Hörgeräte Kampf gegen Korruption in der Hörgeräte-Branche

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Als Mediziner korrekt

Das Geschäft mit gepanschten Pillen
Das Geschäft mit gefälschten Medikamenten ist lukrativer als der Drogenhandel. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mindestens 50 Prozent der im Internet vertriebenen Medikamente und etwa zehn Prozent aller weltweit verkauften Arzneimittel Fälschungen. Hier zu sehen: Tablettenproduktion in einer indischen Fälscherwerkstatt. Dieses und alle folgenden Fotos stammen aus Ermittlungsakten des Pharmakonzerns Pfizer. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
25 Millionen gefälschte Medikamente wurden 2010 allein in Deutschland vom Zoll beschlagnahmt. In kriminellen Werkstätten wie dieser in Kolumbien werden Pillen gepresst, die zu wenig, zu viel oder gar keinen Wirkstoff enthalten. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Die Herstellungsbedingungen sind meist - wie hier in Kolumbien - abenteuerlich. Oft sind es auch die Inhaltstoffe. So fanden sich in Imitaten diverser Produkte des Pharmakonzerns Pfizer mitunter hochgiftige und lebensgefährliche Stoffe wie Straßenfarbe auf Blei-Basis, Borsäure, Bodenreiniger und das  Amphetamin Speed. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Zuweilen sind die Fälscherwerkstätten auch schlichtweg eklig. Hier entsteht eine Kopie des Pfizer-Präparats Lipitor / Sortis, einem Cholesterinsenker. Die Kosten von Rückrufaktionen gefälschter Arzneimitteln müssen die betrogenen Pharmaunternehmen übrigens selbst tragen. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
So gut wie jedes Medikament wird kopiert. So wurden von 60 Pfizer-Produkten Fälschungen in 104 Ländern sichergestellt, darunter Mittel zur Behandlung von Krebs, HIV, hohem Cholesterin, Alzheimer, Bluthochdruck, Depressionen, rheumatischer Arthritis und Antibiotika. Hier wird in Pakistan eine Fälschung des Hustensafts Corex abgefüllt. Das Original wird in Indien, Pakistan, Bangladesch und anderen südasiatischen Märkten vertrieben. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Das am häufigsten gefälschte Medikament ist das Potenzmittel Viagra, ebenfalls von Pfizer. Allein im Jahr 2008 wurden weltweit acht Millionen gefälschte kleine blaue Tabletten beschlagnahmt. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)
Hier wurden gefälschte Viagra-Pillen in China verpackt. Quelle: Pfizer (aus Ermittlungsakten)

In seinem Ärzte-Newsletter „focus hören Aktuell“ versucht Stinnesbeck alle Zweifel an der Beteiligung der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an der Hörgerätekette zu zerstreuen. „Ärzte haben die gleichen Rechte zu investieren wie jeder andere Bürger auch“, wird dort argumentiert. Auch einen praktischen Tipp hat der Akustikgründer parat: „Erst recht gilt das für Angehörige von Ärzten oder deren Ehepartner. Wer Ihnen etwas Gegenteiliges erzählt – egal, ob Rechtsanwalt, Steuerberater oder Akustiker –, redet Unsinn“, schrieb Stinnesbeck zum Beispiel im Oktober 2012.

Anwalt Rau äußert sich da schon vorsichtiger. „Einem Arzt ist es nicht vollständig verboten, sich an einer solchen Gesellschaft zu beteiligen.“ Er sollte aber „den Patienten auf jeden Fall auf seine Beteiligung hinweisen“.

Stinnesbeck baut deshalb schon mal vor. Er gehe davon aus, dass sich die Ärzte bei Focus Hören als Mediziner korrekt verhielten, erklärte er gegenüber der WirtschaftsWoche: „Es ist ja nicht gesagt, dass Ärzte, die sich bei uns beteiligen, ihre Patienten nur noch zu Focus Hören schicken.“

