Jack Ma Wie ein Visionär Alibaba zum Erfolg führte

Kein Unternehmen hat die chinesische Gesellschaft so tief durchdrungen und verändert wie der E-Commerce-Konzern Alibaba. Verantwortlich dafür ist sein Gründer Jack Ma.

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Jack Ma, Gründer des Internet-Konzerns Alibaba.com. Quelle: REUTERS

Elenia Xu steht vor Dutzenden Paaren bunter Pumps. Die meisten hat sie selbst entworfen. Versandfertige Pakete stapeln sich in einer Ecke. Die junge Frau arbeitet bei T-Stage, einem chinesischen Kleinbetrieb für Damenschuhe. In Shanghai kümmern sich Xu und vier Mitarbeiter um Design, Versand und Werbung, produziert wird in Südchina. T-Stage verkauft über die Online-Plattform Taobao: "Ohne sie gäbe es uns nicht", sagt Xu.

Wer auf Taobao "Damenschuhe" in die Suchmaske tippt, landet ab Seite vier bei T-Stage. Wollte Taobao auf die ersten drei Seiten, würde das mehr Geld kosten – das T-Stage nicht hat: Die billigsten Schuhe gibt es für umgerechnet 2,50 Euro, teurere Modelle kosten rund 50 Euro. "Die meisten Leute auf Taobao haben nicht viel Geld", sagt Xu. "Aber modische Schuhe wollen sie trotzdem – selbst in der tiefsten Provinz."

Was Sie über Alibaba wissen müssen

Taobao und die Schwesterplattform Tmall gehören wie der Bezahldienst Alipay zum Internet-Handelskonzern Alibaba. Der hat den chinesischen Alltag so verändert wie kaum ein anderes Unternehmen. Taobao für Privatkunden und Kleinunternehmen ist das erfolgreichste Alibaba-Produkt. Tmall arbeitet wie Amazon: Dort bieten große Markenartikler ihre Produkte an.

Allein im vergangenen Quartal erwirtschaftete Alibaba einen Umsatz von 2,5 Milliarden US-Dollar und einen von Sondereffekten beeinflussten Gewinn von 1,9 Milliarden. Zum Vergleich: Amazon.com machte im letzten Quartal bei einem Umsatz von 19,4 Milliarden einen Verlust von 123 Millionen Dollar.

Wachstumskurs

Nach eigenen Angaben ist Alibaba beim Handelsvolumen schon jetzt größer als Amazon oder Ebay. 2013 wurden auf Alibaba-Plattformen Waren im Wert von 296 Milliarden US-Dollar gehandelt. Vor allem in Asien ist der Online-Händler gut aufgestellt. Das Unternehmen wickelt rund 80 Prozent aller Internet-Einkäufe in der Volksrepublik ab und deckt so den Boom-Markt schlechthin ab. Wächst Chinas E-Commerce-Markt weiter wie bisher, dürfte das Volumen 2020 größer sein als das der USA, Japans, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands zusammen.

Die wichtigsten Bereiche von Alibaba

Doch das alleine reicht nicht. Das Unternehmen soll wachsen. Schnell und über alle Grenzen hinweg. So will es Chinas reichster Mann: Alibaba-Gründer und Führer Jack Ma. Ein Mega-Börsengang soll dem Visionär und begnadeten Verkäufer das nötige Kleingeld dazu bringen – rund 24 Milliarden Dollar sind angepeilt.

Ma gründete Alibaba 1999 , ihm gehören noch immer 7,4 Prozent des Unternehmens, und er wird von seinen Fans ähnlich verehrt wie zu Lebzeiten Apple-Chef Steve Jobs. Der heute 48-Jährige arbeitete zunächst als Englischlehrer und startete Alibaba mit ein paar Freunden und 60.000 Dollar Kapital in Hangzhou südlich von Shanghai. Sein Vorbild: Ebay.

Der Kampf gegen Ebay

2003 geht Taobao online, um Ebay aus dem Land zu vertreiben. Ma appelliert an patriotische Gefühle und erklärt Ebay den Krieg. Dabei wird sein Hang zu martialischer Sprache sichtbar: Ma vergleicht seine Wachstumsstrategie mit Mao Zedongs Guerilla-Taktik während des Bürgerkriegs 1927 bis 1949. "Ebay ist ein Hai im Ozean, wir sind ein Krokodil im Yangtse", sagt Ma. "Wenn wir im Ozean kämpfen, verlieren wir, aber im Fluss sind wir die Sieger."

