eCommerce Wie Online-Handel nicht mehr nerven soll

Staus, Lärm, Abgase: In der Vorweihnachtszeit verstopfen besonders viele Paketzusteller die Innenstädte. Hamburg erklärt sich jetzt zur Modellregion für Alternativen. Einen Standort für Amazon gibt es trotzdem nicht.

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Die Otto-Tochter Hermes testet derzeit in zwei Hamburger Stadtteilen Zustell-Roboter. Quelle: dpa

Hamburg Einkaufen im Internet könnte gerade in der Adventzeit so praktisch sein: Ein paar Clicks – und das Paket kommt zu Hause an. Käme bloß der Bote nicht immer gerade dann, wenn niemand da ist. Zu diesem Bequemlichkeitsproblem kommen ganz handfeste Nachteile für die großen deutschen Städte: Die eh schon verstopften Straßen werden noch stauanfälliger, Anwohner müssen mit Lärm und Abgas von immer mehr Zustellfahrzeugen leben.

Da hört sich ein jetzt vorgestellter Plan Hamburgs großartig an: Die Stadt solle eine „Modellregion“ für die Zustellung von Paketen auf der sogenannten letzten Meile – also vom Zustelllager zum Endkunden – werden, verkündete Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). „Saubere Luft und Mobilität zusammenzubringen gelingt nur über Innovationen“, sagte der frühere Manager in den schmucklosen Räumen der Wirtschaftsbehörde. Als größter Logistikstandort Deutschlands müsse sich die Hafenstadt insbesondere bemühen, den Luftreinhalteplan einzuhalten.

Noch allerdings klingen die Worte größer als die Inhalte. Über die bestehende regionale „Initiative Logistik“ sollen sich Unternehmen, Behörden und Wissenschaftler vernetzen. „Es geht um die Kombination erfolgreicher Großer mit Start-ups“, sagte Ex-Otto-Vorstand Peer Witten als Vertreter der Initiative. Die Otto-Tochter Hermes spielt denn auch eine größere Rolle: Sie testet derzeit in zwei Hamburger Stadtteilen Zustell-Roboter. Die Prototypen rollen allerdings bislang nur von einem Mitarbeiter begleitet über die Bürgersteige. Immerhin: Das bislang bis Jahresende vorgesehene Projekt soll nun noch um einige Wochen verlängert werden. Die Reaktion der Anwohner sei positiv, berichtete ein Hermes-Manager, technisch gebe es aber noch Probleme – etwa bei der mobilen Datenverbindung. Ansonsten testet Hermes in Hamburg kleinere Paket-Depots, von denen aus per Elektro-Rad geliefert wird. Als Teil des Projekts sei es außerdem gelungen, DPD davon zu überzeugen, eines seiner Elektro-Lieferfahrzeuge auch in Hamburg einzusetzen – statt nur in zwei bayerischen Städten.

Das Projekt „Modellregion“ schrumpft so zusammen auf ein Nebeneinander von kleineren Pilotprojekten. Die Initiative soll sie verknüpfen und will in einiger Zeit eine wissenschaftliche Untersuchung vorlegen, was funktioniert und was nicht. Offene Arbeitsgruppen besprechen dabei Ziele wie emissionsarme Fahrzeuge, alternative Zustellpunkte und innovative Zustellarten. Auch Themen wie Drohnen oder gar die Zustellung über Hamburgs innerstädtische Kanäle, die Fleete, könnten Themen sein.

Konkretere Ziele sind jedoch bislang nicht geplant. Ein Verbot etwa von Zustellfahrzeugen mit Verbrennungsmotor in der Innenstadt sei mit dem betont wirtschaftsfreundlichen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) „undenkbar“, hieß es aus dem Umfeld der Initiative. Der Politiker hatte sich wiederholt gegen größere Verkehrseinschränkungen ausgesprochen und will stattdessen auf Anreize für mehr Elektro- und Fahrradmobilität setzen. Die Rolle der Behörden sei es, Genehmigungen schneller zu erteilen, sagte Senator Horch. Die Genehmigung der Zustellroboter habe etwa nur drei Monate in Anspruch genommen, lobten die Beteiligten.


