Größte Rinder-Ranch der Welt Australiens reichste Frau und das liebe Vieh

Rinderbaron Sidney Kidman schuf in Australien die größte Farm der Welt. Nun will Minen-Milliardärin Gina Rinehart die Ikone der Landwirtschaft mit Hilfe von Chinesen kaufen – und verärgert nicht nur die Regierung.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Rinder weiden im australischen Hinterland. Quelle: Urs Wälterlin

Sydney Gefangen mit einem Lasso, im Licht der aufgehenden Sonne, liegt der junge Stier in einem Gitterkäfig aus Stahl. Das Tier hat die Augen aufgerissen, als ahne es, was ihm bevorsteht. Daneben brennt ein Feuer.

Melinda, knapp 16 Jahre alt, in engen Jeans, blauem Hemd und mit einem großen Hut auf dem Kopf, nähert sich dem Bullen. Sie hat ein Messer in der Hand, langer Griff, kurze Klinge. Sie greift dem Tier zwischen die Hinterbeine, schneidet die Hoden ab. Die junge Frau wischt sich den roten Staub der Wüste Australiens von der Stirn. Dann drückt sie dem Kalb ein Brandzeichen auf die Hinterflanke. Das Tier schreit auf. Melinda öffnet das Gitter und lässt den entmannten Bullen frei.

Das Leben im „Outback“, im Hinterland Australiens, ist nichts für Zartbesaitete. Hunderte von Kilometer von der Zivilisation entfernt gelten andere Gesetze, Regeln und Wertevorstellungen. Die Seele der Nation lebe hier, glauben viele Australier. Mit ihr der Patriotismus.

In dieser Ödnis hat auch der Agrarbetrieb „S. Kidman & Co.“, zu der auch die größte Rinder-Ranch der Welt Anna Creek gehört, seinen Sitz. Sidney Kidman, einer der bedeutendsten Rinderbarone Australiens, gründete hier einst die Ikone der Landwirtschaft. Anfang dieses Jahres sollte der Traditionskonzern an Chinesen verkauft werden. Shanghai Pengxin hatte ein Angebot über rund 350 Millionen australische Dollar (umgerechnet 234,4 Millionen Euro) gemacht. „Totaler Wahnsinn“, kommentierte Multimillionär Dick Smith den Coup damals.

Australiens oberster Farmer Sidney Kidman stieg als 13-Jähriger ins Geschäft ein. Mit einem einäugigen Pferd als einzigem Besitz. Er versorgte die Menschen in den aufstrebenden Städten an der Ost- und Südküste mit Rindfleisch.

Als Kidman 1935 starb, kontrollierte seine Firma 68 Rinderfarmen – in Australien werden sie „Station“ genannt – auf insgesamt 260.000 Quadratkilometern Land. Seitdem ist der Landbesitz auf 101.411 Quadratkilometer geschrumpft. Derzeit betreibt „S Kidman“ noch elf Stationen in Westaustralien, Queensland, dem Nordterritorium und Südaustralien – mit insgesamt etwa 185.000 Rindern.

Trotz wachsender Nachfrage nach Rindfleisch in wichtigen Absatzmärkten und entsprechend guter Preise läuft das Geschäft schlecht. Dürre und Überschwemmungen trieben „S Kidman“ in den vergangenen Jahren in die roten Zahlen. Im Finanzjahr 2013/14 schrieb der Konzern einen Verlust von 1,4 Millionen australischen Dollar. Die Natur im „Outback“ schert sich nicht um Bilanzen.

„Anna Creek Station“ in Südaustralien ist nicht nur die größte Anlage im Kidman-Imperium, sondern auch die größte Rinderfarm der Welt. Sie liegt fast 900 Kilometer von der Stadt Adelaide entfernt und umfasst eine Fläche von 23.677 Quadratkilometer. Das entspricht in etwa der Größe von Mecklenburg-Vorpommern.

Australiens Finanzminister Scott Morrison lehnte das Angebot der Chinesen ab. Der Verkauf der Farm „Anna Creek“ liege „nicht im Interesse der Nation“, sagte er. Das Gelände dehnt sich bis zum Truppenübungsplatz Woomera aus. Australische Streitkräfte testen dort bis heute Raketen und Lenkwaffen. Es sei „nicht ungewöhnlich für Regierungen, aus Gründen der nationalen Sicherheit den Zugang zu sensiblen Regionen des Landes zu untersagen“, erklärte Morrison. Dabei war das nicht das einzige Angebot, das der Finanzminister den Chinesen abgeschlagen hatte.

Der Verdacht liegt nahe, dass nicht die militärische Nutzung des Gebiets, sondern Fremdenfeindlichkeit der ausschlaggebende Grund für seine Entscheidung war. Ein Verkauf an chinesische Interessenten hätte in den konservativen ländlichen Regionen Australiens zu einer Rebellion geführt.