Glück an der Börse

Ma wächst während der Kulturrevolution (1966–1976) auf und gehört zu den berüchtigten "Roten Garden", jugendliche Banden, die auf Maos Geheiß das Land terrorisierten. Er wird in dem Glauben erzogen, das Ausland sei böse. Doch in den Achtzigerjahren lernt der Pragmatiker Englisch, spricht in seiner Heimatstadt Hangzhou Ausländer auf der Straße an, arbeitet später als Übersetzer. Kenner beschreiben ihn gar als "xenophil", das Fremde liebend. Seine beiden Kinder studieren heute in den USA.

Der Gigant, der China verändert, will an die Börse. Quelle: REUTERS

Beruflich aber agiert der Tai-Chi-Fan, wie es einst Mao in seiner kleinen roten Gebrauchsanweisung für Revolutionäre riet. Er kopiert seine Gegner, wo das opportun ist, aber er passt ihre Ideen den chinesischen Bedingungen an. Drei Beispiele: Weil Chinesen es bunt mögen, wirken die Alibaba-Seiten im Netz für westliche Augen überfrachtet. Und da in China "Guanxi" – persönliche Beziehungen – entscheidend sind für den Erfolg jeden Handelns, können Käufern und Verkäufern auf Alibaba auch chatten.

Zudem müssen Alibaba-Kunden im Gegensatz zu Ebay, wo Vorkasse obligatorisch ist, erst nach Erhalt der Ware bezahlen. "Das war extrem wichtig in einem Umfeld, in dem weniger Vertrauen zwischen Käufern und Verkäufern herrscht als in entwickelten Märkten", sagt Porter Erisman. Der Amerikaner arbeitete von 1999 bis 2008 bei Alibaba. Anders als Ebay versuche Alibaba, den Interessenkonflikt zwischen Käufer und Verkäufer durch Harmonie aufzulösen.

Kooperation mit Yahoo

Die Taktik bewährt sich, Alibaba holt mit Taobao auf. Endgültig hängt Ma Ebay 2005 ab – mit einem Paukenschlag, der auch aus Maos Buch für den revolutionären Kampf hätte stammen können. Ma verbündet sich mit Yahoo, das US-Internet-Unternehmen investiert eine Milliarde Dollar in Alibaba. Einen Großteil des Geldes steckt Ma in Werbung für chinesische Konsumenten. Das wirkt, Ende 2006 gibt Ebay auf und schließt die chinesische Web-Site. "Die Ebay-Plattform war nicht den lokalen Bedingungen angepasst", kritisiert Erisman.

Der Aufstieg von Alibaba

Nun beherrscht Ma den boomenden Markt. Und kassiert eine Niederlage: 2007 wagt er mit der kommerziellen Handelsplattform Alibaba.com den Schritt an die Börse in Hongkong, 2008 muss Alibaba die eigenen Aktien zurückkaufen, weil mit der Lehman-Pleite eine weltweite Wirtschaftskrise beginnt. 2012 nimmt Ma Alibaba.com schließlich von der Börse.

Jetzt sucht er unter besseren Bedingungen sein Glück an der Börse. Das Unternehmen ist noch bekannter als beim ersten Versuch. "Außerdem hatte Alibaba damals noch mehr Mitbewerber, und der Markt war nicht so ausgereift wie heute", sagt Bill Bishop, Technologie-Experte aus Peking.

Um 120 Prozent jährlich wächst der E-Commerce-Markt seit 2003. Mehr als 60 Prozent der 250 Millionen chinesischen Online-Shopper sind jünger als 30 Jahre, einige haben sich mit Taobao eine Zweitexistenz aufgebaut: Neben ihrem normalen Job handeln sie in kleinen Web-Shops mit Gartenutensilien oder Turnschuhen, manche bieten Übersetzungsdienste an.

Selbst falsche Freunde sind bei Taobao im Angebot. Wenn junge Chinesen aus den Städten zum Frühlingsfest ihre Eltern auf dem Land besuchen, aber auch mit Mitte 20 noch keinen heiratsfähigen Partner vorweisen können, gibt es meist Stress. Um den zu vermeiden, kann man über Taobao einen Partner auf Zeit mieten.

