Druck vom Discounter Wie Aldi und Lidl Tesco ausbooten

Die Zahlen des Supermarkt-Riesen Tesco sind schlecht. Der neue Konzernchef Lewis streicht deshalb Investitionen, Dividende und Standorte zusammen. Im Kampf mit Aldi und Lidl wird ihn das allein nicht retten.

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2014 war ein schwarzes Jahr für Tesco. Quelle: REUTERS

Das Jahr 2014 war für den Supermarktriesen Tesco ein katastrophales. Die Umsatzzahlen und Marktanteile der größten Supermarktkette Großbritanniens sind stark gefallen. Im Sommer erklärte Vorstandschef Philip Clarke nach nur drei Jahren seinen Rücktritt. Schließlich flog auf, dass die Halbjahres-Bilanz des Konzerns nicht stimmte. Die zu hoch angegebenen Gewinnerwartungen riefen auch die Aufseher auf den Plan. Die Londoner Finanzaufsicht FCA ermittelt noch.

Vier Mal musste der Konzern in den vergangenen Monaten zudem eine Gewinnwarnung ausgeben. Immerhin: Das erst Anfang Dezember kassierte Gewinnziel für das noch laufende Geschäftsjahr wird sich nun offenbar bestätigen. Das zumindest teilte Tesco am Donnerstag mit. Grund zur Freude ist das allerdings kaum: Der Handelsgewinn werde im Februar endenden Geschäftsjahr nicht die Marke von 1,4 Milliarden britischen Pfund erreichen, heißt es - nach 3,3 Milliarden Pfund ein Jahr zuvor.

Die größten Discounter der Welt 2014

Die vielen Horrormeldungen setzen Tesco auch an der Börse zu. Anfang Dezember rauschte die Aktie auf den tiefsten Stand seit 15 Jahren. Binnen eines Jahres hatte das Papier mehr als die Hälfte seines Werts verloren. Erholt hat es sich seitdem kaum.

Tesco steckt in einem tiefen Sumpf. Ein neuer Vorstandschef soll den angeschlagenen Riesen nun rausziehen: Dave Lewis ist gekommen, um lange Versäumtes aufzuholen und neue Wege einzuschlagen. Die erste umfassende Strategieanweisung des früheren Unilever-Managers mit dem Spitznamen „Drastic Dave“ war in ihrer Stoßrichtung zu erwarten – und lautet verkürzt: Kostensenkung.

Radikalkur für Tesco

43 unprofitable Geschäfte sollen geschlossen werden, kündigte Lewis am Donnerstag an. Auch der Firmensitz in Chesnut wird dicht gemacht. Stellenstreichungen sind programmiert. Darüber hinaus kappte der neue Chef die Investitionen um die Hälfte und strich die Schlussdividende für Aktionäre.

Das Handelsunternehmen will sich in Zukunft verschlanken und gab bekannt, den Streaming-Dienst Blinkbox verkauft zu haben. Man lasse sich "die Möglichkeit für eine zukünftige Veräußerung offen“, sagte Lewis.

Allein mit Kostensenkungen und Verschlankung ist es kaum getan. Schuld an der Tesco-Misere sind vor allem zwei deutsche Export-Schlager: Die Billigheimer Aldi und Lidl. Beide Discounter sind schon länger auf der Insel vertreten. Aldi eröffnete seine erste Filiale 1990, Lidl folgte vier Jahre später.

Für Wirbel sorgen die deutschen Angreifer aber erst seit einigen Jahren – dafür aber ziemlich ordentlich. Zusammen kommen sie auf einen Marktanteil von etwas mehr als acht Prozent – und liegen damit zwar deutlich hinter Tesco mit 28,8 Prozent. Ihre Wachstumsraten aber sind enorm: sie liegen bei teils mehr als 15 Prozent pro Quartal.

Warum Aldi und Lidl Großbritannien erobern

In England punkten die deutschen Discounter mit dem Konzept, dass sie schon in Deutschland groß gemacht hat: Spartanische Produktpräsentation, wenig Service, kein Schnickschnack und dafür Waren zum Kampfpreis. Lebensmittel für den täglichen Bedarf gibt es für deutlich unter einem Pfund.

Die Waren sind damit meist deutlich billiger als bei Konkurrenten wie Asda und Sainsbury, obwohl die bereits seit mehr als einem halben Jahr mit Preissenkungen reagieren. Auch Tesco kündigte am Donnerstag weitere Preissenkungen für Hunderte Markenprodukte an und testet beim Convenience-Ableger One Stop ein eigenes Discount-Format.

Dass die britische Bevölkerung die Niedrigpreise zu schätzen weiß, ist kein Wunder. Seit geraumer Zeit kämpft sie mit sinkenden Reallöhnen. Das verfügbare Einkommen ist deutlich niedriger als noch 2008.

