Ein Jahr nach Bangladesch Viel versprochen, wenig gehalten

Ein Jahr nach dem verheerenden Fabrikbrand in Bangladesch ist bei deutschen Textilunternehmen nicht viel passiert in Sachen Arbeitsschutz. Warum die bisherigen Standards noch keine Lösung sind.

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Vor einem Jahr stürzte in Bangladesch eine Textilfabrik ein. Etliche Bürger versuchten, Verschüttete zu retten. Für mehr als 1100 Menschen kam jede Hilfe zu spät. Quelle: dpa

Köln Das Tackern der Nähmaschinen, das Summen der Ventilatoren, das Gewirr der Stimmen -  ob sie eine Textilfabrik in Bangladesch betritt oder etwa eine in China, hört Maren Barthel allein an dem Lärm, der aus den Hallen strömt. Als Sozialprüferin hat sie bereits unzählige Textilfabriken besucht, für den Hamburger Handelsriesen Otto bereist sie regelmäßig die verschiedenen Herstellerländer in Asien und kontrolliert die Sicherheits- und Sozialstandards der Lieferanten.

Otto geht mit der Entsendung eigener Prüfer für Sozialstandards weit über das hinaus, was die meisten deutschen oder europäischen Modeunternehmen in Kontrollen in Billiglohnländern wie Bangladesch investieren. Auch nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Dhaka am 24. April 2013 mit mehr als 1100 Toten stützen sich die meisten deutschen Textilhändler vor allem auf die BSCI-Initiative, die inzwischen mehr als 1000 Mitglieder hat– darunter auch große deutsche Discountketten wie Aldi oder Lidl. Erklärtes Ziel von BSCI ist die Verbesserung der Sozialstandards bei den Lieferanten. Kritiker zweifeln jedoch an der Wirksamkeit dieser Standards.

 „Diese Kontrollen sind besonders preisgünstig für die westlichen Textilunternehmen – für die Arbeiter vor Ort verbessert sich dadurch überhaupt nichts“, sagt Maik Pflaum von der christlichen Initiative Romero, die sich für Arbeits- und Menschenrechte einsetzt. Vor allem die Audits, die BSCI durchführt, werden von Nichtregierungsorganisationen als leicht zu unterlaufen kritisiert.

Das erkenne man auch an dem von BSCI in Auftrag gegebenen Auditing des Rana Plaza Gebäudes nur Monate vor dem Einsturz: „Hier wurde zum Beispiel nicht nach Gebäudesicherheit gefragt“, sagt Frauke Banse von der Kampagne für saubere Kleidung. Zwar war das auch nicht die Aufgabe der Sozialprüfer – doch so verwirkten Audits ihren Zweck, so Banse.

Selbst die Verbände räumen die begrenzten Kapazitäten für Kontrollen ein. „Welche Aspekte geprüft werden, also ob etwa Gebäudesicherheit oder ökologische Standards dazugehören, ist auch eine Frage von Kapazitäten. Man wollte erst einmal Fortschritte im Bereich der Sozialstandards erzielen. Kapazitäten für weitere Kontrollen darüber hinaus waren nicht vorgesehen“, sagt Stefan Wengler, Geschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE), in der auch die Textilunternehmen vertreten sind. Das sei allerdings auch von Stakeholdern nie beanstandet worden. Inzwischen sind die BSCI-Audits verschärft worden – sie sollen öfter unangemeldet stattfinden und die Prüfkriterien sind ausgeweitet worden. Kritikern geht das noch nicht weit genug.


Sorgfältige Kontrollen kosten Geld

Ein wesentlicher Hebel für Verbesserungen in einem Billiglohnland wie Bangladesch steckt sowieso im Einkaufsverhalten der westlichen Modeunternehmen – in diesem Punkt sind sich die sonst so verfeindeten NGOs und die Textilunternehmen ungewöhnlich einig. Die Unternehmen sehen da erste Verbesserungen. „Früher war es so, dass die Einkäufer lediglich auf günstige Preise und schnelle, flexible Lieferung zu achten hatten, während sich die CSR-Verantwortlichen im Unternehmen auf Einhaltung sozialer Standards kümmern sollten. Beides widersprach sich teilweise“, sagt AVE-Geschäftsführer Wengler.

Denn Nachhaltigkeit in Form von Gebäudesicherheit, Sozialstandards und entsprechend sorgfältigen Kontrollen kosten Geld. Sind die Lieferpreise besonders günstig, können die Standards, an die sich ein Lieferant hält, nicht sehr hoch sein.

„Da  tobt ein Kampf innerhalb der Unternehmen“, sagt Maik Pflaum. „Das lässt sich nur lösen, wenn von der Unternehmensleitung her klar geregelt wird, was Vorrang haben soll.“ AVE-Geschäftsführer Wengler glaubt, dass es mittlerweile zwischen den Zielsetzungen des Einkauf und der CSR-Verantwortlichen eine gewisse Annäherung gibt. Doch nur wenige Modeunternehmen gehen bisher in diese Richtung. Bei Otto etwa gibt es eine Mitverantwortung der Einkäufer für die Fabriken, in denen sie Aufträge platzieren, bei C&A können die Beschaffer für Nachhaltigkeit im Einkauf einen Bonus bekommen. Doch damit stehen diese beiden Familienunternehmen noch recht allein da.

