Kein Witz, auch wenn er so beginnt. Kommt ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt zum Hörgeräteakustiker. Sagt der Arzt: Mensch, durch die ständigen Gesundheitsreformen geht’s mir immer schlechter. Ich schick’ dir so viele Patienten mit Hörschäden rüber, da musst auch du was rüberwachsen lassen, sagen wir 100 Euro pro Patient. Der Akustiker ziert sich zuerst, sagt dann aber: Okay, das muss allerdings unter uns bleiben.
Schilderungen dieser Art kursieren zuhauf in einer Branche, der dank der Alterung der Gesellschaft in den kommenden Jahren der ganz große Boom winkt: den Hörgeräteakustikern. Schmiergelder, Gerichtsprozesse und unlautere Tricks gehören zum Geschäftsalltag wie die Stimmgabel zum Chorleiter. Das zeigen wochenlange Recherchen der WirtschaftsWoche bei Akustikern, Ärzten, Juristen und Kriminalisten.
Was die Insider berichten, lässt nur einen schlimmen Schluss zu: Im Geschäft mit den elektronischen Winzlingen wird unlauter kassiert und geschmiert, dass einem Hören und Sehen vergehen – ob mit offenen Kickbacks, stillen Firmenbeteiligungen oder mit Ehegatten und nahen Verwandten, die als Strohmänner Hilfe leisten.
10 Prozent, 100 Ärzte, 1000 Euro
10 Prozent der HNO-Ärzte gelten als korruptionsanfällig
100 Ärzte sind an den Akustikgeschäften von Focus Hören beteiligt
1000 Euro geben die Deutschen im Schnitt für ein Hörgerät aus
Korrupte Ärzte und Pharmafirmen
„Akustiker sind eine ganz besonders schlimme Spezies“, behauptet Uwe Dolata, Korruptionsexperte beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Der 56-jährige Kriminalhauptkommissar aus Würzburg kennt sich aus im deutschen Gesundheitswesen und hat schon viele korrupte Ärzte und Pharmafirmen zur Strecke gebracht. Bei Akustikern und Orthopäden sei die Korruption jedoch „ganz besonders ausgeprägt“.
900.000 Hörgeräte für insgesamt 1,3 Milliarden Euro gingen 2012 in Deutschland über den Ladentisch. Durchschnittlich 1000 Euro kostet hierzulande der Knopf im oder hinterm Ohr. Nur etwa 400 Euro davon übernimmt die gesetzliche Krankenkasse, den großen Rest bezahlt der Patient. Spitzenmodelle mit Dutzenden Hörkanälen oder Sonderfunktionen wie etwa „Sprache im Wind“ kosten schon mal um die 2500 Euro. Direkte Verbindungen zum Mobiltelefon, MP3-Player oder zu Fernsehern haben aus der elektronischen Hörhilfe längst technische Wunderwerke gemacht.
Wachsender Markt
Seit Jahren wächst der Markt im Schnitt um fünf Prozent jährlich. In diesem Tempo wird es weitergehen, erwartet Hans-Peter Bursig, Chef des Verbandes der Hörgeräte-Industrie: „Die Deutschen werden älter, und die Miniaturisierung sowie Leistungsfähigkeit der Geräte erhöht gleichzeitig die Akzeptanz.“
Dass Handaufhalten und verdecktes Abkassieren in der Branche funktioniert, liegt zum einen an den hohen Spannen, die zwischen Einkauf und Verkauf liegen: Häufig, so heißt es in der Branche, schlagen die Händler noch mal 100 Prozent drauf – vor allem bei teuren Geräten.
Zum anderen dürften Mauscheleien begünstigt werden, weil der Hörgerätemarkt überschaubar ist. Die Beteiligten kennen sich oft allzu gut: Drei große Hersteller – Siemens, der Schweizer Anbieter Phonak und das dänische Unternehmen William Demant mit seiner Marke Oticon – decken weit mehr als 50 Prozent des Marktes ab.
