Fischerei Leere Meere, volle Teller

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Bei den heutigen Netzen keine Chance

Mit ausgeschwenktem Fanggeschirr zieht ein Krabbenkutter aus Greetsiel (Kreis Aurich) vor der ostfriesischen Insel Borkum (Kreis Leer) durch die Nordsee. Quelle: dpa

Da sich Fische im Wasser nicht einfach zählen lassen, fischen Biologen mit standardisierten Netzen an zufällig bestimmten Stellen. Sie erfassen, was ihnen ins Netz gegangen ist, und rechnen von dieser Grundlage aus hoch, wie viel Fisch in diesem Meeresgebiet lebt. Aufgrund ihrer Ergebnisse geben sie Empfehlungen für die Fischer ab, welche Bestände befischt werden können. Von Jahr zu Jahr werden das weniger.

Solange nur mit Segel- und Ruderbooten gefischt wurde, hatten die Tiere noch eine Chance, den Netzen und Angeln zu entfliehen. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts aber stiegen viele Fischer auf maschinenbetriebene Schiffe um, die gewaltige Netze hinter sich herziehen konnten. Zum Beispiel das Scherbrettschleppnetz, das sich bald in der britischen Nordseeflotte durchsetzte: Eine schwere Kette pflügt über den Meeresgrund, gepanzerte Scherbretter an beiden Seiten spreizen die Öffnung wie ein gefräßiges Maul. Ein solches Ungetüm nimmt mit, was sich ihm in den Weg stellt – Grundfische, Plattfische, Hummer, Muscheln und Korallen. Wie einen Acker zerpflügt es den Meeresboden. In den sechziger Jahren wurden pelagische Schleppnetze entwickelt, die in halber Tiefe durch das offene Wasser gezogen werden. Sie zerstören zwar den Boden nicht, dafür sind sie noch gefräßiger. Bis zu 23.000 Quadratmeter groß ist ihre Öffnung heute. 13 Jumbojets würden neben- und übereinander durch ein solches Riesenmaul passen.

Rentabel wurden Netze von solchen Dimensionen durch automatische Fischfiletieranlagen und durch das Tiefkühlverfahren. Dadurch lassen sich die gewaltigen Fischmengen überhaupt erst verarbeiten. Auf riesigen Fabrikschiffen wird der Fisch noch an Bord zerlegt und eingefroren. Dieser technische Fortschritt ist die Hauptursache für die Misere, deren globale Dimension heute niemand mehr leugnen kann.

So wurden im Jahr 1950 weltweit 20 Millionen Tonnen Fisch aus dem Wasser geholt, 1990 waren es schon mehr als 80 Millionen. Die Fangmenge hat sich vervierfacht – in einem Zeitraum, in dem sich die Weltbevölkerung gerade einmal verdoppelt hat. Seit Mitte der neunziger Jahre stagniert die jährliche Fangmenge auf einem Niveau zwischen 80 und 90 Millionen Tonnen. Ein Grund zur Entwarnung? Keineswegs. Die Zahl der Fischer, die Tonnage der Fischerboote und die Größe der Netze sind nämlich weiterhin gewachsen. Da die Fische noch nicht gelernt haben, den Netzen zu entkommen, kann das nur bedeuten: Es gibt immer weniger Fisch in den Weltmeeren.

Wie auf diese Weise ganze Populationen verschwinden können, zeigt das Beispiel des Kabeljaus vor Neufundland. Lange vor Kolumbus hat er die Wikinger nach Amerika gelockt, als Stockfisch ernährte er die Seefahrer der frühen Neuzeit. Noch 1885 hieß es im kanadischen Landwirtschaftsministerium: »Wenn die Naturordnung nicht von Grund auf umgestürzt wird, werden unsere Fischgründe noch jahrhundertelang reiche Erträge bringen.« Die Naturordnung musste nicht umgestürzt werden.

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