Beim weltbekannten Kaufhaus Macy’s an der 34th Street in New York kommen Schnäppchenjäger voll auf ihre Kosten.
Hemden von Calvin Klein und Ralph Lauren sind um 40 Prozent herabgesetzt, Krawatten von Michael Kors und Tommy Hilfiger um bis zu 60 Prozent. Einzig Hugo Boss zeigt sich knauserig. In der Abteilung im Erdgeschoss gibt es auf ausgewählte Hemden gerade einmal 20 Prozent Nachlass, im ersten Obergeschoss gehen Shirts und Jogginghosen ein Viertel unter dem Originalpreis weg.
Offenbar lässt der Modekonzern aus Metzingen Worten tatsächlich Taten folgen. Boss hat angekündigt, sich aus den in den USA üblichen Rabattschlachten herauszuhalten. In China geht der Ausstatter genau den entgegengesetzten Weg. Dort kosteten Anzüge mit umgerechnet bis zu 1000 Euro doppelt so viel wie in Deutschland, die Marke soll nun günstiger werden.
Top 10 Einkaufsstätten für Bekleidung 2015
New Yorker: 12,9 Prozent.
Esprit: 15,6 Prozent.
Karstadt: 15,7 Prozent.
Kik: 16,3 Prozent.
S.Oliver: 16,6 Prozent.
Ernsting's Family: 17 Prozent.
Peek & Cloppenburg: 18,4 Prozent.
Galeria Kaufhof: 21,7 Prozent.
Hennes & Mauritz (H&M): 25 Prozent.
C&A: 43,9 Prozent.
Mit der Korrektur der Preispolitik will der seit Mai amtierende Chef Boss zurück zu altem Erfolg führen. Das ist ein beschwerlicher Weg. Die Umsätze sind erst mal gesunken, die Prognosen hat der Konzern zuletzt nach unten korrigiert. Dabei ist die Preispolitur nur der erste Teil eines großen Umbauprogramms: Im Detail will der neue Boss-Chef seine Strategie im November vorstellen. Doch längst ist klar, dass es ums Schrumpfen geht. Boss muss sich von Ambitionen in Übergröße verabschieden. Statt XXL ist allenfalls Medium angesagt.
So hat Langer bereits angekündigt, weltweit 20 Filialen zu schließen. Und schon sein Werdegang zeigt, wo künftig die Prioritäten liegen. Der 48-Jährige hat bei der Unternehmensberatung McKinsey angefangen und war zuletzt Finanzvorstand. Das steht für knallharte Analyse, für Führen nach Zahlen. Glamour sieht anders aus.
Unter Claus-Dietrich Lahrs übernahm sich der Konzern
Von dem hatte Hugo Boss auch genug. Der Konzern leidet unter der exzessiven Expansionspolitik von Langers Vorgänger Claus-Dietrich Lahrs. Angetrieben vom Finanzinvestor Permira, dem zeitweiligen Mehrheitseigentümer, hatte der Ex-Dior-Manager die Zahl eigener Läden seit 2010 weltweit auf rund 1100 verdoppelt und nicht nur in China versucht, die Oberklassemarke Boss preislich ins Luxussegment zu liften. Mit beidem hat sich der Konzern übernommen. Zudem hapert es bei Themen wie der Damenkollektion, die auch nach 16 Jahren kaum mehr als zehn Prozent zum Konzernumsatz beisteuert.
2015 stieg der Umsatz noch leicht, doch der Gewinn ging im Vergleich zu 2014 um vier Prozent zurück. Anfang 2016 gab Boss bekannt, dass es auf absehbare Zeit kaum besser werden dürfte. Binnen weniger Stunden verlor die Boss-Aktie rund 20 Prozent ihres Wertes, erholt hat sie sich kaum. Innerhalb der vergangenen zwölf Monate hat sich ihr Kurs von 107 auf 57 Euro fast halbiert.