Ärzte und Akustiker
Lücken bei der Lauterkeit gibt es offenkundig im Zusammenspiel zwischen Ärzten, die ein Hörgerät verschreiben, und den Akustikern, die die Elektronik an die Bedürfnisse des Patienten anpassen. Zwar gibt es einige überregionale mittelständische Ketten, denen kein Fehlverhalten nachzuweisen ist, wie Kind aus dem niedersächsischen Großburgwedel, Geers aus Dortmund sowie den Augenoptiker Fielmann.
Das Gros bilden jedoch rund 3000 kleine selbstständige Akustiker, mit einem häufig besonders kurzen Draht zu den Hals-Nasen-Ohren-Doktoren um die Ecke. Von denen, so heißt es im Umfeld der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, seien „etwa zehn Prozent korruptionsanfällig“.
Ärztevertreter sehen darin freilich nur Einzelfälle. Um welche Beträge es bei dem unterlaubten Geben und Nehmen geht, wer den ersten Schritt tut und wie fragwürdige Geschäfte mit Hörgeräten auch überregional funktionieren, zeigen die Berichte der Brancheninsider gegenüber der WirtschaftsWoche. Bei den verdeckten Geldern, die Ärzte von Akustikern einfordern, gilt offenkundig das Prinzip: Kleinvieh macht auch Mist. Die Tarife, zu denen ein Mediziner seinem Patienten einen bestimmten Akustiker empfiehlt, bewegten sich dabei vom mittleren zweistelligen bis zum niedrigen dreistelligen Bereich. In Nordrhein-Westfalen etwa kommen die Akustiker mit etwa 50 Euro davon, in Norddeutschland sind es dagegen 200 Euro.
Es geht nicht immer um Cash
Wehe dem Akustiker, der sich auf das schmutzige Spiel nicht einlässt. „Wer sich weigert zu zahlen, den macht der Arzt im Gespräch mit dem Patienten dann schon mal schlecht“, erzählt ein Hörgeräteakustiker vom Niederrhein, „da stimmen dann zum Beispiel die Werte nicht, die der Akustiker gemessen und eingestellt hat.“
Doch die Ärzte bestünden nicht immer auf Cash, berichtet ein Insider, der die Praktiken der Branche seit Jahren kennt: „Manchmal übernimmt der Akustiker auch die Leasingraten für den Porsche der Doktorengattin.“ Oder der Hörgeräteakustik-Meister stelle die Ehefrau des Arztes bei sich an und bezahle sie abhängig vom Umsatz, den der Gatte ihm verschaffe.
Korruption im Gesundheitswesen
Neben den Hals-Nasen-Ohren-Ärzten gelten Orthopäden als besonders korruptionsanfällig. Der Vorwurf: Viele der Knochen- und Gelenkspezialisten schicken ihre Patienten zu bestimmten Physiotherapeuten und Sanitätshäusern – und lassen sich ihre Empfehlungen von denen gut bezahlen. Krankenkassen berichten, dass Sanitätshäuser schon mal die Miete für die Arztpraxis übernehmen oder die Praxiseinrichtung finanzieren. Auch soll es Orthopäden geben, die Patienten Einrichtungen empfehlen, an denen sie selbst beteiligt sind.
Viele Ärzte sollen Extrahonorare für Überweisungen von Patienten an bestimmte Krankenhäuser kassieren. Nach einer Studie der Universität Halle-Wittenberg im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen ist diese Praxis weitverbreitet. 24 Prozent der Kliniken zahlen demnach Fangprämien. Pro Patient, der eine neue Hüftgelenkprothese benötigt, zahlten Krankenhäuser nach früheren Erkenntnissen schon mal 200 Euro an den überweisenden Arzt. Bundesärztekammer-Chef Frank Ulrich Montgomery bestreitet die Studie und wirft den Autoren Stimmungsmache vor.
Zwei Drittel aller Optiker, Zahntechniker und Apotheken zahlen laut der Studie im Auftrag der gesetzlichen Krankenkasse „häufig bis gelegentlich“ Vergütungen an Ärzte, um Aufträge und Patienten zu erhalten. In manchen Fällen sollen Augenärzte Patienten, nachdem sie die Werte des Patienten gemessen haben, auch schon mal für eine Gegenleistung Musterbrillen eines bestimmten Augenoptikers offeriert haben. „Das ist alles schon vorgekommen“, berichtet ein ärztlicher Insider aus der Praxis.