Die am häufigsten falsch behandelten Krankheiten
Platz 10: Uterus myomatosusKnapp zwei Drittel aller Fehler, die von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer anerkannt wurden, ereigneten sich in Krankenhäusern. Auf Platz 10 der dort am häufigsten fehlbehandelten Krankheiten ist Uterus mymatosus. Dahinter verbergen sich Myome der Gebärmutter, die am häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen. 21 Mal behandelten Krankenhaus-Ärzte diese Krankheit vergangenes Jahr falsch.Woran die zahlreichen Fehler in Krankenhäusern liegen, hat die WirtschaftsWoche bereits im April analysiert. Quelle: Fotolia
Platz 9: Gallenstein23 Mal wurden in Krankenhäusern Gallensteine, also Cholelithiasis, falsch behandelt. Quelle: Fotolia
Platz 8: Oberflächliche VerletzungenWunden und Schrammen wurden in deutschen Krankenhäusern 26 mal falsch behandelt – womit sie auf Platz 8 landen. Bei Fehlbehandlungen in Arztpraxen erreichen oberflächliche Verletzungen Platz 10. Niedergelassene Ärzte behandelten sie nur zehn Mal falsch. Quelle: REUTERS
Platz 7: HandfrakturKnochenbrüche an der Hand behandelten Krankenhausärzte vergangenes Jahr 30 Mal falsch. Damit erreichen Handfrakturen Platz 7. Bei Fehlbehandlungen durch niedergelassene Ärzte erreichen Handfrakturen Platz 8. Sie behandelten diese Knochenbrüche zwölf Mal falsch. Quelle: dapd
Platz 6: Schulter- und OberarmfrakturNur einmal mehr fuschten Krankenhaus-Ärzte bei Brüchen an Schulter und Oberarm: Hier gab es 31 Fehlbehandlungen. Bei niedergelassenen Ärzten kommen  Fuschereien in diesem Bereich gar nicht in den Top 10 vor. Quelle: Fotolia
Platz 5: Unterschenkel- und SprunggelenkfrakturGanze 21 Mal häufiger wurden Brüche an Unterschenkel- und Sprunggelenken falsch therapiert. Hier gab es in deutschen Krankenhäusern 52 Fehlbehandlungen. In Praxen gab es bei Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen sogar mit 15 Fällen die zweithäufigsten Fehlbehandlungen. Quelle: dpa-tmn
Platz 4: OberschenkelfrakturMit 63 Fuschereien in Krankenhäusern landen Oberschenkelfrakturen auf Platz 4. In niedergelassenen Praxen kommen Oberschenkelfrakturen nicht in den Top 10 der Fehlbehandlungen vor. Quelle: dpa

Empfehlung vom Arzt

Doch die Praxis lässt Zweifel an seiner Theorie aufkommen. So verklagte eine Hörgeräteakustikerin aus Cuxhaven einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus der Region erfolgreich vor dem Oberlandesgericht Celle. Die Mediziner hätten, so der Vorwurf der Akustikerin, ihren Kunden ungefragt und gerne empfohlen, doch zur örtlichen Filiale von Focus Hören zu wechseln. Das Gericht verdonnerte die Ärzte am 20. Oktober 2011, ihr Werben für Focus Hören zu unterlassen und der Akustikerin den Schaden zu ersetzen, den sie ihr durch die Verweisungen zugefügt hatten. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Trotzdem inszeniert sich Focus-Hören-Mitbegründer Stinnesbeck als eine Art Robin Hood der Branche. „Wir brechen die Monopolstrukturen auf und sorgen für Preistransparenz“, verspricht er, „bei uns kosten die Hörgeräte im Schnitt 800 Euro, deutlich weniger als bei der Konkurrenz.“ Im Markt legten „wenige große Anbieter die Preise fest, viele Geräte sind völlig überteuert“.

Niederlage vor Gericht

Kein Wunder, dass der selbst ernannte Ärzte- wie Patientenfreund und die Etablierten der Branche sich mittlerweile mit juristischen Mitteln befehden. Größter Gegner Stinnesbecks wie der anderen Ärzte-Beteiligungsfirmen ist die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, die Biha, der 90 Prozent der großen und kleinen Anbieter der Branche angehören. Deren Funktionäre macht Stinnesbeck für den bisher eher enttäuschenden Verlauf seines Geschäfts verantwortlich – nur 170.000 Euro Jahresumsatz pro Laden gegenüber 270.000 Euro im Bundesschnitt. „Die Biha hat unserer Entwicklung geschadet“, ist Stinnesbeck überzeugt. „Die diskriminiert uns bei den Ärztekammern, bei Krankenkassen und der Bundesregierung.“

Hinter dem Verband stehen die Großen der Branche wie etwa der niedersächsische Unternehmer Martin Kind, bundesweit besser bekannt als Präsident des Fußballbundesligavereins Hannover 96. Kind betreibt bundesweit über 500 Filialen und erwirtschaftet mehr als 150 Millionen Euro Umsatz. „In den nächsten Jahren wollen wir unseren Marktanteil kontinuierlich erhöhen und die Zahl unserer Fachgeschäfte von derzeit 530 auf etwa 800 ausbauen“, sagt sein Sohn Alexander, der gemeinsam mit dem Vater die Geschäfte führt.

Auf inzwischen 470 Läden kommt Kinds Verfolger Geers aus Dortmund, der jedes Jahr 50 neue Filialen eröffnen will. Brillenriese Fielmann verkauft Hörgeräte bislang in 50 Läden.

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