Die Freiheit zu Handeln

"Während E-Commerce in den USA oder Deutschland den Markt nur verändert hat, gab es in China eine regelrechte Revolution", sagt Mas ehemaliger Mitarbeiter Erisman. "Taobao hat jungen Menschen die Chance eröffnet, selbst Unternehmer zu werden." In China, wo es keine Meinungsfreiheit und nur geringe persönliche Entfaltungsmöglichkeiten gebe, werde das als Freiheit empfunden. Wie bei Kevin Wang, 23, und Xinfang Ding, 22.

Web-Designer Wang und die Journalistin Ding produzieren Podcasts, in denen sie humorvoll Nachrichten kommentieren – eine Art Harald-Schmidt-Show auf Chinesisch. Die zwei haben im Web fast 100.000 Fans. "Immer wieder bekamen wir Anfragen nach alten Podcasts. Also verkaufen wir die Aufnahmen auf USB-Sticks", erklärt Wang sein Geschäftsmodell. Knapp zehn Euro kostet das Paket. In ihren Jobs verdienen die jungen Leute umgerechnet je 500 bis 620 Euro. Ihr Taobao-Shop aber spült monatlich zusätzlich rund 1.200 Euro in die gemeinsame Kasse. Sie haben Pläne: Davon wollen sie später ein Studio kaufen.

Noch ist Alibaba auf den chinesischen Markt beschränkt. Ins Ausland liefert der Online-Shop nicht, "außerhalb Chinas kann ja kaum einer die Schriftzeichen lesen", sagt Schuh-Designerin Xu. Mit einer englischen Taobao-Version könnte sich das ändern. Amazon und Ebay fürchten, dass Ma das beim Börsengang eingesammelte Kapital nutzt, um erst Schwellenländer und dann westliche Märkte zu erobern.

Die Trends beim Einkaufen
Hersteller werden zu HändlernAls einen der wesentlichen Trends der vergangenen Jahre sehen die Experten von KPMG und EHI, dass Markenartikelhersteller zunehmend eigene Einzelhandelsaktivitäten entwickeln. „Ob Adidas, Boss oder WMF – sie alle haben in den letzten Jahren massiv eigene Geschäfte eröffnet“, heißt es in der Studie. Diese Strategie sei nun in den Fokus zahlreicher Hersteller gerückt. „Überall dort, wo Hersteller aus den eigenen Produktionsstätten ein kompetentes Sortiment anbieten können und gleichzeitig eine starke Marke haben, gibt es hierfür zumindest eine gute Grundlage.“ Quelle: AP
Händler werden DienstleisterDie Integration von Dienstleistungen in Handelskonzepte könnte neuen Umsatzschwung bringen. So könnten Lebensmittelhändler ihren Kunden auch Cateringangebote unterbreiten. Der Verleih von Partyzelten, Tischen und Bänken ist eine Option für den Getränkehandel. Zwar konnten sich die Verbraucher in der Umfrage nur schwer vorstellen, ihren Babysitter künftig im Drogeriemarkt zu buchen oder die Bergsteigeausrüstung im Outdoor-Laden zu mieten, aber die Unternehmen werden solche Leistungen verstärkt anbieten, erwarten die Trendforscher. Quelle: AP
Zurück in die InnenstädteWurden bis Ende der 90er Jahre neue Shoppingcenter vor allem am Stadtrand oder auf der grünen Wiese eröffnet, lag der Anteil der innerstädtischen Neueröffnungen im Jahr 2011 bei 81 Prozent, schreiben die Experten. Auch andere Betriebsformen drängen zurück in die City. Im Möbelhandel seien dies Möbel Lutz und Ikea, bei den Baumärkten Hagebau oder Knauber. Quelle: dpa
Location Based ServicesDa die Anzahl der Smartphones weiter steigt, gehen die Handelsexperten von EHI und KPMG davon aus, dass auch so genannte ortsbasierte Dienste als Instrument der Kundenansprache immer wichtiger werden. Per Nachricht auf das Handy ist etwa möglich, dass Kunden sofort informiert werden, wenn sie sich in der Nähe einer Parfümerie aufhalten, die ihr Lieblingsparfum zum vergünstigten Preis anbietet. Quelle: obs
Augmented Reality (via Webcam Kleidungsstücke anprobieren)Eine Technologie, die sowohl im E-Commerce als auch im M-Commerce an Bedeutung gewinnen wird sei die so genannte ‚Augmented Reality‘, also erweiterte Realität, heißt es in der Handelsstudie. Insbesondere im Modesegment sehen die Experten Anwendungsmöglichkeiten. „Kunden können beim Online-Shopping via Webcam Kleidungsstücke virtuell anprobieren und deren Farben und Style ohne Probleme ändern. Eine größere Sicherheit bei der Produktauswahl senkt somit die Retourenquote.“ Quelle: dpa
Bezahlen per HandyEs sei durchaus denkbar, dass Kunden im Jahr 2020 Ware mit ihren Smartphones selber einscannen und bezahlen. „Ob der Einkauf für den Konsumenten dadurch wirklich komfortabler wird sei dahingestellt, der Handel jedenfalls bereitet sich technologisch bereits heute auf das Zeitalter des ‚Mobile Scanning & Payment‘ vor“, heißt es in der Studie. Quelle: dpa
Convenience-GeschäfteDemografie und Konsumverhalten führen dazu, dass im Lebensmittelhandel so genannte Convenience-Geschäfte etablieren. Läden also, die Salate, belegte Brote oder frische zubereitete Desserts zum sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen anbieten. Jüngstes Beispiel ist „Rewe to go“, ein Ableger der Kölner Rewe-Gruppe, der in Köln startete und nun auch nach Düsseldorf kommen soll. Auch die niederländische Ahold-Gruppe plant einen Markteintritt mit Convenience-Geschäften in Deutschland. Quelle: dapd

