Wenn es nach dem deutschen Einzelhandel ginge, wäre vermutlich jede Woche Heimspiel. Oder ein Marathon in der Stadt. Oder zumindest einfach gutes Wetter. Treffen optimale Bedingungen zusammen, dann füllen sich die Trottoirs in den deutschen Städten und die Menschen geben ihr Geld gerne aus.
Das legen die Zahlen nahe, die der Immobilienmakler Engel & Völkers nun ermittelte. An der Spitze der Beliebtheit: Die Stuttgarter Königsstraße. Nirgendwo zählten die Mitarbeiter pro Stunde mehr Menschen als auf der Haupteinkaufsstraße der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
Deutschlands Innenstädte sind beliebt wie nie. Wenn sie etwas bieten. Das überrascht, ist es doch vor allem der Onlinehandel, der in den vergangenen Jahr einen Wachstumsrekord nach dem anderen meldet, während der stationäre Einzelhandel höchstens zufrieden ist mit den Verkäufen vor Weihnachten oder den Wochenenden.
Seit 1994 zählt die Gewerbeabteilung des Immobilienmaklers jährlich die Zahl der Passanten. An 84 Zählpunkten in 36 Städten wurden die Daten an einem Dienstag und Samstag händisch über einen Zeitraum von zwei Stunden erhoben. Und fast alle Metropolen von Stuttgart über Köln, München, Hamburg legen gegenüber dem Vorjahr kräftig zu. In Dortmund selbst bei wolkenverhangenem Himmel – um 20 Prozent.
Die beliebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands 2017
An einem Wochentag und einem Samstag im März und April wurden händisch an mehr als 100 Zählpunkten in 36 deutschen Städten die Zahl der Passanten erfasst. Von Papenburg mit 35.000 Einwohnern bis Berlin mit 3,5 Millionen Einwohnern. Berücksichtigt wurde dabei auch das Wetter. Quelle: Engel & Völkers Commercial, Passantenfrequenzzählung 2017, 01.04.2017
Hamburg
Einkaufsstraße: Spitalerstraße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 9248
2016: 7564
Differenz (2017/2016): +22%
Wetter: sonnig/bewölkt
Freiburg
Einkaufsstraße: Kaiser-Joseph-Straße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 9594
2016: 1623
Differenz (2017/2016): +491%
Wetter: sonnig
Köln
Einkaufsstraße: Hohe Straße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 9717
2016: 8800
Differenz (2017/2016): +10%
Wetter: sonnig/bewölkt
Dortmund
Einkaufsstraße: Westenhellweg
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 10.946
2016: 9113
Differenz (2017/2016): +20%
Wetter: bewölkt/Regenschauer
Frankfurt
Einkaufsstraße: Zeil
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 11.354
2016: 10.145
Differenz (2017/2016): +12%
Wetter: sonnig/bewölkt
Hannover
Einkaufsstraße: Georgstraße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 14.189
2016: 8583
Differenz (2017/2016): +65%
Wetter: sonnig
München
Einkaufsstraße: Kaufingerstraße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 14.816
2016: 17.653
Differenz (2017/2016): -16%
Wetter: sonnig/bewölkt
Köln
Einkaufsstraße: Schildergasse
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 15.089
2016: 11.201
Differenz (2017/2016): +35%
Wetter: sonnig/bewölkt
München
Einkaufsstraße: Neuhauser Straße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 15.248
2016: 17.010
Differenz (2017/2016): -10%
Wetter: sonnig/bewölkt
Stuttgart
Einkaufsstraße: Königstraße
Durchschnittliche Passantenfrequenz pro Strunde
2017: 17.018
2016: 7.430
Differenz (2017/2016): +129%
Wetter: sonnig/bewölkt
Es sind dabei die Ereignisse in der Stadt oder Umgebung, die den Händlern auf Schildergasse, Kaufingerstraße oder Westenhellweg die willkommenen Kunden in die Arme treibt. Spitzenreiter mit einem Plus von 491 Prozent gegenüber dem Vorjahr: Freiburg. „Das ist ein Ausreißer, den wir uns auch damit erklären, dass am nächsten Tag in Freiburg ein Marathon war“, sagt Maike Brammer, Leiterin Research für Wohn- und Gewerbeimmobilien bei Engel & Völkers.
Bei ihren Shoppingtouren nehmen die Passanten die Verödung der Innenstädte pauschal nicht wahr. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts für Handelsforschung. Als Schulnote bekämen die deutschen Innenstädte eine 3+. Das ist das gleiche Resultat wie 2014, wie das IFH in seiner Untersuchung „Vitale Innenstädte“ feststellte.
Size matters
Je größer die Stadt, desto zufriedener die Kunden. Die Durchschnittsnote für Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern liegt bei 2,3, während sich Städte mit weniger als 50.000 Einwohnern mit einer 2,8 begnügen müssen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Kleinstädte nicht attraktiv sind. Orte wie Freudenstadt im Schwarzwald punkten mit Wegen, Plätzen und Grünflächen, während das Mosel-Städtchen Bernkastel-Kues mit Sauberkeit seine Besucher begeistert.
