In den Lederwerkstätten nördlich von Paris riecht es nach Leim, Bienenwachs und Schweiß. Zwei volle Arbeitstage dauert es, bis eine Hermès-Tasche, die dann im Laden für 4000 Euro aufwärts eine glückliche Besitzerin findet, hier von einem Mitarbeiter zusammengenäht und signiert ist. Und in den Seidenateliers von Lyon sitzen die Graveure Hunderte von Stunden an den Druckschablonen für die berühmten Halstücher, Carrés genannt.
Über dem Ganzen thront seit dem 1. Februar Axel Dumas. Der führt nicht nur das 1837 gegründete Luxushaus mit rund 9500 Mitarbeitern und 3,8 Milliarden Euro Jahresumsatz 2013, sondern gleichzeitig Krieg. Der Urururenkel von Gründer Thierry Hermès zieht in die „Schlacht unserer Generation“. So nennt der 43-Jährige seine Mission jedenfalls selbst.
Es sind jedoch nicht etwa Expansionsstrategien, die auf der Agenda stehen. Es ist der Kampf gegen einen missliebigen Großaktionär: den weltgrößten Luxusgüterkonzern LVMH. Dumas und Hermès riskieren dabei viel. Falls es gelingen sollte, LVMH zu verjagen, ist ungewiss, wer dessen 23-Prozent-Anteil übernehmen sollte. Hermès fehlen die Mittel dazu. Selbst unter den Hermès-Erben ist Dumas’ Vorgehen daher umstritten.
Ungeliebter Teilhaber
Eigentlich steht Hermès besser da denn je: Von 2006 bis 2012 verdoppelte sich der Gewinn auf 740 Millionen Euro, der Börsenkurs stieg von rund 70 auf heute 236 Euro. Damit schlägt Hermès auch LVMH (die Abkürzung steht für die wichtigsten Konzernmarken Louis Vuitton Moët Hennessy). Gegen dessen Chef Bernard Arnault richtet sich Dumas’ Zorn.
Arnault hat sich seinen Anteil an Hermès nämlich durch die Hintertür gesichert. Zwar ist eine Komplettübernahme gegen den Willen der Familie nicht möglich. Aber Dumas will den mit laut „Forbes“ 29 Milliarden Euro reichsten Mann Frankreichs überhaupt nicht in seinem Orbit haben und kämpft darum, dass LVMH die heimlich erworbenen Anteile wieder abgeben muss.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das Pariser Handelsgericht, vor dem Hermès die Rückgabe eines Teils der von Arnault gekauften Anteile fordert, ihm folgt. „Das wäre eine Premiere“, sagt der auf Börsenrecht spezialisierte Pariser Anwalt Johann Lissowski.
Spiel auf Zeit
In Justizkreisen hat man gar den Eindruck, dass Hermès nicht auf eine schnelle Entscheidung aus ist, sondern dass die Anwälte aus strategischen Erwägungen auf Zeit spielen, bis die Strafkammer ein Urteil gefällt hat. Diese ermittelt – aufgrund einer Anzeige von Hermès – gegen LVMH wegen Insidergeschäften und Kursmanipulation.
Doch auch dort könnte eine Enttäuschung auf Dumas warten. Die französische Börsenaufsicht hatte LVMH zwar 2013 mit einer Strafe von acht Millionen Euro belegt. Sie störte sich aber lediglich an der um vier Monate verspäteten Bekanntgabe der zu erwartenden erheblichen Beteiligung von LVMH an Hermès.
„Arnault hat vermutlich die Champagnerkorken knallen lassen“, sagt Bernard Laurent-Bellue, Partner der Pariser Anwaltssozietät Vivien & Associés. „Die Börsenaufsicht hat sehr milde entschieden.“
Anders als beim direkten Erwerb von Aktien, wo ein Überschreiten bestimmter Schwellen mitteilungspflichtig ist, unterlag der von LVMH gewählte Umweg nicht den gesetzlichen Beschränkungen. Der Luxusriese mit mehr als 28 Milliarden Euro Jahresumsatz hatte mithilfe mehrerer Banken und LVMH-Töchter über Jahre sogenannte Equity Swaps erworben. Ähnlich ging Porsche 2005 vor bei der letztlich gescheiterten Übernahme des VW-Konzerns und drei Jahre später der Autozulieferer Schaeffler beim Angriff auf den Reifenhersteller Continental.
Keine gegenseitige Sympathie
Als 2010 der vereinbarte Börsenkurs überschritten wurde, bei dem die Banken die Differenz zum einstigen Kaufpreis an LVMH auszahlen sollten, verlangte Arnault stattdessen die Hermès-Aktien. Zu den 4,9 Prozent, die der Konzern an der Börse erworben hatte, kamen so zwölf Prozent hinzu. Seither erhöhte er den Anteil um weitere sechs Prozent und betont, er sei ein „zufriedener Aktionär“, der „hinter dem Hermès-Management steht“.
Leider sei die Sympathie nicht gegenseitig, bedauerte Arnault vor wenigen Tagen bei der Präsentation des LVMH-Ergebnisses für 2013. „Aber ich hoffe, dass wir uns eines Tages arrangieren, in den nächsten 20 Jahren, man weiß nie...“
Die Macht über Hermès würde gut in die Strategie von LVMH passen, die schleichende Banalisierung aufzuhalten. Der Konzern mit rund 60 Marken wie Louis Vuitton, Celine, Givenchy, Moët & Chandon oder Dom Pérignon kämpft dagegen mit mehr Exklusivität und Verwendung edelster Materialien. Das Louis-Vuitton-Logo auf Koffern und Taschen fällt jetzt kleiner aus, man bemüht sich um weniger offen zur Schau getragenen Luxus für Neureiche, der in der Modesparte bereits den Absatz bremst.