Die reichste Frau Australiens ist gnadenlos

Seit ein paar Tagen können Dick Smith und andere Agrar-Patrioten etwas ruhiger schlafen. Die Gefahr, dass in den Farmen des Kidman- Imperiums statt Steaks künftig Frühlingsrollen serviert werden, scheint gebannt. Die reichste Frau Australiens, Gina Rinehart, hat 365 Millionen australische Dollar (umgerechnet 247 Millionen Euro) für „Kidman“ geboten. Ganz ohne Hilfe der Chinesen geht es dann doch nicht. Während zwei Drittel von „S. Kidman“ an Rineharts Bergbauunternehmen „Hancock Prospecting“ gehen sollen, werde ein Drittel vom chinesischen Immobilienkonzern Shanghai CRED gekauft, kündigte die Geschäftsfrau an.

Die Australierin hat den Deal noch nicht in der Tasche. Vergangene Woche gab ein Konsortium australischer Bieter sein Interesse an dem Agrarbetrieb bekannt. Unter den Namen, die in den Medien gehandelt werden, sind berühmte „Outback-Legenden“, wie etwa der öffentlichkeitscheue Rinderbaron und Multimillionär Tom Brinkworth und die Familie Oldfield.

Gina Rinehart wird im Kampf um „Kidman“ ebenso wenig zurückhalten wie die junge Melinda beim Kastrieren von Bullen. Die 62 Jahre alte Erbin des Hancock-Eisenerzimperiums ist für einen gnadenlosen Umgang mit Wettbewerbern bekannt. Konflikte mit Geschäftspartnern wie mit ihren eigenen Kindern haben die Frau zu einer ebenso mysteriösen wie unbeliebten Person des öffentlichen Lebens werden lassen.

Für Umweltschützer ist Rinehart, die auch stark in der Kohleförderung engagiert ist, ein Feindbild. Sie gilt als wohl einflussreichste Klimawandel-Skeptikerin Australiens, die alles daransetzt, Maßnahmen gegen globale Erwärmung zu verhindern. Um die Debatte über von Menschen verursachten Klimawandel zu ihren Gunsten beeinflussen zu können, finanziert sie ein konservatives Fernsehprogramm.

Sie versuchte sogar, den ihrer Meinung nach „von Linken dominierten“ Medienkonzern Fairfax zu kaufen. Ohne Erfolg. Dass sie 2011 auf dem Höhepunkt des australischen Rohstoffbooms mit einem Privatvermögen von fast 30 Milliarden australischen Dollar zur reichsten Frau auf dem Globus gekürt worden war, half ihrer Beliebtheit wenig. Nur selten spricht Rinehart in der Öffentlichkeit. Doch wenn sie es tut, hält sie mit ihrer Meinung nicht zurück: Gina Rinehart, die jede halbe Stunde eine Million australische Dollar reicher wird, lobte einst die Verhältnisse in Minen in Afrika, „wo die Menschen willig sind, für zwei Dollar am Tag zu arbeiten“.

Nach dem Tod ihres Vaters Lang Hancock 1992 übernahm Gina Rinehart die Mehrheit und den Vorsitz von dessen Privatfirma „Hancock Prospecting“. Zweiflern zum Trotz baute sie das Unternehmen zu einem der erfolgreichsten Bergbaukonzerne des Landes aus. Schon als kleines Mädchen hatte Gina ihrem Vater über die Schulter geschaut, und nicht nur sein Geschäftsverhalten kopiert, sondern auch seinen Charakter.

Lang Hancock galt als ebenso erfolgreicher wie rücksichtsloser Pionier der australischen Rohstoffindustrie, der gegen alle Widerstände und meist unter Missachtung der Rechte der Ureinwohner die enormen Eisenerzvorkommen im isolierten Norden Westaustraliens entdeckt und erschlossen hatte.


Australien verschifft 1,2 Millionen lebende Rinder im Jahr

Heute hält Hancock Prospecting unter anderem Schürfrechte für einige der größten Erzreserven der Welt. Gina Rinehart kontrolliert 50 Prozent der von Rio Tinto betriebenen Eisenerzmine Hope Downs. 30 Millionen Tonnen Eisenerz pumpt die Anlage jährlich auf die Weltmärkte. „Wie ein Wasserhahn, aus dem Dollarnoten fließen“, meint ein Branchenkenner.

Und jetzt Steaks? Eine Expansion in die Fleischindustrie ist die logische Konsequenz zweier fundamentaler Entwicklungen, sagen Analysten: zum einen der Rückgang des Rohstoffbooms und zum anderen die global steigende Nachfrage nach tierischem Eiweiß. Der Schlüssel zu einer der größten wirtschaftlichen Chancen, die das Land habe, liege im „einfachen australischen Bauernhof“, analysiert Hannah Bretherton von der Denkfabrik China Matters die Situation und ergänzt: „Wir können von Gina Rinehart lernen“. Die Zusammenarbeit zwischen der Geschäftsfrau und dem Schanghaier Unternehmen sei symbolisch für die „Bewegung weg von Energieträgern“ wie Kohle und anderen mineralischen Ressourcen. Shanghai CRED ermögliche der Geschäftsfrau einen direkten Weg in einen der weltweit attraktivsten Wachstumsmärkte für Agrarprodukte.