Doch magnetische Anziehungskraft üben die Metropolen aus. Nicht nur für Besucher. Vor allem auch für die Marken. Und alle wollen nach Berlin. „Es ist für Retailer der Place to Be“, sagt Alexander Torwegge von Engel & Völkers. „Jede Marke, die einen Eintritt in den deutschen Markt plant, möchte zuerst in Berlin sein.“
Dabei fehlt es Berlin an dem, was in Hamburg, Köln oder München das klassische Zentrum ist. Viel mehr bietet die Stadt gleich mehrere kleinere Sammelstellen, die sie in der Summe attraktiv macht. Die am häufigsten frequentierte Stelle bleibt die Tauentzienstraße mit dem Luxuskaufhaus KaDeWe und Flagshipstores von Nike und anderen Bekleidungsmarken. Die schafft es trotz einer gestiegenen Passantenfrequenz nur auf Rang 17 der am häufigsten frequentierten Einkaufsstraßen.
Die Schlacht um die allerbesten Lagen ist in den meisten Städten geschlagen – den haben die Konzerne für sich entschieden. So musste der Düsseldorfer Modehändler Eickhoff bereits 2014 seine Pforten schließen, der zunehmende Wettbewerb durch den Stuttgarter Händler Breuninger mit seinem Luxuskaufhaus und die zunehmende Zahl an Boutiquen renommierter Marken, ließen den Händler wenig optimistisch in die Zukunft schauen. Heute füllen die Kleider von Dior die Verkaufsfläche. Dior – eine Tochter des Konzerns LVMH.
Deutschlands beliebteste Waren- und Kaufhäuser
Mit 2,05 Millionen Besucher in sehcs Monaten kommt Breuninger auf Rang 5 der Waren- und Kaufhäuser in Deutschland
Zur Umfrage: Das Ergebnis einer Umfrage zu den beliebtesten Waren- und Kaufhäusern in Deutschland zeigt, wie viele Menschen innerhalb von sechs Monaten im vergangenen Jahr in den verschiedenen Warenhäusern eingekauft haben.
Quelle: Statista / IFAK, Ipsos
Strauss Innovation landet 2014 auf dem vierten Platz der beliebtesten Waren- und Kaufhäuser mit rund vier Millionen Kunden in sechs Monaten.
Platz drei geht mit rund 8,4 Millionen Kunden an die Einzelhandelskette Woolworth mit rund 260 Filialen in Deutschland.
Mit einer Kundschaft von 17,35 Millionen hat es die Karstadt Warenhaus GmbH mit Sitz in Essen auf Platz zwei der beliebtesten Kaufhäuser geschafft.
Die meisten Kunden konnte die Galeria Kaufhof in sechs Monaten im Jahr 2014 in ihre Filialen locken. Rund 21,72 Millionen Deutsche über 14 Jahre haben dort eingekauft.
Wer Luxus möchte, holt ihn sich eher in München und Hamburg. Trotz des Booms von Berlin als Shoppingmetropole - „Das Geld wird nicht in Berlin verdient“, sagt Alexander Torwegge. Viele Marken arbeiteten mit einer schwarzen Null. Die Präsenz in der Hauptstadt sei nötig, so wichtig wie die in Paris oder Mailand. Freuen können sich darüber neben der Kunden nur die Immobilienbesitzer. „Es ist bizarr, die Mieten sind ähnlich hoch wie in München.“ Nur würde dort auch ausreichend Umsatz gemacht mit Roben und Uhren.
Noch können sich die Immobilienbesitzer es erlauben, die Konditionen zu diktieren und die Mieten von rund 150 Euro pro Quadratmeter aufwärts für ein Ladengeschäft mit 100 Quadratmetern und etwa fünf Meter Schaufensterfläche zu erhöhen. In Frankfurt zeigen sich die Anbieter wählerisch. Ausgerechnet in der berühmten Freßgass zögern die Vermieter, ihre Flächen an Gastronomen zu vermieten. Die Abnutzung sei zu intensiv, hieße es unter den Vermietern, meint Simone Semkowski, die den Frankfurter Markt für Engel & Völkers beobachtet.
Dabei ist vor allem ein gutes Angebot mit Burgern, Karotten-Ingwersüppchen und Prosecco für die Menschen wichtig. In der IFH-Studie rangiert Gastronomie in der Frage nach der Relevanz für die Bewertung einer Stadt weit vor Öffnungszeiten oder der guten Erreichbarkeit mit dem PKW. Shopping, das ist für viele Erlebnis, Freizeitgestaltung und Zeitvertreib. Gekauft wird, weil die Stimmung danach ist. Weiche Faktoren wie Grünflächen und attraktive Architektur spielen dabei eine größere Rolle als die Frage nach dem allergünstigsten Preis.
Damit punktet der Hamburger Neue Wall ebenso wie die Kölner Hohe Straße oder die Prager Straße in Dresden gegenüber jedem Klick im Onlineshop daheim auf dem Sofa. Stimmt die Atmosphäre, dann gewinnt das Erlebnis – so es denn keine technischen Geräte wie Fernseher oder Mobiltelefone sind, wo laut IFH-Studie, mindestens jeder fünfte den Kauf via Internet gegenüber dem stationären Handel bevorzugt. Ganz unabhängig von der Größe der Stadt.
Jetzt müsste nur noch jede Woche Heimspiel sein.