Edeka und Tengelmann dürfen fusionieren Dieser Entscheid verändert den Lebensmittelhandel

Die Zitterpartie im Lebensmittelhandel hat ein Ende: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird die Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann genehmigen - unter Auflagen und gegen den Willen des Kartellamts.

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Die Fusion von Edeka und Kaiser's Tengelmann. Quelle: Marcel Stahn

Was hat Sigmar Gabriel entschieden?

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die umstrittene Übernahme der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann durch den Handelsriesen Edeka per Ministererlaubnis unter Auflagen gebilligt. Trotz diverser Gebote hätten Karl-Erivan Haub, Patron der Tengelmann-Gruppe, und Edeka-Chef Markus Mosa ihr Fusions-Ziel damit erreicht.

Was bedeutet das konkret für Edeka und Kaiser's Tengelmann?

Kaiser's Tengelmann betreibt etwa 450 Filialen und beschäftigt rund 16.000 Menschen. Akzeptieren die beiden Partner Gabriels Auflagen, sollen sie künftig von Edeka geführt werden. Es wäre die größte Fusion in der Lebensmittelbranche seit dem Zusammenschluss von Plus und Netto 2008.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands


Und was sind das für Auflagen?

Gabriel will Edeka die Übernahme erlauben, wenn Edeka unter anderem umfassende Arbeitsplatz- und Standortgarantien abgibt. So müssten 97 Prozent der 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann zumindest für fünf Jahre gesichert sein. Zudem sollen die Tengelmann-Filialen für fünf Jahre nicht ohne Weiteres an Selbstständige Einzelhändler verkauft werden. Edeka müsse alle Bedingungen erfüllen, sonst werde er keine Ministererlaubnis erteilen: „Es gibt keine Hintertür“, betonte Gabriel.

Unter Dach und Fach ist der Deal aber noch nicht. „Mit dem heutigen Tag ist das Verfahren nicht abgeschlossen“, so Gabriel in Berlin. Bis zum 26. Januar können sowohl Edeka und Tengelmann als auch 13 weitere Verfahrensbeteiligte - darunter Konkurrenten und Gegner der Fusion - ihre Stellungnahmen zu den von ihm genannten Auflagen abgeben.

Was sagt Edeka zu dem Entscheid?

Die Einzelhandelskette begrüßt die Entscheidung: „Dies ist ein guter Tag für die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann, die jetzt die Perspektive auf eine sichere Zukunft unter dem Dach des Edeka-Verbunds haben“, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens. Edeka werde im Interesse aller Beteiligten die Bedingungen so schnell wie möglich und mit der gebotenen Sorgfalt angehen, damit einer Übertragung nichts mehr im Wege stehe.


Hat die Fusion nicht viele Gegner?

Doch. Sigmar Gabriel setzt sich über das Urteil des Bundeskartellamts und die Einschätzung der Monopolkommission hinweg. Eine solche Ministererlaubnis hat Seltenheitswert: Von den 21 Anträgen in der Geschichte der Bundesrepublik waren bislang gerade einmal acht bewilligt worden. Gabriel muss also überzeugt sein, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Fusion deutlich schwerer wiegen als rein wettbewerbsrechtliche Kritikpunkte.

Warum ist die Edeka-Tengelmann-Fusion so umstritten?

Schon jetzt ist Edeka die unangefochtene Nummer 1 im Lebensmittelhandel. Mit der Übernahme zusätzlicher Filialen wächst die Marktmacht. Das stößt nicht nur Konkurrenten sauer auf. Kartellschützer befürchten, dass der Lebensmittelhändler seinen starken Einfluss künftig dazu nutzt, bei den Produzenten hohe Rabatte rauszuschlagen - und sie über Gebühr unter Druck setzt. Bereits jetzt klagen Lieferanten über Edekas Art, Geschäfte zu machen. „Das sind mit die härtesten Burschen“, sagte etwa der Chef eines niedersächsischen Herstellers der WirtschaftsWoche. Er beklagt einen „Wust an Forderungen und Rückvergütungen“, der das Geschäft für ihn unkalkulierbar mache. Auch Bauern und Hersteller hatten sich gegen eine Fusion ausgesprochen. Von Seiten der Gewerkschaften war zu hören, der Schutz der Arbeitsplätze sei nicht ausreichend. Der Vorsitzende der Monopolkommission sprach von einer „Entscheidung zulasten des Wettbewerbs“.

Edekas neue Macht

Wie groß ist Edekas Marktmacht nach der Fusion wirklich?

Der deutsche Lebensmittelhandel ist insgesamt hochkonzentriert. Die vier großen Player der Zunft – Aldi, Lidl, Rewe und vor allem Edeka - beherrschen mehr als 85 Prozent des Marktes. Edeka allein kommt nach Schätzungen des Bundeskartellamts auf einen Marktanteil von 25 bis 30 Prozent. Kaiser's Tengelmann kommt gerade einmal auf 0,6 Prozent. Bundesweit mag der Zuwachs nach der Fusion zwar nicht so stark ins Gewicht fallen. Doch darauf kommt es in der Praxis nur zum Teil an.


