Kaiser’s Tengelmann Das Fusionsdrama mit Edeka

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April 2016 bis heute: Kassensturz


Dröge fragt, Caparros klagt, Gabriel tobt, Haub handelt

Berlin, 13. April 2016: Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags befasst sich mit Gabriels Ministererlaubnis. Noch immer sorgt die Entscheidung in der Hauptstadt für Verwirrung. Warum hat sich Gabriel über den Rat fast aller Experten hinweggesetzt? War die Verlockung zu groß, sich ein Jahr vor der Wahl als Retter von Tausenden Arbeitsplätzen zu inszenieren? Erst im Wirtschaftsausschuss äußert sich der Minister persönlich, erklärt, dass es keine besseren Angebote gegeben habe – auch nicht von Rewe. „Die Sicherung von 16.000 Arbeitsplätzen wäre damit nicht erreichbar gewesen“, sagt er und wirft der Grünen-Abgeordneten Dröge vor, dass sie nur mit Zahlen hantiere, während er sich um die Menschen sorge.

Nach dem Auftritt Gabriels stellt Dröge eine neue Kleine Anfrage. Diesmal will sie es genau wissen: Mit wem hat sich Gabriel wann getroffen? Es ist ein Katalog aus 39 Fragen. Und auch die Justiz interessiert sich für den Fall. Beim Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) sind Beschwerden der Handelskonzerne Rewe, Norma und Markant gegen die Ministererlaubnis eingegangen.

Düsseldorf, 12. Juli 2016: Eine solche Entscheidung hat es in dem neobarocken Gerichtsgebäude am Rheinufer noch nicht gegeben. Eine solche Entscheidung hat es in ganz Deutschland noch nicht gegeben. Im Eilverfahren setzt das OLG Düsseldorf Gabriels Ministererlaubnis außer Kraft. Der Grund: „Durch seine Verfahrensführung“, so das Gericht, sei gegen den Bundeswirtschaftsminister „die Besorgnis der Befangenheit begründet“.

Statt neutral und transparent zu agieren, habe Gabriel „geheime Gespräche“ mit Haub und Mosa geführt, monieren die Richter und meinen damit jene Treffen in der Vorweihnachtszeit, bei denen auch Unterlagen zum Rewe-Angebot übergeben wurden. Rewe und Markant mussten den Eindruck gewinnen, „der Minister führe das Verfahren einseitig“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.

Gabriel weiß um die Sprengkraft und geht direkt zum Gegenangriff über. Er bricht seinen Urlaub auf der Nordseeinsel Amrum ab, um sein Vorgehen zu verteidigen. Von Geheimgesprächen könne „nicht die Rede sein“. Weder sei er befangen, noch sei seine Erlaubnis eine „Gefälligkeitsentscheidung“ gewesen, sagt Gabriel, moniert seinerseits Fehler des Gerichts und kündigt rechtliche Schritte an.

Mitte November soll der Bundesgerichtshof entscheiden. Kaum hat sich die erste Aufregung gelegt, werden neue Details bekannt. Das Ministerium muss auf Dröges Anfrage hin weitere Kontakte zwischen Gabriel, Mosa und Haub einräumen. „Gabriel wollte von Anfang an diese Lösung“, ist die Politikerin überzeugt.

München, Herbst 2016: Fotos von Betriebsversammlungen zieren die Wände, in einer Ecke stapeln sich Plakate. „Vielen Dank Herr Haub“ steht auf einem nebst dem Zusatz: „Verkauft.“ Im Betriebsratsbüro sitzt Manfred Schick. Blaukariertes Hemd, sonnengebräuntes Gesicht; ein Kämpfertyp.

Seit 33 Jahren arbeitet er im Unternehmen, hat als Verkäufer angefangen, sich hochgearbeitet und ist nun Betriebsratsvorsitzender von Tengelmann München/Oberbayern. Gerade erst ist er aus dem Urlaub zurück. Doch die Ferienstimmung ist verflogen, seit Berichte die Runde machen, Eigentümer Haub wolle nicht mehr auf die Entscheidungen von Gerichten zur Ministererlaubnis warten, sondern die Reißleine ziehen.

„Statt Zerschlagungsszenarien brauchen wir ein Fortführungskonzept, das trägt, bis die Gerichte entschieden haben, oder es eine ‧inigung aller Beteiligten gibt“, fordert Schick. Wohldosiert drangen zuletzt Zahlen an die Öffentlichkeit, die ein dramatisches Bild des Unternehmens zeichnen.

So rechnet das Management allein in diesem Jahr mit Verlusten von rund 90 Millionen Euro. Es laufe auf Teilverkäufe und Entlassungen hinaus, heißt es intern. Die letzte Hoffnung: Rewe, Norma und Markant ziehen ihre Klagen gegen die Ministererlaubnis zurück und machen so den Weg frei. Doch kann das gelingen?

Um eine Lösung zu finden, bat Verdi-Chef Bsirske die Kontrahenten in den vergangenen Tagen mehrfach an den Verhandlungstisch.  Doch die Vertreter von Norma wurden zunächst nicht eingeladen, die Runde war nicht beschlussfähig. Ohnehin liegen die Positionen der Beteiligten dem Vernehmen nach noch immer weit auseinander. Von Kompensationszahlungen an Norma und Markant und der Aufteilung von Filialen zwischen Rewe und Edeka ist zwar als ein möglicher Kompromiss die Rede. Doch die Details sind offen, vor allem aber ist fraglich, ob ein solch veränderter Zuschnitt der Filialabgaben von der bestehenden Ministererlaubnis gedeckt wäre.

Was den Deutschen beim Einkauf wirklich wichtig ist

Viel Zeit für eine Einigung bleibt nicht. Bis diesen Freitag will Haub eine Lösung, ansonsten „wird der Vertrag mit Edeka enden und wir werden in die Einzelverwertung gehen“, kündigte er jüngst bereits an. Spätestens am Samstag könnte dann die Entscheidung fallen – und womöglich die Zeit der Schuldzuweisungen beginnen.

Je nach Ausgang der Verhandlungen dürften Mosa und Haub  im Zweifel wohl auf die Verantwortung von Caparros, von Gerichten und Wettbewerbshütern verweisen. Für Betriebsrat Schick trägt indes vor allem „der Eigentümer Verantwortung für die Lage“. Auch Wettbewerbsexperte Zimmer sieht die Schuld bei Haub. „Er hat sich von Anfang an auf Edeka versteift“, durch „Haubs Sturheit ist die Sache jetzt sehr schwierig geworden“.

Und Gabriel? Der habe mit seiner Ministererlaubnis „viel Zeit für die Rettung der Arbeitsplätze vergeudet“, sagt Dröge. Sie fordert nun eine Reform des Wettbewerbsrechts: Künftig sollte das Kartellamt nur dann überstimmt werden können, wenn das Parlament ein Mitspracherecht erhalte, so Dröge. „Die Ministererlaubnis muss raus aus dem Hinterzimmer.“

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