeweitet werden.

Real schläft ebenfalls nicht. „Im Jahr 2010 haben wir den damals ersten eigenständigen Drive-Store im deutschen Handel in Altwarmbüchen in Hannover eröffnet“, betont Sprecherin Annika Albrecht. Zusammen mit einem weiteren Standort im Kölner Norden hat die Metro-Tochter seitdem eine Menge Erfahrung sammeln können; insbesondere im Hinblick auf die Prozesse, die Sortimentsgestaltung und die unterschiedlichen Kundenstrukturen.

„Aus dieser Erfahrung heraus sehen wir nach wie vor großes Potenzial für weitere Real-Drive-Standorte, insbesondere in Ballungsgebieten. In Zukunft werden wir den Einkauf für unsere Kunden noch schneller und komfortabler machen. Die Wartezeiten sollen verkürzt werden und neue Standorte sollten möglichst zwischen Wohn- und Arbeitsstätte unserer Kunden liegen“, erklärt Albrecht.

Ein Wachstumsmarkt ist der Online-Supermarkt in Deutschland trotzdem nicht. Der Handelsverband Deutschland (HDE) schätzt laut seinem Sprecher Kai Falk, dass der Online-Handel in diesem Jahr um zwölf Prozent auf 33 Milliarden Euro wachsen wird. Ganz vorn dabei sind Textilien, TV und Bücher. „Lebensmittel allerdings fristen noch ein Nischendasein. Ihr Anteil am Online-Geschäft beträgt unter ein Prozent“, stellt Falk fest. Grund sei die hohe Versorgungsdichte mit Discountern.


Drive-in-Kunden kaufen doppelt zu viel

In Frankreich läuft derweil das Geschäft mit Drive-in-Filialen immer besser. Die Franzosen haben keine Hemmungen, ihre Lebensmittel per Klick zu kaufen. Ihre Bestellungen werden bei Leclerc aufgeteilt. Das „pistolet“ von Stéphanie schickt nicht alle Wünsche an sie. Ein Teil landet nebenan im Kühllager. Dort sucht Hugo Tomaten und Kirschen zusammen. „Wir zeigen sie vor dem Einpacken den Kunden, damit sie sehen, dass sie 1a-Ware erhalten“, erklärt Bramas. Erst wenn der Kunde an der Säule vor dem Lager vorfährt und das Signal ertönt, wird die frische Ware auf den grauen Rollcontainer zu  den anderen Artikeln gestellt. „Drive-Käufer kaufen doppelt so viele Artikel wie Supermarkt-Kunden“, freut sich Bramas.

Seiner Erfahrung nach kommt diese bequeme Art des Einkaufens besonders bei jungen Führungskräften gut an. „Aber auch Mütter fahren lieber hierher, als mit ihren Kleinkindern durch den Supermarkt zu hetzen.“ An einem Wochentag sind es rund 80 Bestellungen täglich, am Wochenende kommen bis zu 200 Kunden angefahren. „Wichtig ist, dass wir  auf dem Weg von der Arbeit nach Hause liegen“, betont der Vorstandsvorsitzende, der die Autobahn A31 vor der Tür hat.

Im Gefriergutlager herrschen minus 25 Grad. „Wir haben extra mannshohe Glastüren eingesetzt, damit die Mitarbeiter gut an die Ware können. Dann sind sie nicht so lange den tiefen Temperaturen ausgesetzt“, sagt Bramas. Auch hier laufen seine Angestellten mit kleinen Lesegeräten herum. Die Ware wird allerdings nicht im Caddie gelagert, sondern im Gefrierschrank. „Die örtliche Krankenkasse hat uns gelobt, weil wir die Mitarbeiter regelmäßig an den drei verschiedenen Posten einsetzten. Sie räumen abwechselnd Regale ein, bereiten Einkäufe vor und liefern aus“, unterstreicht er.

Bramas hält sein Smartphone an den Barcode einer Essigflasche. Auf dem Display erscheint die Flasche mit Preis und Foto der Ware. „Das ist meine elektronische Einkaufsliste. Wenn etwas aufgebraucht ist, stellt meine Frau so die Liste zusammen und schickt sie mir per SMS“, lächelt Bramas. Er ist so überzeugt von der neuen Art des Einkaufens, dass er in einen dritten Abholmarkt investiert.

Böse Überraschungen für Kunden gibt es laut ihm nie. „Das pistolet kann sich dank der Technik nicht irren.“ Das demonstriert er mit Stéphanies Apparat. Er hält ihn an einen Artikel, der nicht auf der Liste steht. Statt zufrieden zu piepen und den Artikel mit einem Häkchen zu versehen, brummt der Apparat empört auf. „Sehen Sie“, sagt Bramas, „er kann sich nicht vertun.“

Für den Manager ist der neue Absatzkanal eine Zukunft – und im von Arbeitslosigkeit geplagten Frankreich auch eine Hoffnung. 15 Mitarbeiter arbeiten im Drive, 400 im Hypermarché nebenan. Die Filiale bringt Leclerc neue Kunden. „Wir brauchen allerdings sieben Jahre, um die Investition zu amortisieren“, rechnet Bramas vor. Der Abholmarkt ist 1700 Quadratmeter groß und damit deutlich kleiner als der Hypermarché nebenan mit seinen 11.000 Quadratmetern. Er arbeitet mit der deutschen Rewe-Gruppe im Einkauf zusammen und ist erstaunt, dass es in Deutschland noch keine Drives gibt. „Das Potential ist auf jeden Fall da.“

Stéphanie hat inzwischen zwei graue Kisten wie Zugwaggons aneinander gereiht. Sie geht zügig nach draußen zum Kunden und fährt die Ware bis vor den Kofferraum. Die junge Kundin zahlt nichts für den Service, den sie von 8 – 20.30 Uhr nutzen kann. Sie lächelt, schließt den Kofferraum und ist zufrieden, in fünf Minuten fertig mit dem Wocheneinkauf zu sein. Im Lager piept es bereits wieder. Ein grauer Peugeot ist vorgefahren und der Fahrer hält seine Kundenkarte an die Säule.

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