Der Mann, der Schlecker retten soll, trägt Schwarz. Nur der Trauerflor fehlt, als Arndt Geiwitz, Insolvenzverwalter der gestrauchelten Drogeriekette, am vergangenen Mittwoch in einem Frankfurter Hotel die drastischen Einschnitte vorstellt, mit denen er den Handelskonzern retten will. Das Signal ist klar: Es wird heftig für die Mitarbeiter. Fast 12 000 Arbeitsplätze könnten wegfallen. An Deutlichkeit fehlt es auch nicht bei Geiwitz zweiter Botschaft: Der Verwalter führt das Kommando, nicht die Familie. Anders als bei früheren Präsentationen fehlen diesmal Meike und Lars Schlecker, die Kinder des Gründers, auf dem Podium. Auch mit Kritik am „patriarchischen“ Führungsstil des früheren Seifenkönigs Anton Schlecker spart der Verwalter nicht.
Die Ansage, wer jetzt das Sagen bei dem Pleite-Drogisten hat, schien überfällig. Schon lange fragten sich Insolvenzexperten, warum Geiwitz den Clan, der letztlich verantwortlich für das Desaster ist, weiterhin öffentlichkeitswirksam agieren ließ. Doch der Verwalter hatte gute Gründe. Zum einen besitzt der Name Schlecker bei etlichen Führungskadern noch Gewicht. Die Familie war ein willkommenes Kommunikationsscharnier zwischen dem Verwalter und den altgedienten Kräften.
Zum anderen kämpfen die beiden Junioren seit eineinhalb Jahren mit Nachdruck und durchaus glaubwürdig für einen Neuanfang des Konzerns. Ein dritter Grund könnte für Geiwitz letztlich aber entscheidend gewesen sein: Lars und Meike Schlecker zählen offenbar selbst zu den großen Gläubigern des Konzerns.
Ein Fall wie für Schuldnerberater Peter Zwegat
Die Schleckers hatten in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag in das Geschäft gepumpt, um die Restrukturierung voranzubringen. Einen Teil davon steuerten die Kinder offenbar in Form von Krediten an den Konzern bei, was zu einer Konstellation führt, die man sonst eher in den Privatfernsehtragödien von RTL-Schuldenberater Peter Zwegat („Raus aus den Schulden“) erwartet: Vater Schlecker, 67, ehemaliger Metzgermeister, steht bei Sohn und Tochter in der Kreide. Denn als Einzelkaufmann haftet der Patron für sämtliche Konzernverbindlichkeiten, also auch für Kredite seiner Kinder an den Konzern. Seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht Schlecker senior unter Kuratel des Verwalters. De facto entspricht das einer Privatinsolvenz, der Verwalter kann Anton Schlecker bis zur Pfändungsgrenze schröpfen.
Konzern auf Kur
Wie hoch die Forderungen von Lars und Meike Schlecker im Detail ausfallen, dürfte sich erst nach der regulären Eröffnung des Verfahrens voraussichtlich im April herausstellen, wenn die Geschwister ihre Außenstände bei Gericht beziffern.
Doch ein zweistelliger Millionenbetrag scheint realistisch zu sein, zumal intern sogar der Einzug eines Familienvertreters in den vorläufigen Schlecker-Gläubigerausschuss diskutiert wurde. „Die Frage stand im Raum“, bestätigte Geiwitz der WirtschaftsWoche am vergangenen Mittwoch. Er habe der Familie aber davon abgeraten.
In dem Gremium sind die wichtigsten Betroffenen vertreten, etwa der Schweizer Einkaufsverbund Markant und der Warenkreditversicherer Euler Hermes. Der Gläubiger-Ausschuss soll den Verwalter kontrollieren und unterstützen. Weder bei den übrigen Gläubigern noch bei möglichen Investoren wäre wohl nachvollziehbar gewesen, dass der Kontrolleur von Anton Schlecker wiederum von dessen Familienangehörigen beaufsichtigt wird. Wie könnte der Verwalter die vertrackte Gemengelage auflösen?
Denkbar wäre dereinst die Umwandlung interfamiliärer Forderungen in Anteile am sanierten Schlecker-Unternehmen. Er strebe eine Lösung an, „bei der die Familie eine Rolle spielt“, deutete Geiwitz bei der Präsentation seiner Sanierungspläne an.