Der Anfang ist gemacht. Im Mai kaufte Alibaba sich bei Sina.Weibo ein, der chinesischen Variante von Twitter. 47 Millionen User verschicken dort täglich Kurznachrichten. Alibaba hat Zugriff auf ihre Nutzerdaten und kann sich damit besser im mobilen E-Commerce-Markt positionieren.

Chinesisches Twitter

Zuvor hatte Ma die Plattformen Vendio und Auctiva übernommen. Mithilfe der Online-Dienstleister können kleine Händler sich und ihre Produkte besser auf Online-Marktplätzen präsentieren. Dadurch hat Alibaba schon heute direkten Kontakt zu vielen unabhängigen US-Händlern und Einblick in deren Aktivitäten, was bei Amazon und Ebay ebenfalls für Unbehagen sorgt. Zudem will Ma mit einem eigenen Fonds für Startup-Investitionen demnächst auch im Silicon Valley mitmischen.

In ihren wichtigsten westlichen Heimatmärkten müssen die beiden Internet-Ikonen aber wohl dennoch nicht so bald mit Konkurrenz aus China rechnen. Denn auch bei seiner Expansion in neue Märkte verhält sich Ma wie Mao, der zur Förderung der Weltrevolution zuerst Widerstandsbewegungen in Asien, Afrika oder Mittel- und Südamerika unterstützte. Alibaba dürfte so in Schwellenländer wie Indien oder Indonesien vordringen. "Ein deutsches oder spanisches Taobao wird es so bald nicht geben", sagt Analyst Bishop.

2013 zog sich Gründer Ma aus der Unternehmensführung zurückgezogen. "Es ist, weil ich sehe, dass jüngere Leute bei Alibaba bessere und genialere Träume haben als ich, und sie eher dazu in der Lage sind, eine Zukunft nach ihren Vorstellungen zu errichten", sagte Ma beim Stabwechsel. Seitdem ist er Chairman, die operativen Geschäfte führt Jonathan Lu, der 2000 zu Alibaba kam und Alipay aufbaute. Doch Mas Einfluss ist ungebrochen, seine Unternehmensanteile hält er weiter und er steht dem Verwaltungsrat beratend zur Seite.

Der Erfolg von Alibaba hat dem zweifachen Vater Ma zu einigem Reichtum verholfen. Mit seinem Privatvermögen (21,8 Milliarden Dollar) ist Ma laut Schätzungen der reichste Chinese. Weltweit belegt er immerhin Platz 35. Von Platz 1 ist er allerdings noch weit entfernt. Den belegt Microsoft-Gründer mit Bill mit 84,5 Milliarden.

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