Zwar ist nach Rana Plaza keine größere Katastrophe mehr passiert, doch die Zeit drängt: Baumängel, die zu Einsturz- und Brandgefahr führen, stellen in der bengalischen Textilindustrie nach wie vor ein riesiges Problem dar. Im Juli 2013, nur wenige Wochen nach dem Einsturz von Rana Plaza, trat in Bangladesch ein Abkommen für Brandschutz und Gebäudesicherheit in Kraft, der sogenannte Accord, in dem sich vor allem europäische Textilunternehmen zusammengeschlossen haben und eine große Anzahl von Produktionsstätten einer sorgfältigen Prüfung unterziehen wollen.

Erste Fabriken wurden bereits dicht gemacht, nachdem sie im Rahmen des neuen Abkommens geprüft worden und durchgefallen waren. „Teilweise handelte es sich dabei um Fabriken, die man bis dahin gar nicht zu den schlechtesten gezählt hatte. Da stellt sich schon die Frage, wie viele wegen Baumängeln eigentlich gar nicht betrieben werden dürften“, sagt Maik Pflaum von Romero. „Da ist jetzt richtig Druck in dem Kessel – jetzt entscheidet sich, wie ernsthaft die Textilunternehmen das neue Abkommen eigentlich umsetzen.“

Dass es nicht leicht ist, herauszufinden, ob ein Lieferant sich an Standards hält und ein Fabrikgebäude wirklich sicher ist, diese Erfahrung hat auch Maren Barthel gemacht. Gebäudesicherheit ist nicht leicht zu prüfen, dafür sind Ingenieurswissen und die entsprechende Ausrüstung nötig. „Wir haben uns in der Vergangenheit unter anderem auch auf Zertifikate verlassen, die die Fabrikanten vorweisen müssen und die die Gebäudesicherheit garantieren sollen. Otto hatte zwar keinerlei Lieferbeziehungen zu Rana Plaza, wir mussten aber nach der Katastrophe vor einem Jahr auch erkennen, dass solche Zertifikate unter Umständen nicht immer  vertrauenswürdig sind“, sagt sie.


Neues Siegel für Textilien

Inzwischen interessiert sich sogar die deutsche Politik für marode Fabriken und schlechte Arbeitsbedingungen in der asiatischen Textilindustrie. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) forderte schon kurz nach seinem Amtsantritt ein neues Siegel für Textilien, mit dem die Modeunternehmen entlang ihrer gesamten Produktionskette bestimmte Nachhaltigkeitsstandards garantieren sollen – von der Baumwolle bis zum Bügel. Doch damit stieß er bei hiesigen Unternehmen auf eine breite Front von Ablehnung.

„Das ist lobenswert. Ich halte das aber nicht für realistisch“, sagt AVE-Geschäftsführer Wengler. Die bengalische Textilindustrie besteht aus tausenden von Fabriken, oft nicht mehr als eine Etage groß, deren genaue Anzahl kann kaum jemand abschätzen kann. Oft lagern Lieferanten Teile ihrer Aufträge an Subunternehmer aus, die wiederum Subunternehmer beauftragen – eine verzweigte Lieferkette entsteht. Westlichen Textilunternehmen wissen oft nicht einmal, wie viele oder welche Lieferanten an einer Bestellung mitgearbeitet haben.  „Es ist kaum möglich, von der Baumwolle bis zum Bügel und bei jedem Knopf und jedem Reißverschluss eine Garantie dafür auszusprechen, dass bei allen Produktionsschritten und Teilen bestimmte Nachhaltigkeits-Standards eingehalten wurden“, so Wengler.

Die Wahrscheinlichkeit für weitere schwere Katastrophen in Bangladesch wie Rana Plaza mag im vergangenen Jahr gesunken sein, seit dort Fabriken wegen Baumängel geschlossen werden. Aber bis wesentliche Verbesserungen für die Millionen von bengalischen Textilarbeitern erreicht werden können, müssen sich viele westliche Unternehmen erst noch entscheiden, was wichtiger sein soll: Billige bis billigste Preise oder Sozialstandards und Arbeitssicherheit bei ihren Lieferanten.

Für viele Verbraucher ist „Geiz ist Geil“ immer noch eine passende Parole. Das zeigt das Wachstum von Billigst-Modeketten wie Primark: Der irische Filialist ist legendär für Preise von wenigen Euro je Kleidungsstück und schickt sich gerade an, den hiesigen Textilmarkt aufzurollen. Im Mai eröffnet ein weiterer großer Markt in Deutschland, es ist bereits die 12. Filiale innerhalb von zwei Jahren. Primark ließ bisher viel in Bangladesch fertigen – auch in Rana Plaza.

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