Aldi und Lidl locken nicht nur Sparfüchse

Doch es ist nicht der Niedrigpreis allein. Einst waren Lidl und Aldi tatsächlich nur für die Sparfüchse. Heute sind sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen, genau wie in Deutschland. Eine Studie des Marktforschungsinstituts Verdict Research aus dem Sommer vergangenen Jahres zeigt, dass fast 20 Prozent der Kunden, die regelmäßig bei Aldi einkaufen, zur Mittelschicht oder gar gehobenen Mittelschicht gehören.

Gelungen ist das, weil die Discounter auch andere Stärken von ihrem Heimatmarkt übertragen. Ihre Läden sind einfacher strukturiert, das Warenangebot ist deutlich übersichtlicher. Laut Marktforschern verbringen die Kunden sehr viel weniger Zeit bei Aldi und Lidl als bei Asda, Sainsbury und Tesco. Trotzdem können sie ihren täglichen Bedarf decken.

Chronologie: Der Aufstieg von Aldi

Wie in Deutschland haben die Discounter zudem ihr Portfolio in letzter Zeit vorsichtig erweitert. So bieten sie mittlerweile auch einige Markenprodukte führender Hersteller. Aldi lockt mit eigenen Edelmarken und dem Versprechen "Special Selected", Lidl mit einer Deluxe-Edition und dem Verkauf von Kaviar und Hummer.

Discounter wollen wachsen

In der Fläche wollen die Discounter zudem bald sehr viel präsenter sein und den Platzhirschen so weitere Anteile abjagen. Bis 2022 will etwa Aldi die Anzahl seiner Filialen in Großbritannien auf 1000 verdoppeln.

Besserer Preis, bessere Struktur, Wachstumspotential: Während sich Tesco-Manager im Hinterzimmer den Kopf über Abwehrmaßnahmen gegen die deutschen Angreifer zerbrechen, liefern sie sich in der Öffentlichkeit bloße Scharmützel mit den Discountern.

Die Geschichte des Preiskönigs Aldi
Am 10. April 1913 eröffnete Karl Albrecht sen. in der Essener Huestraße 89 einen Tante-Emma-Laden. Im Sortiment die Dinge des täglichen Bedarfs wie Mehl, Zucker und Brot. Und diese erste Filiale steht bis heute - wenn auch mit einem größeren Angebot. Quelle: Gemeinfrei
Den heutigen Namen bekam der Discounter von den Albrecht-Söhnen Karl († 94) und Theo († 88), die das Geschäft ihres Vaters nach Kriegsende ausbauten. Wegen ihres Preiskonzepts nannten sie die 30 Filialen "Albrecht Discount" - kurz Aldi. Quelle: dpa
Die ersten Geschäfte der Albrecht-Brüder waren klein und im Stile eines Tante-Emma eingerichtet. Die Konkurrenzen durch Supermärkte zwang die Unternehmer zu Beginn der 1960er-Jahre zum Umdenken. Sie setzten zunehmend auf eine Niedrigpreis-Strategie. Um Kosten zu sparen, wurden in den Filialen zum Beispiel keine verderbliche Frischwaren mehr angeboten. Auch an der Einrichtung der Filialen und dem Personal wurde stark gespart. Quelle: AP
Um sich nicht in die Quere zu kommen, teilten die Aldi-Brüder ihr Geschäft in Nord (Theo) und Süd (Karl) auf. Nur in Gummersbach und Siegen gibt es Filialen von Aldi Nord und Aldi Süd. Quelle: Creative Commons
Aldi gehört heute zu den bekanntesten Marken Deutschland. Jeder dritte Deutsche kauft regelmäßig dort ein. Quelle: dpa
Bundesweit erreicht Aldi einen Umsatz von mehr als 26 Milliarden Euro. Außerdem gehört der Discounter zu Deutschlands zehn größten Textilhändlern. Quelle: dpa
Jedes sechste in Deutschland verkaufte Stück Obst kommt aus den Regalen von Aldi. Quelle: dpa


Zuletzt ließ Tesco gerichtlich eine Aldi-Werbekampagne verbieten. Der deutsche Discounter lockte darin Kunden mit dem Versprechen, dass sie bei ihrem wöchentlichen Einkauf Geld sparen, wenn sie zu Aldi wechseln. Die Spots der Kampagne suggerieren, Probanden hätten das ausprobiert und bestätigt. Tesco beschwerte sich. Die Angaben der Kampagne namens "Swap & Save" ("Tausche und Spare") seien veraltet und irreführend - und bekam recht.

Unangenehmer Wermustropfen des Urteils: Die zuständige Behörde für Werbestandards ASA teilte mit, die Kampagne sei nur im Detail irreführend. Grundsätzlich sei die Aussage, dass Kunden bei Aldi sparen können stimmig.

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