Rechtlich umstritten
Nicht minder kreativ zeigen sich offenkundig auch die Akustiker, um Ärzte „anzufüttern“, damit die ihre Patienten vorbeischicken. „Die Händler veranstalten zur Geschäftseröffnung eine Party oder eine Vernissage und ziehen die örtlichen Hals-Nasen-Ohren-Mediziner mal unauffällig zur Seite“, sagt der Kripobeamte Dolata.
Bisher ist Korruption im Gesundheitswesen ein rechtlich umstrittenes Feld. Zwar argumentierte der Bundesgerichtshof kürzlich, dass sich nach geltendem Recht niedergelassene Ärzte nicht wegen Korruption strafbar machen können, da sie keine Amtsträger sind. Doch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will die Vorschriften nun verschärfen – korrupte Ärzte müssen danach künftig mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen.
Ärzte können mitverdienen
Offene Zahlungen oder versteckte Rücküberweisungen an Ärzte, sogenannte Kickbacks, sind bereits jetzt eindeutig verboten. „Kickbacks eines Akustikers, einer Apotheke oder eines Krankenhauses an einen Arzt sind rechtswidrig, weil sich ein Patient darauf verlassen können muss, dass die ärztliche Empfehlung sich am Wohl des Patienten und nicht an den finanziellen Vorteilen des empfehlenden Arztes orientiert“, sagt Stephan Rau, Anwalt der Münchner Kanzlei McDermott Will & Emery.
Von ganz anderem Kaliber sind jene Hörgeräteakustikunternehmen, an denen sich Hals-Nasen-Ohren-Ärzte mit Kapital beteiligen können, um von ihren Patienten im Nachgang und im Verborgenen ein zweites Mal zu profitieren. So können Ärzte als Mitunternehmer an den verkauften Hörgeräten mitverdienen. Da liegt der Verdacht nahe, der Arzt schicke seine Patienten zu jenem Anbieter, an dem er selbst beteiligt ist.
Zu den Akustikern mit stiller Ärzte-Beteiligung zählte etwa die Versacustic GmbH in Ratingen bei Düsseldorf mit insgesamt 19 Filialen. Das Unternehmen lud vor zwei Jahren Hals-Nasen-Ohren-Ärzte ins Mannheimer Maritim Hotel ein, um ihnen „...im Rahmen eines Infoabends ein hochinteressantes und rechtlich geprüftes Modell im Bereich des Betriebs von Hörzentren mit Kapitalbeteiligung“ vorzustellen.
Marktführer
Gemeint war damit wohl nichts anderes als das Angebot an die Mediziner, bei Versacustic einzusteigen. Mittlerweile verzichtet das Unternehmen auf solche Methoden: Die Kette gehört inzwischen dem österreichischen Hörakustiker Neuroth und veranstaltet nach Worten von Geschäftsführer Michael Munzel keine solche Akquisitionsabende mehr. Zudem habe sich Versacustic von den Ärzten schriftlich versichern lassen, dass die Beteiligung an der GmbH ihre Empfehlungen für die Inanspruchnahme eines bestimmten Akustikers nicht beeinflusst habe.
Als Marktführer unter den Hörgeräteakustikern mit ärztlicher Beteiligung gilt die Focus Hören AG, an der der österreichische Hörgeräteakustiker Neuroth seit 2010 ebenfalls zu einem Viertel beteiligt ist. Das Bonner Unternehmen betreibt bundesweit 60 Filialen und nimmt für sich in Anspruch, das Geschäftsmodell erfunden zu haben.
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Geschäftsmodell
„Focus Hören ist der Pionier der ärztlichen Beteiligung am Hörgerätemarkt“, sagt Mitgründer Thomas Stinnesbeck, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Geschäftspartner, dem Ärzteberater Peter Ruwe aus Bonn, im Jahr 2003 aus der Taufe gehoben hat. Stinnesbeck leitete früher den Hörgerätevertrieb des Münchner Technologie-Konzerns Siemens, für den er das Geschäftsmodell, nach dem Focus Hören heute arbeitet, seinerzeit entwickelt hat. Als Siemens jedoch darauf nicht ansprang, setzte er die Idee selber um.
