Herr Mohr, das Wachstum im E-Commerce ist ungebrochen und macht dem stationären Handel zu schaffen. Goldene Zeiten also für Online-Händler?
Nicht unbedingt. Dass der traditionelle Handel in seiner derzeitigen Form massiv unter Druck geraten ist und wir in den kommenden Jahren mit Marktaustritten rechnen müssen, ist bekannt. Die entscheidenden Fragen lauten, zu welchen Online-Wettbewerbern die Umsätze abfließen werden und wie viele Shops im Netz davon letztlich profitieren werden. Gemeinsam mit dem E-Commerce-Experten Kai Hudetz vom Electronic Commerce Center Köln (ECC Köln) haben wir das Thema analysiert und eine Vielzahl von Studien, die am Institut für Handelsforschung entstanden sind, ausgewertet.
Was kam dabei heraus?
Die Erosion im Handel ist gewaltig – Online wie Offline. Bis zu 78.000 - also rund 30 Prozent aller stationären Filialen - werden bis zum Jahr 2020 schließen, so eine Prognose des IFH. Weitere 40 Prozent werden nur überleben, wenn es ihnen gelingt, ihr Geschäftsmodell grundlegend zu verändern. Aber auch ein Großteil der heute existierenden Online-Shops hat auf Dauer keine Chance, wenn sie sich nicht von ihren bisherigen 08/15-Ansätzen trennen.
Wie viele Online-Shops werden nach Ihrer Prognose bis 2020 auf der Strecke bleiben?
90 Prozent aller reinen Online-Shops werden nicht überleben.
Mit Verlaub, das klingt nach Panikmache. Warum sollten so viele Shops in den kommenden Jahren schließen?
Die Preistransparenz im Netz sorgt für einen gnadenlosen Wettbewerb. Die Marketingkosten, um zum Beispiel über Suchmaschinen wie Google potenzielle Kunden auf die Internetseiten eines Shops zu locken, sind immens. Zudem schicken gerade die deutschen Verbraucher viele Waren als Retouren zurück. All das führt dazu, dass viele kleinere Shops Verluste schreiben oder die Gewinnmargen so gering ausfallen, dass am Ende nichts mehr für Investitionen übrig bleibt. Selbst der Online-Modehändler Zalando, das wohl prominenteste deutsche Internetunternehmen, schreibt noch immer Verluste. Das zeigt, wie schwierig die Lage in der Branche ist.
Die Margen der Berliner steigen und in der Kernregion - Deutschland-Österreich und Schweiz – ist das Unternehmen allen Retouren zum Trotz profitabel.
Auf Konzernebene sieht es bei Zalando anders aus. Womöglich schafft es das Unternehmen auch irgendwann in die Gewinnzone. Entscheidend ist aber, wie lange dieser Prozess dauert. Das halten nur sehr wenige Unternehmen durch.
Was sich im Handel ändern muss
Wer könnte von der Entwicklung profitieren?
Wir gehen davon aus, dass Amazon inzwischen eine solch dominante Position im E-Commerce erreicht hat, dass in vielen Sortimentsbereichen nur Platz ist für ein oder zwei weitere große Online-Anbieter. Zudem werden kleinere Nischenanbieter ihren Platz finden. Auch für große Markenherstellern ist es ein Leichtes am klassischen Handel vorbei, über eigene Online-Shops künftig mehr Ware direkt an ihre Kunden zu verkaufen.
Wie sollten Online-Player reagieren, um auch künftig im Geschäft zu bleiben?
Die Frage ist aus unserer Sicht nicht, was nur Onliner anders machen müssen, sondern was sich im Handel insgesamt ändern muss. Die Kunden werden in Zukunft immer weniger zwischen den verschiedenen Einkaufskanälen trennen und wollen Filialen, Online-Shops und mobile Angebote jeweils passgenau nutzen.
Ein bisschen Multichannel reicht aus?
Ganz bestimmt nicht. Die verschiedenen Verkaufskanäle müssen ohne Bruchstellen miteinander verzahnt werden – und das ist nur die Grundvoraussetzung. Darüber hinaus ist es wichtig, Emotionen zu wecken. Dafür könnten Händler zum Beispiel Kunden-Events kreieren. Auch über so genannte Pop-up-Stores, also für eine kurze Frist angemietete Läden, lässt sich die Kundenansprache verändern.
Die Individualisierung und Personalisierung von Angeboten kann zudem dazu beitragen, sich von der Masse abzuheben. Am Ende läuft vieles auf das Thema Markenbildung zu. Marken schaffen Vertrauen, bieten Orientierung und Sicherheit – das wird auch in Zukunft von Bedeutung sein.