Und die Perspektiven bleiben wenig berauschend: Im zweiten Quartal 2016 ging der Umsatz um vier Prozent zurück, für das Gesamtjahr rechnet das Management nun bestenfalls noch mit einer Stagnation. „Wir müssen kundenorientierter, schneller und flexibler werden“, kündigte Langer bei Vorlage der Zahlen Anfang August an. Investieren will er künftig nicht mehr in neue Shops, sondern vor allem in die Renovierung bestehender Läden und die Digitalisierung des Geschäftsmodells. Die sichtbarsten Effekte aber sollen die veränderten Preise bringen.
Keine Rabattschlachten mehr
Bei Macy’s führt Hugo Boss acht Flächen innerhalb des Einkaufstempels in Eigenregie. Das Modell soll US-weit Schule machen und den üblichen Verkauf über den Großhandel ablösen.
Man wolle die Hoheit über seine Marke zurückerlangen, heißt es dazu aus Metzingen. Und damit auch den Einfluss auf den Verkaufspreis. Durch die Preisnachlässe hat Boss in den USA zwar mehr Hemden verkauft, die Marge sank jedoch von 22,4 auf 20,4 Prozent. Nun soll Profit wichtiger als Masse sein. Im zweiten Quartal ging der US-Umsatz auch als Folge der Rabattabstinenz um 21 Prozent zurück.
Dauerhaft dürfte es für Boss schwer werden, sich dem Preisdruck zu entziehen. „US-Kunden suchen bevorzugt nach guten Deals. Rabatte sind sie schlicht gewöhnt“, sagt die New Yorker Modedozentin und Branchenexpertin Veronica Manlow. Nur wenigen Marken gelänge es, Originalpreise durchzusetzen. „Das sind Designer, die eine klare Botschaft und ein klares Image haben.“ Das gehe Hugo Boss in den USA ab. „Kaum jemand weiß, wofür die Marke steht“, kritisiert Manlow. Sie würde die Herkunft der Hemden und Hosen stärker betonen. Deutsche Produkte stünden für Qualität und anspruchsvolles Design. „Nicht nur Autokonzerne können mit diesen Attributen werben, sondern auch die Modeindustrie.“
Höhere Preise lassen sich in den USA ohnehin nur allmählich durchsetzen. Kaufhäuser wie der Outlet-Spezialist Saks Off 5th sitzen auf großen Mengen von Waren. Zu welchem Preis sie diese verkaufen, entscheiden sie selbst. In Woodbury, eine knappe Autostunde nördlich von Manhattan, gibt es im Hugo-Boss-Shop selbst Teile der neuesten Kollektion zum Schnäppchenpreis. Auf ohnehin reduzierte Poloshirts, Hemden und Krawatten gibt es im Schnitt weitere 30 Prozent Preisnachlass. Eine Ausnahme sei das nicht, berichtet die Verkäuferin.
Mehr Umsatz im Onlineshop
Läden eröffnen! Das stand im Modehandel in den vergangenen Jahren ganz oben auf der Agenda. Die Strategie ist nicht nur bei Boss gescheitert. Auch bei s.Oliver, Esprit und Tom Tailor ist die Ladenblase geplatzt. Der Damenmodefilialist Gerry Weber engagierte vor wenigen Monaten sogar einen professionellen „Abmieter“, der den Westfalen bei der Schließung von mehr als 100 Läden helfen soll. In Zukunft wird vor allem die Digitalisierung des Geschäftsmodells über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Boss-Chef Langer will die Läden viel stärker mit dem Onlinegeschäft vernetzen. Bisher konnten sich Kunden im Netz bestellte Anzüge, Hemden und Krawatten nur nach Hause liefern lassen. Genutzt haben sie das Angebot kaum, der Anteil der Klamotten, die Boss über das Netz verkauft, liegt bei weniger als fünf Prozent. Um das zu ändern, hat Langer Anfang Mai die komplette Auftragsabwicklung des europäischen Onlinegeschäfts von Arvato in die eigenen Hände genommen. So sollen sich Onlineshop und Ladengeschäft besser verknüpfen lassen, heißt es aus Metzingen. Kunden können sich Kleidung künftig auch in den nächsten Boss-Laden liefern lassen, sie dort anprobieren, sich vom Personal beraten lassen und gegebenenfalls auch gleich zurückgeben.