Stinnesbeck und Ruwe halten die Mehrheit an Focus Hören. Die Ärzte können Anteile an der AG oder an einzelnen Filialen erwerben und werden am möglichen Gewinn beteiligt. Nach Angaben von Stinnesbeck haben sich bislang etwa 100 Ärzte an den bundesweit 60 Filialen beteiligt. Die meisten sind mit 25 000 Euro dabei. Den Jahresumsatz von Focus Hören beziffert Stinnesbeck auf etwa zehn Millionen Euro. Nur ein Drittel der Filialen mache derzeit allerdings gute Gewinne.
Als Mediziner korrekt
In seinem Ärzte-Newsletter „focus hören Aktuell“ versucht Stinnesbeck alle Zweifel an der Beteiligung der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte an der Hörgerätekette zu zerstreuen. „Ärzte haben die gleichen Rechte zu investieren wie jeder andere Bürger auch“, wird dort argumentiert. Auch einen praktischen Tipp hat der Akustikgründer parat: „Erst recht gilt das für Angehörige von Ärzten oder deren Ehepartner. Wer Ihnen etwas Gegenteiliges erzählt – egal, ob Rechtsanwalt, Steuerberater oder Akustiker –, redet Unsinn“, schrieb Stinnesbeck zum Beispiel im Oktober 2012.
Anwalt Rau äußert sich da schon vorsichtiger. „Einem Arzt ist es nicht vollständig verboten, sich an einer solchen Gesellschaft zu beteiligen.“ Er sollte aber „den Patienten auf jeden Fall auf seine Beteiligung hinweisen“.
Stinnesbeck baut deshalb schon mal vor. Er gehe davon aus, dass sich die Ärzte bei Focus Hören als Mediziner korrekt verhielten, erklärte er gegenüber der WirtschaftsWoche: „Es ist ja nicht gesagt, dass Ärzte, die sich bei uns beteiligen, ihre Patienten nur noch zu Focus Hören schicken.“
Empfehlung vom Arzt
Doch die Praxis lässt Zweifel an seiner Theorie aufkommen. So verklagte eine Hörgeräteakustikerin aus Cuxhaven einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus der Region erfolgreich vor dem Oberlandesgericht Celle. Die Mediziner hätten, so der Vorwurf der Akustikerin, ihren Kunden ungefragt und gerne empfohlen, doch zur örtlichen Filiale von Focus Hören zu wechseln. Das Gericht verdonnerte die Ärzte am 20. Oktober 2011, ihr Werben für Focus Hören zu unterlassen und der Akustikerin den Schaden zu ersetzen, den sie ihr durch die Verweisungen zugefügt hatten. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Trotzdem inszeniert sich Focus-Hören-Mitbegründer Stinnesbeck als eine Art Robin Hood der Branche. „Wir brechen die Monopolstrukturen auf und sorgen für Preistransparenz“, verspricht er, „bei uns kosten die Hörgeräte im Schnitt 800 Euro, deutlich weniger als bei der Konkurrenz.“ Im Markt legten „wenige große Anbieter die Preise fest, viele Geräte sind völlig überteuert“.