Dass Rinehart den richtigen Geschäftssinn hat, bestätigen mehrere Analysen. Die Landwirtschaft habe der australischen Handelskammer zufolge von allen Wirtschaftszweigen Australiens den größten Wettbewerbsvorteil. Zwar hat Australien schon seit vielen Jahren eine stetig wachsende Fleisch- und Lebendvieh-Exportindustrie. 74 Prozent der im vergangenen Jahr produzierten 4,4 Millionen Tonnen Rindfleisch im Wert von 8,5 Milliarden australischen Dollar wurden in 84 Länder exportiert. Zusätzlich verschiffte Australien 1,2 Millionen lebende Rinder im Gesamtwert von 1,5 Milliarden australischen Dollar. Trotzdem deckt das Land bisher erst vier Prozent des weltweiten Konsums von Rindfleisch.

Gleichzeitig steigt vor allem in den Wachstumsländern Asiens die Nachfrage. Allen voran in China, wo eine schnell expandierende Mittelschicht Lust auf Konsumprodukte und Nahrungsmittel entwickelt, von denen frühere Generationen nur träumen konnten.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich chinesische Investoren für die „Farm Australien“ interessieren. Joel Chang von der chinesischen Investmentfirma Genius Link Group zufolge hat China rund 1,4 Millionen Rinder oder 350.000 Tonnen an Fleisch zu wenig, um den Bedarf decken zu können.

Doch damit Australien eine „Futterkrippe für die Welt“ werden kann, wie dies einigen Politikern vorschwebt, muss erst viel Geld in Infrastruktur, Logistik und Dienstleistungen investiert werden. Laut der australischen Handelskammer braucht der Agrarsektor zwischen 2015 und 2050 eine Kapitalspritze von etwa einer Billion australischen Dollar. Nur gerade 150 Milliarden würden wohl aus Australien kommen, so die Bank ANZ. Chinesische Investoren hätten die Mittel, um den Rest aufzubringen.

Doch genau das könnte für die Industrie und vor allem für die Exporteure ein Problem werden. Die Zahl und der Einfluss populistischer, fremdenfeindlicher Gruppen, Parteien und Politiker wachsen auch in Australien. Das Klima für Auslandsinvestitionen im Agrarsektor ist in den vergangenen Jahren kühler geworden. Ein Grund dafür ist, dass in Teilen des Landes chinesische oder Unternehmen aus anderen asiatischen Ländern in Agrargebieten Kohle-Tagebauminen betreiben oder bauen wollen. Dies führt zur Zerstörung einiger der besten landwirtschaftlichen Nutzflächen Australiens, und zur forcierten Umsiedelung Einheimischer.

In vielen ländlichen Gegenden Australiens ist China zu einem Reizwort geworden.


Warnungen als Propaganda

Zwar zeigt sich die konservative Regierung von Premierminister Malcolm Turnbull offiziell weiterhin offen für Anleger aus dem Ausland. Doch die Vetos des Finanzministers zeigen, dass Canberra sich dem Populismus nicht entziehen kann. Aktuellen Umfragen zufolge sind inzwischen 69 Prozent der Bevölkerung „stark gegen“ die Akquisition von Agrarland durch Ausländer. 2012 waren es noch 63 Prozent. Populisten wie die Abgeordneten der rapide wachsenden, ausländerfeindlichen Partei One Nation heizen die Stimmung an. Ihre Behauptung, Australien würde „die Farm verkaufen“, hält allerdings nicht Stand. Schon gar nicht, wenn es um China geht. Chinesische Firmen kontrollieren nur 0,5 Prozent des australischen Agrarlandes. Großbritannien dagegen, das traditionelle Mutterland, hält sieben Prozent.

Doch Fakten zählen in dieser Debatte wenig. Es wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, welchen Einfluss die Tatsache haben wird, dass bei einem Verkauf von „S Kidman“ an Rinehart immerhin ein Drittel unter chinesische Kontrolle fallen würde.

Das China-Problem ist aber nicht das einzige, mit dem sich die Geschäftsfrau künftig beschäftigen muss.

Längerfristig die vielleicht größte Herausforderung ist die Natur. Die seit Jahrtausenden von einem Wechselspiel zwischen Überschwemmung und Dürre dominierte Umwelt im trockenen Inland Australiens wird als Folge von Klimawandel zunehmend unberechenbarer. Der Boden im „Outback“ ist schon unter normalen Umständen mager, die Futterausbeute gering. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Quadratkilometer Land nur ein Rind ernähren kann – wenn überhaupt.

Wissenschaftler haben errechnet, die Auswirkungen des Klimawandels würden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Situation für die Landwirtschaft dramatisch verschärfen. Extremtemperaturen von über 50 Grad sowie mehrere Jahre dauernde Trockenperioden könnten im „Outback“ zur Normalität werden. Analysten meinen, klimatische Unsicherheiten und Extreme seien ein immer größeres Geschäftsrisiko für Agrarunternehmen. Für Gina Rinehart dagegen sind solche Warnungen nur Propaganda: „Die Welt und das Klima haben sich immer verändert“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%