Otto-Stadt bremst Amazon aus

Allerdings: Eine andere Erfahrung spricht gegen die Vorreiterrolle Hamburgs bei der Logistik auf der letzten Meile. Anders als in Berlin und München liefert Marktführer Amazon in Hamburg noch immer nicht innerhalb einer Stunde über Prime Now. Der Grund: Die Behörden signalisierten Amazon schon vor einem knappen Jahr, ein geplantes Lager in einem Bürokomplex in City-Nähe habe keine Chance auf Genehmigung. Seitdem zieht sich die Standortsuche hin, bei der die örtliche Wirtschaftsförderung eigentlich Hilfe versprochen hatte. „Die Gespräche laufen weiter“, sagte Senator Horch jetzt. Wirtschaftsförderung, Stadtbezirke und Amazon seien im Gespräch – auch nach fast einem Jahr jedoch ohne Ergebnis. In Berlin besetzt Amazon mit seinen rund 6000 Quadratmeter großen Express-Lagern dagegen zentrale Orte im Kudamm-Karree, beziehungsweise in der Nähe des Hauptbahnhofs. „In Berlin und München funktionierte die Standortsuche sehr gut“, sagte eine Amazon-Sprecherin auf Anfrage. In Hamburg, Sitz des größten Konkurrenten Otto, hingegen zieht es sich. Immerhin hat Amazon bei einem ersten Treffen der neuen Hamburger Initiative teilgenommen. Doch ob das US-Unternehmen bei der Initiative weiter mitmachen wird, wollte die Sprecherin nicht sagen.

Größere Chancen sehen – neben den Logistikern Hermes, UPS, DPD und Dachser – offenbar die kleineren Partner. So will das Start-up Cido, eine Ausgründung der Universität Hamburg, ein Barcode-Lesegerät für Türen von Mehrfamilienhäusern vermarkten. Anhand des Strichcodes auf den Paketen soll das Gerät per Internet erkennen, ob tatsächlich eine Lieferung an die Anschrift erwartet wird und so berechtigten Paketzustellern die Tür freigeben. Ein erstes Haus in Hamburg sei damit testweise ausgerüstet, sagte Gründer Julian Wulf.

Daran knüpft der „Paket-Butler“ an. Das Unternehmen Feldsechs verkauft seit gut einer Woche bundesweit diese mit dem Internet verbundenen Paketsäcke, die sich an der Wohnungstür befestigen lassen. Sie öffnen sich per Zahlencode für Zusteller und bewahren anschließend das Paket versichert auf, bis der Empfänger zurück ist.


Große Deals verkündet Scholz persönlich

Auch Pakadoo ist dabei. Das junge Unternehmen bietet größeren Firmen die Möglichkeit, private Pakete von Mitarbeitern zu erkennen und vereinfacht zu bearbeiten. Eine Hoffnung: Zusteller sparen sich Fahrten, weil bei Pakadoo-Partnern wie der Bahn und IBM Mitarbeiterpakete gebündelt auflaufen.

Inwieweit das ausreicht, um aus Hamburg eine Modellregion zu machen, ist die Frage. Die genannten Projekte jedenfalls hat Hamburg in Deutschland nicht allein: Elektro-Fahrzeuge stellen auch anderswo zu, Mediamarkt testet dasselbe Roboter-Modell wie Hermes derzeit in Düsseldorf, auch die Start-ups zielen auf bundesweite Kundschaft. Potenzial für weitere Tests bietet jedoch die Rolle als größter Verkehrsknoten in Deutschland durch Hafen und Nord-Süd-Verkehr.

Der Ehrgeiz der zweitgrößten deutschen Stadt, bei Logistik vorn dabei zu sein, ist jedenfalls groß: Erst vor wenigen Wochen stellten Bürgermeister Scholz und Volkswagen-Chef Matthias Müller den Plan vor, die Hafenstadt zur weltweiten Vorreiterregion für die VW-Lösungen für smarte Logistik in allen Formen zu machen – von neuer Telematik im Hafen bis zu e-Mobilität.

Solche großen konkreten Deals nämlich verkündet Scholz lieber selbst, statt es seinen Senatoren zu überlassen: Nur wenige Stunden nach der Pressekonferenz der Initiative lud Scholz selbst für Dienstag in den prachtvollen Bürgermeistersaal des Rathauses. Thema: Die Post-Tochter DHL stellt ihre neuen Elektro-Zustellfahrzeuge für Hamburg vor – mit Fototermin im Innenhof.

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