Niederlage vor Gericht
Kein Wunder, dass der selbst ernannte Ärzte- wie Patientenfreund und die Etablierten der Branche sich mittlerweile mit juristischen Mitteln befehden. Größter Gegner Stinnesbecks wie der anderen Ärzte-Beteiligungsfirmen ist die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker, die Biha, der 90 Prozent der großen und kleinen Anbieter der Branche angehören. Deren Funktionäre macht Stinnesbeck für den bisher eher enttäuschenden Verlauf seines Geschäfts verantwortlich – nur 170.000 Euro Jahresumsatz pro Laden gegenüber 270.000 Euro im Bundesschnitt. „Die Biha hat unserer Entwicklung geschadet“, ist Stinnesbeck überzeugt. „Die diskriminiert uns bei den Ärztekammern, bei Krankenkassen und der Bundesregierung.“
Hinter dem Verband stehen die Großen der Branche wie etwa der niedersächsische Unternehmer Martin Kind, bundesweit besser bekannt als Präsident des Fußballbundesligavereins Hannover 96. Kind betreibt bundesweit über 500 Filialen und erwirtschaftet mehr als 150 Millionen Euro Umsatz. „In den nächsten Jahren wollen wir unseren Marktanteil kontinuierlich erhöhen und die Zahl unserer Fachgeschäfte von derzeit 530 auf etwa 800 ausbauen“, sagt sein Sohn Alexander, der gemeinsam mit dem Vater die Geschäfte führt.
Auf inzwischen 470 Läden kommt Kinds Verfolger Geers aus Dortmund, der jedes Jahr 50 neue Filialen eröffnen will. Brillenriese Fielmann verkauft Hörgeräte bislang in 50 Läden.
Mehr Gewinn
Immer mal wieder haben Biha-Mitglieder gegen HNO-Ärzte geklagt, die mit Focus Hören zusammenarbeiten, und dabei, wie etwa vor dem Oberlandesgericht Celle, auch recht bekommen. Biha-Hauptgeschäftsführer Jakob Stephan Baschab sieht das Geschäftsmodell von Focus Hören aus diesem Grund auch „juristisch kritisch“. Von einer Diskriminierung könne jedoch keine Rede sein.
„Die Zahl der sogenannten Ärzte-GmbHs hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen“, sagt Baschab. „Wir wehren uns dagegen, dass einige HNO-Mediziner ihren Patienten die eigenen Fachgeschäfte empfehlen und der Wettbewerb außen vor bleibt.“
Überhöhte Preise?
Umgekehrt wirft Stinnesbeck den herkömmlichen Akustikern überhöhte Preise vor. Dazu zähle der Trick, Billiggeräte vorsätzlich falsch an die Bedürfnisse von Patienten anzupassen, damit diese unzufrieden seien und auf ein teureres Modell mit entsprechend mehr Gewinn für den Akustiker springen würden. Auf diese Weise verkauften klassische Akustiker Hörgeräte für 2500 bis 2800 Euro, die im Einkauf gerade mal 1200 bis 1300 Euro kosten.
Die Biha weist die Vorwürfe freilich zurück. „Eine vorsätzliche Falschanpassung von Hörsystemen durch Akustiker ist uns nicht bekannt“, sagt ihr Hauptgeschäftsführer Baschab, „es ist auch falsch, dass die Hörgeräteakustiker überhöhte Preise erzielen.“
Tatsache ist aber, dass die preiswerteren Hörgeräte, die Patienten ohne eigene Zuzahlung erwerben, nach Branchenschätzungen nur etwa 20 bis 30 Prozent aller verkauften Geräte in Deutschland ausmachen.
Die Kunden
Die Angst der Etablierten vor Preisbrechern wie Focus Hören, so fragwürdig die Beteiligung der Ärzte am Geschäft auch sein mag, wurzelt tief und geht zurück auf den Dezember 2010. Damals machte Mitbegründer Stinnesbeck seine Vorwürfe erstmals im ZDF-Politikmagazin „Frontal 21“ publik.
Die Wirkung auf die Kunden einzelner Hörgeräteakustiker war verheerend. „Seitdem der Beitrag im Fernsehen lief, sind die Kunden viel misstrauischer geworden“, sagt einer aus Bayern, der seinen Namen aber lieber nicht genannt wissen will. Er habe in der Folgezeit etliche Kunden verloren. Das Geschäftsjahr 2011 sei schlecht gelaufen, ebenso 2012. „Ich habe Existenzängste“, gesteht der Händler. Eine Auszubildende habe er damals nicht übernehmen können.
Die Aussichten, dass die Geschäfte des bayrischen Hörgeräteakustikers einmal wieder wie früher laufen, sind schlecht: Wenige Meter von ihm entfernt eröffnete kürzlich eine Filiale von Focus Hören.