"Die Bilanz ist zweigeteilt", urteilt Jens Décieux, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Insolvenz-Portals. Einerseits würden die neuen Sanierungsinstrumente genutzt. Die Zahl der ESUG-Anmeldungen "ist beachtlich, und es gibt etliche Verfahren, die sehr schnell erfolgreich abgeschlossen wurden", so Décieux. Andererseits "ist aber auch die Zahl von Fällen hoch, bei denen die ESUG-Instrumente scheitern". Schon werden Stimmen laut, die Nachbesserungen fordern. Denn das ESUG hat auch das Machtgefüge im Pleitewesen ins Wanken gebracht.
Während altgediente Insolvenzverwalter hinter den Kulissen vor einem "Sittenverfall" warnen, schwärmen Rechtsberater von der Reform. "Teilweise sind die Möglichkeiten spektakulär", lobt etwa Alexander Schröder-Frerkes, Managing Partner der Wirtschaftskanzlei Bird & Bird in Düsseldorf. "Innerhalb der Eigenverwaltung sind grundlegende Strukturänderungen möglich, Schulden können in Beteiligungen am Unternehmen getauscht werden, die Möglichkeiten für einen Börsenrückzug oder für Kapitalerhöhungen wurden erleichtert."
Erheblicher Betreuungsbedarf
Was ändert sich am Insolvenzrecht?
Die Gläubiger sollen mehr Rechte bekommen und so beispielsweise Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters bekommen. Auch bei der Anordnung der Eigenverantwortung soll ein Gläubigerausschuss mitbestimmen können. Die Meinung des Gläubigerausschusses soll unter gewissen Umständen für den Richter bindend sein.
Nach neuem Recht hat ein Schuldner eine dreimonatige Schonfrist, bevor der Kuckuck anklopft. Sobald die Zahlungsunfähigkeit am Horizont auftaucht, kann der Schuldner unter Aufsicht eines vorläufigen Sachverwalters in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan ausarbeiten. Anschließend kann der Plan als Insolvenzplan umgesetzt werden. In dieser Zeit ist der Schuldner vor seinen Gläubigern geschützt, Gerichte sollen eventuelle Zwangsvollstreckungen vorläufig einstellen können. So soll der Schuldner die Chance bekommen, sein Unternehmen zu sanieren, ohne dass ihm schon die Maschinen aus der Fabrik getragen werden.
Dank der Gesetzesreform soll sich künftig nur noch ein Insolvenzgericht pro Landgerichtsbezirk mit den Unternehmens- und Verbraucherinsolvenzen beschäftigen.
Damit auch bei Insolvenz Finanztransaktionen ordentlich zu Ende gebracht werden, soll die Rolle von Clearinggesellschaften gestärkt werden. Solche Clearinghäuser sind dafür zuständig, im Finanzsektor gegenseitige Forderungen und Verbindlichkeiten festzustellen und Wertpapiertransaktionen zu verbuchen. Ihnen kommt eine Art Treuhänderfunktion zu.
Die Insolvenzstatistiker sollen mehr Rechte bekommen: Künftig stehen der Ausgang von Insolvenzverfahren sowie belastbare Angaben über die finanziellen Ergebnisse in der Statistik. Dazu gehören zum Beispiel die Zahl der erhaltenen Arbeitsplätze und die Höhe der Gelder, die die Gläubiger bekamen.
Einziges Manko: Die zuständigen Amtsgerichte würden "derzeit noch sehr unterschiedlich" mit ESUG-Anträgen umgehen, hat Bird-&-Bird-Partner Stefan Gottgetreu beobachtet. Zudem sei der Beratungsbedarf für Unternehmen, die die ESUG-Instrumente nutzen wollen, erheblich. "Schon die Pflichtangaben beim Antrag haben es in sich. Macht die Geschäftsführung hier Fehler, kann das schnell teuer werden oder sogar strafrechtliche Konsequenzen haben", sagt Schröder-Frerkes.
Im Fall der Schuhkette Leiser/Schuhhof lief alles glatt. Die Gruppe aus Augsburg flüchtete im April 2012 unter den Schutzschirm. Das Management konnte weitermachen, wurde aber von dem Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz beaufsichtigt. "Das Unternehmen hatte die falschen Standorte, zahlte zu hohe Mieten und hatte einen Wasserkopf in der Zentrale", sagt Geiwitz. Die Kosten mussten runter, Filialen wurden geschlossen, Leute entlassen.
Grundsätzlich sei die Reform ein richtiger Schritt, sagt Geiwitz. Die Verfahren würden kalkulierbarer. "Weder Schuldner noch Gläubiger konnten sich früher darauf verlassen, dass das Gericht einen Verwalter bestellt, der auf Fortführung des Unternehmens setzt." Diese Angst vor dem Kontrollverlust galt als eine der Hauptursachen für zu späte Antragstellungen, die dann oft zur Abwicklung der Unternehmen führten.