Bleibende Werte statt Luxusgüter
Bei Hermès dagegen werden Diskretion und Understatement seit Anbeginn groß geschrieben. Mit diesem Argument wehren sich auch die Nachkommen von Thierry Hermès, einst Sattler der Kaiser und Könige, gegen eine Vereinnahmung. „Die Kulturen sind unterschiedlich“, heißt es jedes Mal spitz, wenn die Rede auf den großen Konkurrenten kommt. Hermès versteht sich nicht als Hersteller von Luxusgütern, sondern von bleibenden Werten, als letztes unabhängiges Luxuskleinod in Frankreich.
Mit einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, in der 74 Prozent der Anteile von der weit verzweigten Familie gehalten wurden, glaubte sich die Führung in der Rue Faubourg de Saint-Honoré unweit des Präsidentenpalastes auch nach dem Börsengang von 1993 in einer uneinnehmbaren Bastion. Sie fiel deshalb aus allen Wolken, als Arnault im Oktober 2010 den damaligen Hermès-Chef Patrick Thomas anrief und das Ungeheuerliche offenbarte.
Dass Dumas nun zu kriegerischem Vokabular greift, liegt auch daran, dass er und sein Vorgänger Thomas die Gefahr unterschätzten. Man hat sich an der Nase herumführen lassen, die man bei Hermès gern etwas höher trägt. Auch als Jurist und Philosoph hätte Dumas von Equity Swaps und den Anschleichmethoden mithilfe dieser Finanzinstrumente wissen können, sagt Anwalt Laurent-Bellue lakonisch.
Kultur dauerhaft gesichert
Immerhin war der Erbe vor seinem Einstieg 2003 in die Finanzabteilung von Hermès bei namhaften Banken in Peking und New York tätig, zuletzt als Investmentbanker.
Dass mit Dumas nun wieder ein Mitglied der Erbengemeinschaft an der Spitze steht, soll Zusammenhalt signalisieren. Ein halbes Jahr hat er Seite an Seite mit Thomas gearbeitet, dem einzigen familienfremden Hermès-Chef in der Unternehmenshistorie. Von Dumas stammt das Konzept für die Ende 2011 gegründete Familienholding H51. In ihr sind für zunächst 20 Jahre 50,2 Prozent der Anteile blockiert, die im Besitz von 51 Familienmitgliedern sind. Das Ziel sei, „die Kultur von Hermès dauerhaft zu sichern“, hieß es damals.
Erben mussten Aktien verkaufen
Sätze wie dieser sprechen dagegen: „In meinem Alter zählt Vernunft mehr als Emotionen.“ Er stammt von Nicolas Puech-Hermès. Der 70-Jährige, der vor der französischen Vermögensteuer in die Schweiz flüchtete, hat sich geweigert, seine Anteile in die Familienholding einzubringen, und hält die Verteufelung Arnaults für übertrieben. Die Familien Guerlain, Krug und Bulgari seien doch ganz zufrieden mit ihrer Verbindung zu LVMH, so Puech-Hermès: „Wir sollten denjenigen Respekt zollen, die uns dadurch auszeichnen, dass sie bei uns investieren.“
Der Dissident zog dennoch 2012 in den Hermès-Aufsichtsrat ein. Das war, bevor die Börsenaufsicht ein Jahr später aufdeckte, dass ein Gutteil der Aktien, die LVMH via Swaps erwarb, aus seinem Besitz stammten. Dennoch durfte Puech-Hermès im Aufsichtsrat bleiben.
Er sei bei Weitem nicht der einzige Abtrünnige, heißt es aus dem Umfeld von Vermögensberatern. Aufgrund der französischen Vermögen- und Erbschaftsteuer seien einige Hermès-Erben gezwungen gewesen, ihre Aktien zu verkaufen.
Komplette Übernahme derzeit ausgeschlossen
„Es gibt noch genügend Familienmitglieder, die nicht der H51 angehören und eines Tages womöglich verkaufen wollen“, sagt Anwalt Laurent-Bellue. „Die Zeit ist auf der Seite von Arnault.“ Vor allem bei den derzeit nahezu historischen Höchstständen des Kurses ist die Verlockung groß: Zahlreiche Analysten raten derzeit, die Papiere abzugeben.
Für den Moment ist eine komplette Übernahme von Hermès durch LVMH ausgeschlossen. Doch womöglich könnte LVMH Hermès den größeren Schlag dadurch versetzen, dass der Konzern zumindest die durch Aktien-Swaps erworbenen Anteile tatsächlich wie gewünscht wieder abgibt. Diese zwölf Prozent sind an der Börse fast drei Milliarden Euro wert – das Vierfache des 2012 erwirtschafteten Hermès-Gewinns von 740 Millionen Euro, von dem das Unternehmen bis zu 40 Prozent für Dividendenzahlungen bereitstellt. Für einen Rückkauf müsste also die Dividende stark schrumpfen.
Zahlreiche Familienmitglieder sind jedoch auf diese Zahlungen angewiesen und wollen nicht darauf verzichten. Gegenteilige Bestrebungen würden womöglich H51 sprengen. Hermès hätte also nicht die Mittel, die Titel aufzukaufen. Wer aber dann? Der Staatsfonds von Katar, der in Frankreich bereits sehr aktiv ist? Oder irgendein anderer Großinvestor, dessen Absichten Hermès weder abschätzen noch steuern kann? Experten warnen bereits davor, den vermeintlichen Teufel LVMH mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.