Karl-Erivan Haub machte eine Miene, als wollte er das Wetter draußen beschreiben: Regen prasselte gegen die Fenster des Saals in der Tengelmann-Zentrale am 7. Oktober 2014. Konzernchef und Mitinhaber Haub hatte kurzfristig zur Pressekonferenz geladen, um die Trennung von einem Unternehmen zu verkünden, dessen Geschichte bis in die Kaiserzeit zurück reicht und das einst den Aufstieg Tengelmanns zur milliardenschweren Handelsgruppe ebnete: Der drahtige Unternehmer im schwarzen Anzug vorne auf der Bühne erklärte den versammelten Journalisten, er wolle seine Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann an den Hamburger Wettbewerber Edeka verkaufen. Schließlich schreibe das Unternehmen seit Jahren Verluste. Der Verkauf an Edeka sei daher die beste Lösung. Trotzdem fühle er sich „ein bisschen wie bei einer Beerdigung“, erklärte Haub und verließ den Saal, vorbei an einem Bücherschrank im Vorraum. „Dramen in Versen“ stand auf einem Einband.
Der Titel passt. Denn tatsächlich markierte Haubs Auftritt den Auftakt eines wohl beispiellosen Gezerres in der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte. Eines Machtkampfs, der nicht nur die Handelsbranche in Atem hielt sondern zwischenzeitlich auch Gewerkschaften, Politik und Justiz erfasste - und der jetzt auf sein Ende zusteuert. Mehr als zwei Jahre nach Haubs Ankündigung wird der Verkauf von Kaiser’s Tengelmann nun tatsächlich über die Bühne gehen – wenn auch anders als gedacht. Denn wenige Monate nachdem Haub seine Pläne vorgestellt hatte, legte das Bundeskartellamt ein Veto gegen die Übernahme ein. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel überstimmte in der Folge die Wettbewerbshüter jedoch mit einer Sondergenehmigung, der sogenannten Ministererlaubnis. Das Oberlandesgericht Düsseldorf wiederum legte diese Ministererlaubnis nach einer Klage des Rivalen Rewe auf Eis.
Nach langem Gezerre, gegenseitigen Vorwürfen und allerlei nächtlichen Rettungsrunden folgt nun das große Finale: Die beiden Handelsriesen hätten ihre Verhandlungen über den Kaufvertrag für Kaiser's Tengelmann abgeschlossen, teilten Rewe und Edeka heute mit. Die Unterlagen sollen noch im Laufe des Tages dem Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt werden.
Gabriel muss dann prüfen, ob die Auflagen seiner Ministererlaubnis erfüllt sind, die rund 15.000 Arbeitsplätze bei Kaiser's Tengelmann sichern soll. Der Vizekanzler hat die Einigung bereits begrüßt und äußerte sich zuversichtlich, dass die Ministererlaubnis in der nächsten Woche vollzogen werden könne.
Auch das Bundeskartellamt muss dann noch zustimmen. Dort hat Rewe bereits die Übernahme von 67 Kaiser's-Tengelmann-Filialen zur Prüfung angemeldet. „Wir gehen davon aus, dass der gesamte Prozess jetzt sehr bald zu einem guten Ende für die Beschäftigten kommt“, teilte die Gewerkschaft Verdi mit.
Damit steht der Fahrplan für die Rettung fest. Konkret haben sich die Beteiligten auf die folgenden drei Schritte geeinigt:
1. Edeka übernimmt formal zunächst sämtliche Kaiser’s-Tengelmann-Fililalen.
2. Im zweiten Schritt reicht Edeka mit 62 Filialen gut die Hälfte des Standortnetzes von Kaiser's Tengelmann in Berlin an Rewe weiter. Den Kaufpreis nennen die Konzerne nicht. Der Bruttoumsatz dieser Geschäfte beträgt Medienberichten zufolge rund 300 Millionen Euro. Zudem überträgt Marktführer Edeka je zwei Tengelmann-Geschäfte in Nordrhein-Westfalen und Bayern an den Kölner Konkurrenten. Rewe übernimmt darüber hinaus die Tengelmann-Fleischwerke im brandenburgischen Perwenitz sowie Lager und Verwaltung in Berlin.
3. Sobald die Vereinbarung unterschrieben ist, zieht der Kölner Handelsriese seine Klage und Beschwerde gegen die Ministererlaubnis von Gabriel beim Oberlandesgericht Düsseldorf zurück.
Damit ist der Weg frei für die Rettung aller 15.000 Jobs bei Kaise’s Tengelmann. Die Mitarbeiter werden durch mehrjährige Standort- und Beschäftigungsgarantien geschützt.