Kampf der Biosupermärkte Wie Handelsketten das Biogeschäft umpflügen

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Alnatura und dm

Christoph Werner bahnt sich seinen Weg durch einen Karlsruher dm-Markt unweit der Zentrale des Drogeriekonzerns. Der dm-Einkaufschef und Sohn des Unternehmensgründers Götz Werner geht vorbei an Paletten mit Biomilch und Regalreihen mit Studentenfutter. Zielstrebig greift er zu einer Packung Wirsing-Chips, angelt sich noch zwei vegane Kokos- und Nougatriegel und eilt in den Personalraum, um ein Messer zu organisieren. Schließlich soll die Biobeute fachgerecht zerlegt und hernach gemeinsam mit dm-Chef Erich Harsch verkostet werden. Das Urteil des dm-Duos fällt denn auch wunschgemäß aus: „Lecker.“ Die Produkte sind Teil eines runderneuerten Biosortiments von dm. Insgesamt 1000 Artikel hat die Drogeriekette in den vergangenen Monaten in die Regale gestellt – vom Frühstückscouscous des Naturkostveterans Davert bis zu als Superfood gepriesenen Chiasamen des Berliner Newcomers Veganz. Den Kern bilden jedoch rund 350 Produkte der neu geschaffenen Eigenmarke dm Bio, deren Ableger Platzhirsch Alnatura fast vollständig ersetzt haben.

Dabei ist es noch nicht lange her, dass die Partnerschaft der beiden Unternehmen weit über eine klassische Lieferbeziehung hinausging. Handelsexperten sprachen von einer regelrechten Markensymbiose, schließlich arbeiteten Alnatura-Gründer Götz Rehn und dm-Patron Werner seit den Achtzigerjahren zusammen, sie sind verschwägert, waren befreundet und teilten neben dem gleichen Vornamen auch gemeinsame Ideale.

Rehn hatte damals einen italienischen Bekannten gefragt, was „zur Natur“ auf Italienisch heißt und die Antwort „alla natura“ bekommen. Im Herbst 1984 meldete er die Wortschöpfung als Warenzeichen an und schloss mit Werner wenig später eine Vereinbarung, die sich wie ein anthroposophisches Manifest liest. Ziel sei es, heißt es darin, „eine Humanisierung des Wirtschaftslebens“ auf Grundlage der von Rudolf Steiner entwickelten „Sozialorganik“ anzustreben. Der Aufstieg von Alnatura begann.

Sukzessive eröffnete Rehn eigene Supermärkte und baute zugleich die Partnerschaft mit dm aus. Auf immer mehr Produkten in den Regalen der Drogeriekette pappte fortan das grün-schwarze Sonnensymbol – und beide Seiten profitierten. So kurbelte das stürmische Wachstum der Drogeriekette die Verkäufe von Alnatura an. Gleichzeitig pilgerten Alnatura-Fans gezielt in dm-Läden, um sich mit Schokocremes, Biomilch und Brotaufstrichen zu bevorraten. Zwischen 2006 und 2015 stieg der Alnatura-Umsatz von rund 185 auf 760 Millionen Euro. 2014 kürte die Brandmeyer Markenberatung Alnatura gar zur beliebtesten Lebensmittelmarke der Deutschen.

Hinter den Kulissen flogen da bereits die Fetzen zwischen den Anthroposophen, zeigen Gerichtsunterlagen. dm forderte demnach günstigere Konditionen sowie die Offenlegung von Einkaufspreisen und Lieferantenbeziehungen. Alnatura-Chef Rehn lehnte ab, worauf sich dm wiederum weigerte, Rechnungen über rund zwei Millionen Euro zu bezahlen. So schaukelte sich der Konflikt immer weiter hoch.

„Aufgrund der Differenzen hat Alnatura die Lieferverträge mit uns fristlos gekündigt“, erinnert sich Christoph Werner. Deutschlands größter Drogist stand plötzlich vor einem gewaltigen Problem, denn Alnatura war bis dahin die einzige Biomarke im Sortiment. „Daher mussten wir schnell für Ersatz sorgen“, sagt Werner. Die Karlsruher stampften in Rekordzeit ihre Eigenmarke aus dem Boden.

Die größten Bio-Supermärkte in Deutschland nach Umsatz

Die Pläne dafür lagen allerdings schon in den Schubladen des Konzerns, bevor der Konflikt eskalierte, „allerdings in einem deutlich kleineren Maßstab“, so dm-Chef Harsch. Erst nach der Vertragskündigung änderte sich die Lage. Statt der versprengten Solitäre launchte der Konzern eine komplette Biolinie, deren Produkte sich nun „mindestens genauso gut, oft sogar besser“ als Alnatura-Artikel verkaufen würden, so Harsch.

Auch Rehn fand neue Partner. Seit Kurzem beliefert Alnatura die direkten dm-Wettbewerber Rossmann und Müller. Zuvor hatte er bereits bei Edeka angedockt und das bekannteste deutsche Biolabel damit in die Regale des größten Lebensmittelhändlers des Landes gebracht. „Hätten wir das nicht gemacht, wäre ich heute nicht hier“, verteidigte Rehn den Schritt bei der Vorstellung der Alnatura-Bilanz Mitte November im Frankfurter Haus am Dom.

Drahtig, in perfekt sitzendem dunklem Anzug federte Rehn dort von Tisch zu Tisch, um trotz rauschender Klimaanlage die Fragen der Journalisten zu verstehen. Neue Produkte? Rote-Beete-Cracker, Birkenwasser und Moringa-Tee seien frisch ins Sortiment aufgenommen worden. Der Umsatz? Stieg leicht auf 762 Millionen Euro. Die eigenen Filialen und die Kooperationen mit den neuen Partnern hätten den Regalbann bei dm kompensiert, sagt Rehn.

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