Nur mit Mühe kommen die meisten Biokrauter über die Runden, teils trudeln sie in die Pleite, teils geben sie freiwillig auf wie Henry van Calker. Nach fast 22 Jahren schloss er im November seine Bioecke in Zeven bei Bremen. „Ausschlaggebend ist, dass demnächst zwei Straßen weiter ein Filialist aufmacht“, sagte er dem Fachmagazin „Biohandel“. „Gegen ihn und seine 600 Quadratmeter werden wir als kleiner, inhabergeführter Laden nicht ankommen“, sagt van Calker. Eine Erfahrung, die auch Hakobyan in Hannover machte.
Dabei glaubte der gebürtige Armenier, auf den richtigen Trend gesetzt zu haben, als er Bittersüß vor acht Jahren übernahm. Die Biobranche hatte damals gerade ihr hutzeliges Körnerimage abgestreift, neue Konsumentengruppen kamen auf den Biogeschmack.
Hakobyan renovierte den Laden, heuerte freundliche Mitarbeiter an und baute sein Käse- und Weinangebot aus. Das Geschäft nahm Fahrt auf, der Umsatz stieg. „Das war die Ruhe vor dem Sturm“, erinnert sich Hakobyan und greift zu einer Flasche Limonade, auf der – natürlich – der Hinweis „Bio“ prangt.
Mittlerweile sind die drei Buchstaben allgegenwärtig im Handel. Zählte Hakobyan anfangs nur einen einzigen direkten Konkurrenten in der Stadt, drängeln sich heute allein zehn Märkte von Denn’s und Alnatura in Hannover. Deutschlandweit ist bereits jeder vierte der insgesamt 2560 Bioläden in der Hand eines Filialisten – und sie sind nicht die einzigen Angreifer.
In den Regalen eines typischen Rewe-Marktes finden sich bereits rund 2000 Bioartikel, bei Kaufland sind es 1200. Selbst in den Filialen der Billigheimer Aldi, Lidl und Penny stapeln sich palettenweise Bananen, Tomaten und Gurken in EU-genormter Bioqualität. Binnen einer Dekade hat sich der Umsatz der Branche deutschlandweit von 2,9 Milliarden auf 8,6 Milliarden Euro 2015 mehr als verdoppelt.
Wo Verbraucher Bio-Lebensmittel kaufen
"Wo kaufen Sie Bio-Produkte?" wollte das Bundeslandwirtschaftsministerium für das Öko-Barometer 2016 wissen und ließ dazu deutsche Verbraucher über 14 Jahren befragen, die angaben, zumindest "gelegentlich" Bio-Lebensmittel zu kaufen. Die Ergebnisse:
Quelle: Statista
Unter den Befragten bezogen sechs Prozent ihre Biolebensmittel aus einer Abokiste. Das Prinzip: Der Kunde bekommt Bio-Lebensmittel direkt vom Erzeuger. Der fährt die Kisten (wahlweise nach Kundenwunsch gefüllt, wahlweise als "Überraschungspaket" mit saisonalem Inhalt) in regelmäßigen Abständen bei den Kunden vorbei - bis diese die Belieferung kündigen. Ein Abo eben.
Brot in Bio-Qualität beim Bäcker kaufen 60 Prozent der Befragten.
Der klassische Bioladen ist für immerhin 54 Prozent der Bio-Käufer noch immer Bezugsquelle für ökologisch erzeugte Lebensmittel.
Ob denn´s bio oder Basic: Biosupermärkte gibt es mittlerweile in vielen größeren Städten. 46 Prozent der Bio-Käufer greifen zumindest gelegentlich dort zu.
Auf dem Hofladen, also direkt beim Erzeuger, kaufen 52 Prozent der Befragten ihre Bio-Lebensmittel.
Auch bei den großen Discountern findet man mittlerweile Bio-Eigenmarken. Bei Aldi und Konsorten kaufen 66 Prozent der Umfrageteilnehmer Bio-Produkte.
DM hat mittlerweile seine eigene Bio-Marke, Noch-Lieferant Alnatura kooperiert mittlerweile mit den Konkurrenten Rossmann und Müller: Der Markt für Bio-Produkte in Drogerien ist in Bewegung. Kein Wunder, denn "Bio" steht für die deutschen Käufer für "gesund" - damit ist der Verkauf von Bio-Produkten neben Gesundheitstee und Wellness-Schaumbad eigentlich nur natürlich. Immerhin 38 Prozent der Befragten kaufen Bio-Waren im Drogeriemarkt.
Auch eine eher ungewöhnliche und selten genutzte Art, Bio-Lebensmittel einzukaufen: Der Kiosk und die Tankstelle um die Ecke. Drei Prozent der Befragten holen dort Bio-Produkte.
Biofleisch vom Metzger - wer es kauft, tut es meist bewusst und hat seine Gründe dafür. Schließlich werden die Kosten für artgerechte Haltung und der Verzicht auf Antibiotika zum Teil an den Verbraucher an der Fleischtheke weitergegeben. 59 Prozent der Befragten schreckt das allerdings nicht: Sie kaufen beim Metzger Bio-Braten.
Auch im Reformhaus kaufen die Deutschen Bio-Produkte: Unter den Umfrageteilnehmern waren es 34 Prozent, die zumindest gelegentlich dort einkauften.
Bei Rewe, Edeka und Co. gibt es mittlerweile meist eine große Anzahl an Bio-Produkten. Das verlockt zum Kauf - wenn man eh schon da ist, kann man auch schnell zur Bio- statt zur gespritzten Zitrone greifen. 86 Prozent der Deutschen, die zumindest gelegentlich "Bio" kaufen, tun dies im Supermarkt.
Natürlich darf der Onlinehandel hier nicht fehlen, allerdings kaufen eher wenige Verbraucher ihre Bio-Produkte im Online-Supermarkt. Gerade einmal drei Prozent der Bio-Käufer bestellen ihre Ware per Klick.
Auf dem Wochenmarkt Lebensmittel in Bio-Qualität kaufen: Das tun 58 Prozent der Umfrageteilnehmer.
Die einstige Nischen- ist damit längst zu einer Volksbewegung avanciert, die in den kommenden Jahren weiteren Zulauf gewinnen dürfte. „Den Biobereich werden wir deutlich ausbauen“, kündigt Patrick Müller-Sarmiento, Chef der SB-Warenhauskette Real, an. Rewe-Boss Alain Caparros will in diesem Jahr einen neuen Ladentyp testen, mit dem Fokus auf Obst, Gemüse und „regionalen Bioprodukten“. Lidl-Deutschlandchef Marin Dokozić hat sich gar die Parole der früheren Grünen-Agrarministerin Renate Künast auf die Fahnen geschrieben: „Wir wollen, dass Bio für alle da ist“, sagt der Discounterfrontmann.
Dabei haben die Handelsriesen den Fachgeschäften schon heute den Rang abgelaufen. Biosupermarktketten, Hofläden und kleine Geschäfte à la Bittersüß kamen 2015 zusammen auf einen Marktanteil von 31 Prozent. Mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Bioumsatzes gingen dagegen auf das Konto der Konventionellen. Mit steigender Tendenz. So kletterte der Absatz von Bioprodukten im klassischen Lebensmittelhandel 2016 um 13 Prozent, zeigen Daten des Marktforschers Nielsen. „Verbrauchermärkte und Discounter sind die Wachstumstreiber für Bioprodukte“, sagt Nielsen-Handelsexperte Fred Hogen.