Wer mit Lieken-Aufsichtsratschef Rüdiger Geserick spricht, empfängt mit jedem Satz vor allem eine Botschaft: Die Zeit drängt, es muss etwas passieren, und zwar sofort.
Bei der bekannten Großbäckerei („Golden Toast“, „Lieken Urkorn“) brennt so einiges an. Der Umsatz sinkt 2015 voraussichtlich um zehn Prozent auf 700 Millionen Euro. Technisch gelten viele Lieken-Fabriken als veraltet. Ein internes Papier nennt „Ergebnisentwicklung und Ertragslage inakzeptabel“. Geserick muss Lieken retten. Doch die Rettung wird ein heißer Ritt: Sie kostet 2000 von derzeit noch über 4000 Arbeitsplätzen.
An die zehn Jahre tat sich wenig beim lange Zeit größten deutschen Backkonzern, der die Marktführerschaft 2013 an den Konkurrenten Harry verlor. Der durch seine Kette groß gewordene Promi-Bäcker Heiner Kamps hatte Lieken 2002 für angeblich 1,7 Milliarden Euro an den italienischen Barilla-Konzern verkauft.
Barilla kapitulierte nach elf Jahren
Die Nudel-Dynastie aus Parma fand sich im umkämpften deutschen Brotmarkt nicht zurecht. Immer wieder schoss Barilla zweistellige Millionenbeträge nach, kapitulierte dann nach elf Jahren – auch vor starken Gewerkschaftern, die sich einschneidenden Änderungen in den Weg stellten. Barilla reichte Lieken Mitte 2013 weiter – nach WirtschaftsWoche-Informationen für nicht einmal 100 Millionen Euro.
Käufer war der tschechische Multimilliardär Andrej Babiš, dessen Agrar-, Chemie- und Medienkonzern Agrofert sechs Milliarden Euro umsetzt, ein Drittel davon in Deutschland. Als Babiš’ Mann für das deutsche Geschäft muss Geserick, wie er sagt, bei Lieken nun einen „zehnjährigen Investitionsstau“ auflösen. Von den aktuell gut 4000 Beschäftigten – 2010 waren es noch 5500 – soll die Belegschaft bis 2018 auf 2500 schrumpfen.
Die zehn besten deutschen Mittelständler
Um die Wachstumsstärke der mittelständischen deutschen Weltmarktführer zu vergleichen, bedient sich die WirtschaftsWoche eines Indexes des Ökonomen David L. Birch vom Massachusetts Institut of Technology in der Nähe von Boston. Dieser nach ihm benannte Index multipliziert den absoluten Umsatzzuwachs mit dem prozentualen. Das relativiert sowohl das prozentuale Wachstum junger Betriebe als auch das absolute Wachstum bereits großer Unternehmen.
Basis des Indexes waren im Ranking die Jahre 2002 bis 2012.
Branche: Maschinenbau
Mitarbeiter 2012: 1676
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 225,20/682,40
Durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 11,72 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1385,4
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Dentalindustrie
Mitarbeiter 2012: 2979
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 284,00/814,56
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 11,11 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1521,7
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: IT/ Software
Mitarbeiter 2012: 689
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 3,35/73,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 36,22 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1547,7
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Logistik
Mitarbeiter 2012: 2000
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 335,24/934,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 10,8 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1671,4
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Automatisierungstechnik
Mitarbeiter 2012: 2200
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 78,00/408,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 17,95 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1712,0
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Maschinenbau
Mitarbeiter 2012: 3700
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 104,04511,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 17,27 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1996,3
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Agrartechnik
Mitarbeiter 2012: 2432
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 250,00/858,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 13,12 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2083,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Sicherheitskameras
Mitarbeiter 2012: 336
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 3,00/81,60
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 39,14 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2137,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Schiffbau
Mitarbeiter 2012: 1400
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 300,00/984,90
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 12,6 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2248,5
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Automobilzulieferer
Mitarbeiter 2012: 4000
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 179,90/780,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 15,80 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2601,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Vier von bisher zwölf deutschen Fabriken werden oder wurden bereits geschlossen, eine weitere wird verkauft. Auch die abgespeckte Hauptverwaltung in Düsseldorf macht dicht: Der aus zwei Managern bestehende Vorstand – unter Barilla waren es noch sieben Vorstände – zieht im Herbst ins westfälische Lünen um.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen investiert Babiš 400 Millionen Euro. In Lünen und Lüdersdorf (Mecklenburg-Vorpommern) werden Werke ausgebaut und modernisiert. Ende 2015 soll der Bau einer neuen Fabrik mit 250 Arbeitsplätzen beginnen – jedoch nicht, wie 2014 angekündigt, im Rhein-Main-Gebiet, sondern in Wittenberg in Sachsen-Anhalt, dem Sitz der Agrofert-Tochter SKW Stickstoffwerke Piesteritz. Vorsitzender der Geschäftsführung dort: Rüdiger Geserick. Wenn die Fabrik 2017 in Betrieb geht, kann der 60-Jährige die effiziente Herstellung von Toast- und Roggenbrot persönlich kontrollieren: 130.000 Tonnen Brot pro Jahr.