In seinem Ärzte-Newsletter „focus hören Aktuell“ versucht Stinnesbeck alle Zweifel an der Beteiligung der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an der Hörgerätekette zu zerstreuen. „Ärzte haben die gleichen Rechte zu investieren wie jeder andere Bürger auch“, wird dort argumentiert. Auch einen praktischen Tipp hat der Akustikgründer parat: „Erst recht gilt das für Angehörige von Ärzten oder deren Ehepartner. Wer Ihnen etwas Gegenteiliges erzählt – egal, ob Rechtsanwalt, Steuerberater oder Akustiker –, redet Unsinn“, schrieb Stinnesbeck zum Beispiel im Oktober 2012.
Anwalt Rau äußert sich da schon vorsichtiger. „Einem Arzt ist es nicht vollständig verboten, sich an einer solchen Gesellschaft zu beteiligen.“ Er sollte aber „den Patienten auf jeden Fall auf seine Beteiligung hinweisen“.
Stinnesbeck baut deshalb schon mal vor. Er gehe davon aus, dass sich die Ärzte bei Focus Hören als Mediziner korrekt verhielten, erklärte er gegenüber der WirtschaftsWoche: „Es ist ja nicht gesagt, dass Ärzte, die sich bei uns beteiligen, ihre Patienten nur noch zu Focus Hören schicken.“
Empfehlung vom Arzt
Doch die Praxis lässt Zweifel an seiner Theorie aufkommen. So verklagte eine Hörgeräteakustikerin aus Cuxhaven einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus der Region erfolgreich vor dem Oberlandesgericht Celle. Die Mediziner hätten, so der Vorwurf der Akustikerin, ihren Kunden ungefragt und gerne empfohlen, doch zur örtlichen Filiale von Focus Hören zu wechseln. Das Gericht verdonnerte die Ärzte am 20. Oktober 2011, ihr Werben für Focus Hören zu unterlassen und der Akustikerin den Schaden zu ersetzen, den sie ihr durch die Verweisungen zugefügt hatten. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Trotzdem inszeniert sich Focus-Hören-Mitbegründer Stinnesbeck als eine Art Robin Hood der Branche. „Wir brechen die Monopolstrukturen auf und sorgen für Preistransparenz“, verspricht er, „bei uns kosten die Hörgeräte im Schnitt 800 Euro, deutlich weniger als bei der Konkurrenz.“ Im Markt legten „wenige große Anbieter die Preise fest, viele Geräte sind völlig überteuert“.
Niederlage vor Gericht
Kein Wunder, dass der selbst ernannte Ärzte- wie Patientenfreund und die Etablierten der Branche sich mittlerweile mit juristischen Mitteln befehden. Größter Gegner Stinnesbecks wie der anderen Ärzte-Beteiligungsfirmen ist die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, die Biha, der 90 Prozent der großen und kleinen Anbieter der Branche angehören. Deren Funktionäre macht Stinnesbeck für den bisher eher enttäuschenden Verlauf seines Geschäfts verantwortlich – nur 170.000 Euro Jahresumsatz pro Laden gegenüber 270.000 Euro im Bundesschnitt. „Die Biha hat unserer Entwicklung geschadet“, ist Stinnesbeck überzeugt. „Die diskriminiert uns bei den Ärztekammern, bei Krankenkassen und der Bundesregierung.“
Hinter dem Verband stehen die Großen der Branche wie etwa der niedersächsische Unternehmer Martin Kind, bundesweit besser bekannt als Präsident des Fußballbundesligavereins Hannover 96. Kind betreibt bundesweit über 500 Filialen und erwirtschaftet mehr als 150 Millionen Euro Umsatz. „In den nächsten Jahren wollen wir unseren Marktanteil kontinuierlich erhöhen und die Zahl unserer Fachgeschäfte von derzeit 530 auf etwa 800 ausbauen“, sagt sein Sohn Alexander, der gemeinsam mit dem Vater die Geschäfte führt.
Auf inzwischen 470 Läden kommt Kinds Verfolger Geers aus Dortmund, der jedes Jahr 50 neue Filialen eröffnen will. Brillenriese Fielmann verkauft Hörgeräte bislang in 50 Läden.