Wer zum Wochenendeinkauf ausrückt, bevorzugt den Supermarkt um die Ecke. Und dort ist Kaiser’s Tengelmann in den drei Regionen München, Berlin und Nordrhein-Westfalen durchaus eine Größe - und bisher oft die einzige Alternative zu den Handelsriesen Edeka und Rewe. Durch die Übernahme wird sich Edeka nun in einzelnen Gebieten zum Alleinherrscher aufschwingen können.

Was löst die Fusion im Einzelhandel aus?

Obwohl Kaiser’s Tengelmann bundesweit nur einen kleinen Marktanteil hat, führt die Übernahme durch Edeka in einigen Gebieten zu einer Machtverschiebung. „Edeka ist derzeit in Berlin bereits Marktführer. Sollten alle Kaisers-Filialen dort übernommen werden, dann würde jeder fünfte Euro, den die Berliner im Lebensmitteleinzelhandel ausgeben, in einem Edeka-Geschäft umgesetzt werden“, so Fred Hogen, Handelsexperte beim Marktforschungsunternehmen Nielsen zu WirtschaftsWoche Online. Auch in der bayrischen Hauptstadt könnte Edeka deutlich an Einfluss gewinnen und hinter Aldi Süd zur zweitstärksten Kraft in München werden. Der Einfluss auf NRW dürfe insgesamt geringer ausfallen, sagt Nielsen-Experte Hogen. Aber: „Ein Effekt der Übernahme kann sich aber in den zwei bevölkerungsstärksten Städten Köln und Düsseldorf zeigen, wo Edeka seine Marktposition deutlich ausbauen kann.“





Und was bedeutet der Zusammenschluss für den Verbraucher?

Das ist umstritten. Der Vorsitzende der Monopolkommission Zimmer geht davon aus, dass durch den Zusammenschluss der Wettbewerb an einer ganzen Reihe von Standorten geschwächt wird. „Es fallen Alternativen weg. Damit dürften steigende Preise und eine verringerte Auswahl für die Kunden einhergehen“, meint er.
Andere Handelsexperten sehen das gelassener. So glaubt Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, dass der Zusammenschluss kaum Auswirkungen auf den Wettbewerb haben wird. Für die Lieferanten mache es überhaupt keinen Unterschied, denn Edeka sei heute schon übermächtig als Abnehmer. Und auch für die Verbraucher sei der Unterschied gering. „Man sollte das nicht überbewerten. Denn Tengelmann war kein Preisführer. Die Kette war gar nicht stark genug, die Wettbewerber zu Preissenkungen zu zwingen.“

Eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) jedenfalls zeigt, dass sich der Zusammenschluss von Lebensmittelhändlern negativ auf die Produktvielfalt auswirken kann. Wo direkte Konkurrenten verschwinden, haben die Forscher anhand von Beispielen aus den Niederlanden festgestellt, sinkt die Markenvielfalt. Im Klartext: Es gibt weniger Auswahl bei der Wurst.

Was hat Sigmar Gabriel zu seinem Urteil bewegt?

Mosa und Haub hatten von Anfang an alle ordnungspolitischen Einwände gegen die Großübernahme mit dem Hinweis auf den drohenden Verlust von Tausenden Stellen im Fall einer Ablehnung gekontert. Alain Caparros, Chef des Wettbewerbers Rewe, nannte das zwar einen Erpressungsversuch. Für Gabriel hingegen scheint es einer der Hauptgründe gewesen zu sein, der Fusion zuzustimmen. Im Originalschreiben zur Ministererlaubnis, das WirtschaftsWoche Online vorliegt, heißt es: "Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie beabsichtigt [...] zur Absicherung des Gemeinwohlgrundes „Erhalt der Arbeitsplätze und Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse".




Warum wollten Edeka und Tengelmann den Deal überhaupt?

Das Geschacher um die Fusion dauerte über ein Jahr. Beide Parteien hatten sich früh aufeinander festgelegt - aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Die Tengelmann-Gruppe macht mit der Supermarktkette nach eigenen Angaben seit 15 Jahren Verluste - insgesamt 532 Millionen Euro seit dem Jahr 2000.

Edeka hingegen hat andere Probleme: Zusammen mit dem konzerneigenen Billigheimer Netto Markendiscount kommt der Händler mittlerweile auf  knapp 12.000 Märkte in Deutschland. Mehr geht kaum. Will das Unternehmen weiter wachsen, ohne sich selbst Konkurrenz zu machen, muss es Wettbewerber übernehmen.

Gab es denn keine Alternative?

Doch. Verschiedene andere europäische Händler darunter Rewe oder die Schweizer Migros-Gruppe hatten zumindest Interesse an einigen Filialen und Gebieten bekundet. Bis zuletzt klagten die Interessenten aber darüber, dass Tengelmann-Chef Haub kein Interesse an einem anderen Fusions-Partner zeigte.

Mit Material von dpa

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