Die britische Luxusmarke Burberry hat dieses Click & Collect genannte Prinzip schon vor drei Jahren etabliert. Auch Textil- und Modeketten wie Breuninger, Hirmer, Kaufhof Galeria und Karstadt bieten ihren Kunden diesen Service an. Gegenüber diesen Wettbewerbern und reinen Internetkonzernen wie Zalando und Amazon will Boss mit den eigenen Läden nicht zurückfallen. Die Vernetzung hat deshalb höchste Priorität bei der Digitalstrategie.
Filialen schließen und Preise anpassen
„Ist das nicht zu teuer?“, schallt es durch den Verkaufsraum in einem Boss-Laden in Shanghai. Die junge Frau sitzt auf einem schwarzen Ledersofa, ein Handy in der Hand, aus dem eine Sprachnachricht scheppert.
Eine Verkäuferin packt ihr gerade ein Boss-T-Shirt für 900 Yuan ein. Umgerechnet sind das rund 120 Euro.
Das können sich mittlerweile viele Chinesen leisten. Die Angehörigen der urbanen Schicht legen viel Wert auf Status und zeigen diesen gerne. Eigentlich sind das blendende Bedingungen für einen westlichen Modekonzern: Das Geschäft ist einer von zehn Hugo-Boss-Läden in Shanghai und liegt im Jingan-Viertel, einer der teuersten Gegenden der Stadt. Dort ist die Konkurrenz groß. Luxusanbieter wie Prada oder Louis Vuitton sind auch da.
Doch selbst die Ausgabefreude reicher Chinesen kennt Grenzen. Die Preise sind in der Regel deutlich höher als in Europa, durch Internetshops und Auslandsreisen sind Chinesen gut informiert und kommen günstiger an das begehrte Gut. Viele Reisebusse legen auf ihrer Deutschlandtour eigens einen Zwischenstopp in Metzingen ein.
Das einstige Hoffnungsland ist mittlerweile zu einem der größten Problemfälle im Boss-Reich geworden. Deshalb steuert der Konzern besonders hart um: Die Preise hat er im Durchschnitt um 20 Prozent gesenkt, in dem Laden im Jingan-Viertel sind viele Klamotten um mehr als 50 Prozent reduziert. Vor allem wegen des schwachen Geschäfts in Hongkong und Macau ging der Umsatz in China zuletzt um 14 Prozent zurück. Trotzdem hat der Konzern zuletzt „höhere Volumina registriert“.
Ab 225 Euro mit Autogramm
In dem Shanghaier Laden ist davon wenig zu sehen: Drei Kunden verlieren sich auf zwei Etagen, die Mitarbeiter spielen gelangweilt mit ihren Handys. Eine junge Chinesin, die gerade ein Herrenhemd gekauft hat, trägt selbst ein billiges T-Shirt mit roten Strasssteinen darauf. Um jüngere Kunden wie sie zu gewinnen, hat Boss kürzlich Wallace Huo Chien-hwa zum Werbebotschafter gemacht. Der junge Schauspieler aus Taiwan ist durch Rollen in mehreren Serien eines der bekanntesten Gesichter im chinesischen Fernsehen. Im Namen von Boss postet er Bilder von sich in Markenklamotten und gibt Stylingtipps auf der Internetseite des Unternehmens. Wer dort mehr als 1680 Yuan ausgibt, umgerechnet rund 225 Euro, kann dazu ein Autogramm von ihm bekommen.
In Deutschland setzt der Konzern dagegen auf Kontinuität. Während der Europameisterschaft verlängerte er den Vertrag mit der deutschen Fußballnationalelf bis 2018. Die Mannschaft von Joachim Löw solle ihren Status als „bestangezogenes Team“ bei der nächsten WM verteidigen, teilte Boss mit. Sechs Tage später schied sie im Halbfinale aus, einen festen Platz in der Weltspitze hat sie trotzdem. Um den muss ihr Ausstatter mehr denn je kämpfen.