Indonesien Wie die Tabakindustrie Kinder vergiftet

Erbrechen gehört zum Arbeitsalltag: Kinder arbeiten laut einem NGO-Bericht unter erheblichen Gesundheitsgefahren auf indonesischen Tabakplantagen. Zigarettenkonzerne stehen am Pranger von Aktivisten.

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Die Organisation Human Rights Watch beklagt, dass auf den Tabakplantagen Indonesiens viele Kinder arbeiten. Quelle: AFP/Human Rights Watch

Bangkok Der Aushilfsjob der 13-jährigen Indonesierin Ayu kommt mit einer unangenehmen Begleiterscheinung. Regelmäßig muss sich das Mädchen übergeben. Ayus Eltern sind Tabakbauern in einem Dorf im Westen der Insel Java. Seit Jahren helfen Ayu und ihre Geschwister vor und nach der Schule auf dem Feld. „Ich habe mich schon so oft übergeben“, erzählt sie. „Mein Vater trägt mich dann nach Hause. Es passiert immer, wenn wir ernten.“

Ayu ist eines von Tausenden Kindern, die nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) auf Indonesiens Tabakplantagen arbeiten. Sie sind laut einem diese Woche veröffentlichten Bericht der Organisation unter erheblichen Gesundheitsgefahren auf den Feldern von Südostasiens größter Volkswirtschaft im Einsatz. Jeder zweite von mehr als 130 befragten Kinderarbeitern berichtete über Symptome von Nikotinvergiftungen, die die Entwicklung von Heranwachsenden erheblich stören können. Die Aktivisten prangern die internationalen Tabakkonzerne an: Diese täten zu wenig, um die Probleme in ihren Lieferketten zu unterbinden.

„Tabakfirmen machen Geld zulasten der Kinderarbeiter und deren Gesundheit“, sagt HRW-Rechercheurin Margaret Wurth. Ihrer Ansicht nach fehlt den Konzernen der nötige Überblick über ihre Lieferanten. „Wenn die Unternehmen nicht einmal wissen, woher der von ihnen eingekaufte Tabak stammt, dann ist es unmöglich zu garantieren, dass Kinder dafür nicht ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben."

Denn laut HRW ist ein großer Teil des Tabakgeschäfts in Indonesien, dem fünftgrößten Tabakproduzenten der Welt, hochgradig intransparent: Kleinbauern wie Ayus Eltern verkaufen ihre Waren an Zwischenmänner. Diese senden den Tabak in Lagerhallen und verkaufen sie von dort an Tabakhändler, die die Waren neu verpacken und sie an indonesische sowie internationale Zigarettenhersteller weitergeben. Insgesamt geht rund ein Viertel des indonesischen Tabaks in den Export. Hauptabnehmer sind die USA, Belgien und Malaysia.

Auch in Deutschland wächst die Nachfrage nach indonesischem Tabak: Laut Bundeslandwirtschaftsministerium stiegen die Einfuhren zuletzt um acht Prozent auf fast 1700 Tonnen im Jahr. Tabakkonzerne warben in Deutschland zuletzt offen mit der Herkunftsregion. Für die Variante „Straight Dark“ seiner Marke Lucky Strike startete British American Tobacco (BAT) im Jahr 2013 eine Kampagne, bei der vom „würzigen Geschmack“ der indonesisch-kolumbianischen Tabakmischung die Rede war. Der Slogan, den das Unternehmen für das in einer schwarzen Verpackung vertriebene Produkt wählte, lautete: „Die dunkle Seite des guten Geschmacks.“


„Niemand hat Richtlinien, die umfassend genug sind“

Auf der dunklen Seite des Zigarettengeschäfts landete laut Human Rights Watch auch der 16-jährige Indonesier Musa, der laut der Organisation auf der Tabakfarm seiner Familie arbeitet. Eigentlich wolle er Fußballspieler werden, heißt es in dem Bericht. Doch bis sich dieser Traum erfüllt, ist er dafür zuständig, auf dem Feld Pestizide zu verteilen.

Er mische die Chemikalien mit bloßen Händen, erzählt er den Aktivisten. Von der Arbeit sei er schwer krank geworden. „Zwei Wochen lang habe ich mich ständig übergeben“, berichtet Musa. „Der Arzt sagte mir, ich solle von den Chemikalien fern bleiben. Aber wie soll das gehen? Ich muss meinen Eltern helfen.“ Von Indonesiens Regierung forderte Human Rights Watch eine Aufklärungskampagne, die über die Gesundheitsrisiken des Tabakanbaus informiert.

Lucky-Strike-Produzent BAT und Marlboro-Hersteller Philip Morris gehören laut HRW zu den größten Abnehmern der indonesischen Tabakbauern. Beide Unternehmen bekannten sich als Reaktion auf den Bericht der Aktivisten zu einem verstärkten Kampf gegen Kinderarbeit. Ein Vertreter von Philip Morris sprach von einem Problem, das Indonesiens gesamte Landwirtschaft betreffe, nicht nur die Tabakindustrie.

Das Unternehmen verwies darauf, einen Großteil des eingekauften Tabaks nicht von Zwischenhändlern, sondern direkt von Bauern zu beziehen. Dadurch sollen sich Standards besser durchsetzen lassen. Ähnlich äußerte sich BAT in einer Mitteilung. „Wir stellen keine Kinder an und machen es den Bauern, die bei uns unter Vertrag stehen klar, dass ausbeuterische Kinderarbeit nicht toleriert wird.“

Aus Sicht von Human Rights Watch sind die Vorkehrungen der Konzerne aber nicht ausreichend, um Kinderarbeit bei Lieferanten ausschließen zu können. „Alle gaben an, Maßnahmen zu treffen“, bilanziert Rechercheurin Wurth. „Aber niemand hat Richtlinien, die umfassend genug sind.“

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