Radikalkur à la Geiwitz
Doch das ist Zukunftsmusik. Derzeit verbrennt Schlecker rund 20 Millionen Euro pro Monat. Bis April will Geiwitz die Verluste stoppen und hat dem Unternehmen eine Radikalkur verordnet. Auf 3000 Standorte könnte er das Filialnetz schrumpfen - einst waren es rund 10 000. Auch einzelne Auslandsgesellschaften stehen zur Disposition. Von Mai an will Geiwitz bei Shampoo, Spüli und Schminke den Rotstift ansetzen, da der Konzern gegenüber Rivalen wie dm und Rossmann auf Preisebene seit Jahren nicht mehr satisfaktionsfähig ist.
Schließlich soll eine neue, offene Führungskultur im Unternehmen verankert werden. Letzteres ist auch ein Zugeständnis an die Gewerkschaft Verdi, deren Vertreter von der Höhe der geplanten Stellenstreichungen überrascht wurden. Ein Gewerkschafter war im Vorfeld von 8000 bis maximal 10 000 Jobs ausgegangen, die wegfallen würden. Nun sollen es nach den bisherigen Zahlen fast 12 000 werden.
Schlecker-Mitarbeiterinnen brauchen Weiterqualifizierung
Womöglich kann die Gewerkschaft die Zahl noch etwas drücken und so einen Achtungserfolg verbuchen. Doch der Spielraum ist begrenzt. In den kommenden Wochen müssen die Arbeitnehmervertreter und der Insolvenzverwalter einen Sozialplan für die Massenentlassungen in Logistikzentren und Filialen aushandeln.
Besonders bitter: Viele Schlecker-Verkäuferinnen haben wenig Chancen, sofort eine neue Beschäftigung zu finden. „Wir brauchen dringend eine Transfergesellschaft für Qualifikation und Vermittlung“, forderte bereits Verdi-Chef Frank Bsirske. Rückenwind bekommt er vom baden-württembergischen Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid. Die Schlecker-Mitarbeiter müssten für jahrelange, unternehmerische Fehler den Kopf hinhalten. "Der Staat ist gefordert, die Folgen abzumildern."
Paket für den Investor
Kommt die Auffanggesellschaft zustande, könnte auch das Bundesarbeitsministerium helfen, geht aus einem „Bericht der Bundesregierung zur Insolvenz von Schlecker“ hervor. „Sollte aufgrund eines Sozialplans die Gründung von Transfergesellschaften in Betracht kommen“, heißt es darin, „können diese bis zu zwölf Monate mit Transferkurzarbeitergeld gefördert werden.“
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
Das Problem: Die Schlecker-Filialen sind deutschlandweit verteilt. „Für eine Auffanggesellschaft mit einer so dezentralen Struktur gibt es bislang kein Vorbild“, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Vor allem Baden-Württemberg steht vor einer Herausforderung; die Schlecker Firmenzentrale befindet sich in Ehingen, in der Nähe von Ulm, die Filialen des Drogeristen sind aber über ganz Deutschland verstreut. Wirtschaftsminister Schmid fordert daher eine länderübergreifende Initiative.
Es muss schnell gehen
Parallel zu den Verhandlungen mit Verdi und den Betriebsräten will Geiwitz auch mit den Vermietern der Läden sprechen und bis Mitte April die Filialzahl herunterfahren. Die Zeit drängt. „Wir haben keine Luft für eine langsame Sanierung“, sagt Geiwitz. Denn der Minustrend der letzten Monate schreckt Investoren ab.
Zwar geht der Verwalter im Prinzip auch davon aus, Schlecker ohne externe Geldgeber weiterzuführen. Allerdings dürfte es schwerfallen, die Gläubiger, die letztlich über den Insolvenzplan entscheiden müssen, von dieser Option zu überzeugen. Mit einem Investor als Garanten für eine Weiterführung stünden die Chancen höher.
Um den zu finden, setzt Geiwitz vorerst auf eine Paketlösung: Er will das vergleichsweise attraktive Filialnetz im Ausland - vor allem in Spanien und Österreich - zusammen mit den deutschen Krisenläden verkaufen. Auch das wachstumsstarke Online-Geschäft und die Zweitmarke Ihr Platz sollen möglichst zusammen mit den Schlecker-Märkten den Besitzer wechseln.
Für Finanzinvestoren böte die Paketlösung den Reiz, später selbst mögliche Zerschlagungsgewinne einfahren zu können. Für Konkurrenten wie Rossmann ist ein Einstieg bei Schlecker derweil keine Option. Nur die Übernahme einzelner Filialen wäre im Fall einer Zerschlagung des früheren Drogerie-Dominators interessant.
Unterdessen wollen neue Konkurrenten von Schleckers Niedergang profitieren. Auch Supermärkte und Discounter wollten „als Nahversorger den Wegfall der Kleinstflächen bei Schlecker kompensieren“, heißt es in einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG.