Endstation Discounter Aldi profitiert vom Niedergang des ländlichen Amerikas

Lidl startet in den USA, für Aldi ist das Land bald der wichtigste Markt. Auf den Spuren einer Erfolgsgeschichte, die erst mit der Verarmung weiter Teile der amerikanischen Gesellschaft richtig Fahrt aufnahm.

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Aldi in den USA Quelle: dpa, Montage

Historische Fotos, Zeitungsausschnitte vom Tag der Eröffnung, wenigstens eine kleine Hinweistafel am Ladeneingang: Irgendeinen Hinweis muss es doch geben, an dem Ort, wo vor 41 Jahren eine der größten Erfolgsgeschichten eines deutschen Unternehmens im Ausland begann. Stattdessen: ein abgegriffener Korb mit den aktuellen Werbeprospekten und ein zwei Meter hoher Aufsteller, der Aldi als Preis-Leistungs-Sieger ausweist. Die Mitarbeiterin, die gerade ein paar Äpfel und die ersten Kirschen der Saison in die Regale räumt, macht große Augen, als sie erfährt, dass hier, in Ottumwa, weitab der Metropolen des Landes im Südosten Iowas, einst der erste Aldi-Supermarkt der USA eröffnete. Oder, wie die Alteingesessenen in Ottumwa sagen: neue Zeiten anbrachen.

Wachablösung in Sicht: Die Umsatzentwicklung von Aldi Süd in Deutschland und den USA (in Mrd. Euro).

Aldi-Süd-Patron Karl Albrecht hatte im Frühsommer 1976 eine kleine amerikanische Handelskette namens Benner Tea übernommen, die rund zwei Dutzend Filialen im Mittleren Westen betrieb. Darunter den Laden in Ottumwa, der wenig später zu einem der ersten Aldis in den USA umgeflaggt wurde. Heute prangt das orange-blaue Logo von Aldi Süd an 1600 Märkten von New York bis Kalifornien. In fünf Jahren sollen es 2500 Läden sein. Umgerechnet 13,5 Milliarden Euro setzt der Handelskonzern in den USA um. Kein Auslandsmarkt ist wichtiger, nirgendwo sonst investiert der Konzern mehr Geld. Läuft es so weiter, dürfte der Umsatz von Aldis US-Ableger spätestens in zwei Jahren den deutschen Heimatmarkt übertreffen, zeigen Daten des Marktforschers Planet Retail.

Der Erfolg des Billigheimers aus Mülheim an der Ruhr schreckt inzwischen selbst den weltweiten Einzelhandelsprimus Walmart auf – und ruft Nachahmer auf den Plan. Am Donnerstag hat Aldis Erzrivale Lidl an der US-Ostküste die ersten Geschäfte eröffnet. „Wir wollen die bestmögliche Qualität zum bestmöglichen Preis bieten“, tönt Lidl-US-Chef Brendan Proctor – und klingt, als skizziere er das Erfolgsrezept, mit dem Wettbewerber Aldi vor 41 Jahren in Ottumwa antrat. Wie unterm Brennglas lässt sich hier der Aufstieg des Discounters studieren, der nur gemeinsam mit dem gleichzeitigen Niedergang amerikanischer Städte wie Ottumwa zu verstehen ist.

Die größten Lebensmittel-Discounter in Deutschland nach Umsatz

Bürgermeister Tom Lazio blättert durch einen Imageprospekt seiner Stadt. Auf der zweiten Doppelseite stockt er und studiert das Bild. Autos schieben sich darauf im Schritttempo durch das Gedränge, die Parkstreifen links und rechts an der Main Street sind ausnahmslos besetzt. Mütter mit Kinderwagen stehen vor dem Schaufenster des Papierladens, Männer im Anzug betreten Fusfield’s, den beliebten Schuhmacher der offenkundig damals sehr belebten Stadt. „Wir haben eine bewegte Geschichte hinter uns“, sagt Lazio. „Mit Höhen und Tiefen.“

Kaskade des Niedergangs

Derzeit ist mal wieder Tiefe angesagt in Ottumwa. Am Straßenrand der Main Street stehen am späten Montagnachmittag nur vereinzelte Autos, die Gehwege sind menschenleer. Unkraut hat sich erfolgreich zwischen den Betonplatten hindurchgekämpft. Die Tür eines mexikanischen Billigsupermarktes steht offen, die Fenster des Geschäfts nebenan aber sind mit Holzpaneelen vernagelt. Vor dem Geschenkeladen ein paar Schritte weiter hängt ein schweres Schloss, im Fenster ein verblasster Weihnachtskranz. Ein Neonschild behauptet, dass der Pub gegenüber geöffnet sei. Kunden hat er dennoch keine. „Wir kämpfen mit den typischen Problemen einer ländlichen Kleinstadt“, sagt Bürgermeister Lazio und schildert die typische Kaskade des Niedergangs. „Unternehmen ziehen in die Ballungsräume, die Jungen und Gutausgebildeten hinterher. Kaufkraft geht verloren, immer mehr Einzelhändler schließen.“ Mit dem Landmaschinenhersteller John Deere gibt es vor Ort nur noch einen Konzern mit Strahlkraft, größter Arbeitgeber ist ein Fleischproduzent. Doch auch der baut Jobs ab.

Im Sommer 1976 sieht es hier noch anders aus. Auf den Straßen wird über die Nachwehen der Watergate-Affäre diskutiert, im Radio laufen Songs von Diana Ross, und in der Lokalzeitung wirbt „Aldi Foods“ für sein „Grand Opening“ am 24. Juni und verspricht eine neue Art des Lebensmitteleinkaufs in Ottumwa. Tatsächlich ist der Markt anders.

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