Es scheint fast so, als ob es etwas umsonst gibt: Unzählige Menschen drängen sich durch den Karnevalsladen in der Düsseldorfer Innenstadt. Aus den Musikboxen dröhnen passend dazu die Höhner mit "Jetzt geht's los": Mit Start des Straßenkarnevals wollen alle noch schnell das perfekte Kostüm kaufen. Der Andrang auf die Karnevalsläden ist in diesen Tagen riesig, teilweise sogar so stark, dass es nicht ohne Security-Leute vor der Tür geht. Oder aber so unübersichtlich, dass die Journalistin, die eigentlich nur das bunte Treiben beobachten möchte, mehrfach als potenzielle Verkäuferin angesprochen wird.
Die vielen Einzelhändler und Hersteller freut der Andrang. Sie machen in der Zeit zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch ein gutes Geschäft. Rund 250 Millionen Euro haben die Kostümhersteller in der vergangenen Karnevalssaison umgesetzt, so die Fachgruppe Karneval im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI), die etwa zwei Drittel des Marktes vertritt.
Von dem boomenden Kostümgeschäft an Karneval profitiert auch Georg Pelzer. Er leitet einen Malerbetrieb in Gangelt, ein 12.000-Seelen-Dorf im Kreis Heinsberg. Zusätzlich zum Malergeschäft verkauft er in seinem Laden Lacke, Farben, Spielsachen und Bücher. Kunden von außerhalb landen selten in dem Geschäft – es sei denn, die heiße Phase des Karnevals steht an. "Ab Dezember räumen wir alles in den Keller und holen die Karnevalskostüme raus", sagt Pelzer.
Die fünfte Jahreszeit lohnt sich für Einzelhändler
Bis Altweiber verkauft der Malerbetrieb dann Karnevalsartikel. Seit vierzig Jahren läuft das schon so. "Früher war es für Maler sehr schwierig in den Wintermonaten Arbeit zu finden. Daher haben sich meine Eltern für den Karnevalladen entschieden." Wirtschaftlich eine kluge Entscheidung. Bis zu 70 Prozent mehr Umsatz mache der Laden mit dem Karnevalsverkauf. Es sei ein Magnet.
Karneval-Fakten
Bundesweit werden jährlich über 1,4 Milliarden Euro für den Karneval ausgegeben. Allein die Kostümhersteller sollen laut Fachgruppe Karneval im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie rund 250 Millionen Euro in der Saison 2014/15 umgesetzt haben.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung Boston Cosulting Group beläuft sich allein die Wirtschaftskraft des Kölner Karnevals jährlich auf rund 460 Millionen Euro, der Erhalt von circa 5000 regionalen Arbeitsplätzen wird durch Karneval gesichert. Für Düsseldorf sind es laut einer McKinsey-Studie bis zu 300 Millionen Euro jährlich und 3500 Jobs. Das Institut der Deutschen Wirtschaft weist allerdings daraufhin, dass sich die ökonomische Bedeutung des Karnevals aufgrund unterschiedlich langer Sessionen nur schwer einschätzen und vergleichen lässt.
Die Wochen zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch gehören dem Karneval. Es ist die Zeit vor Beginn der sechswöchigen Fastenzeit, die im Christentum auf das Osterfest vorbereitet. Vorläufer des Karnevals reichen bis ins Altertum zurück. Im Mittelalter feierten die Menschen beispielsweise Narrenfeste, die um den Dreikönigstag, am 6. Januar, stattfanden.
Zu den deutschen Karnevalshochburgen zählen unter anderem Köln, Düsseldorf, Mainz und Wiesbaden. Karneval wird auch weltweit gefeiert, besonders bekannt ist der Karneval in Rio, Venedig oder das Mardi Gras Fest aus New Orleans. Neben Karneval gibt es eine Reihe weiterer Bezeichnungen: von Fastnacht, über Fasnacht und Fasching bis hin zur Fünften Jahreszeit.
Beim deutschen Straßenkarneval werden laut Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie Jahr für Jahr rund 500 Tonnen Süßwaren unters Volk gebracht. Allein beim Kölner Rosenmontagszug wurden 2015 rund 300 Tonnen Süßes geworfen, in Düsseldorf und Mainz waren es je 50 Tonnen.
Was für den Malerbetrieb eine gutes saisonales Zusatzgeschäft ist, ist für andere Karnevalsläden Alltag – immer, auch wenn die fünfte Jahreszeit im Kalender wieder verschwunden ist. Um wirtschaftlich überleben zu können, müssen die vielen Karnevalsunternehmen ihr Angebot ständig erweitern und sich neue Marketingstrategien einfallen lassen, wie sie ihre Produkte am besten an Mann und Frau bringen.
Verkleiden geht immer
"Früher war die Zeit ab Aschermittwoch für viele Unternehmen eine Durststrecke", sagt Dieter Tschorn von der Fachgruppe Karneval im DSVI. Nicht selten habe es finanzielle Probleme oder sogar Pleiten gegeben. Das sei heute anders. "Die Menschen wollen sich mittlerweile das ganze Jahr über zu ganz unterschiedlichen Anlässen verkleiden, nicht nur an Karneval oder Halloween", so Tschorn, der mit dafür verantwortlich ist, dass der Halloween-Hype auch nach Deutschland übergeschwappt ist – sehr zur Freude der Einzelhändler.
Von Elfenohren und Zombiewunden bis zum künstlichen Sperma
Ihr Angebot richtet sich längst nicht mehr nur an Karnevalsfans: Mottoparties, Kindergeburtstage, Valentinstag, Junggesellenabschiede, Oktoberfeste, Sportgroßveranstaltungen – alles soll mit Kostümen und Accessoires abgedeckt sein. "Karneval ist unser Kerngeschäft", sagt Björn Lindert, Geschäftsführer des Kölner Traditionsunternehmens Deiters, das zwanzig Filialen in ganz Deutschland hat. Zwei Drittel des Umsatzes mache Deiters in der Karnevalszeit. "Aber das Thema Verkleidungen wird immer mehr zum Ganzjahresgeschäft." So sind vor allem Trachten, wie Lederhosen oder Dirndl für die vielen Oktoberfest-Ableger außerhalb der bayrischen Landesgrenzen, zu einem wichtigen Umsatzbringer für Deiters geworden.
Den Oktoberfest-Trend kann auch Ralf Horbach vom Karnevalshersteller Fries aus Idar-Oberstein bestätigen, der Supermärkte und Einzelhändler mit Kostümen, Perücken und Schmuck beliefert. Allerdings gebe es hier noch Potenzial nach oben. "70 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit Karneval, 20 Prozent mit Halloween und zehn Prozent entfallen auf Anlässe wie Oktoberfest oder Weltmeisterschaft", erläutert Horbach.
In den 1960er Jahren ist das Familienunternehmen, das ursprünglich Werkzeuge und Maschinen für die Schmuckindustrie produzierte hatte, voll auf das Karnevalsgeschäft umgestiegen. Einfach sei das nicht gewesen. "Früher mussten wir nach der Karnevalszeit immer Kurzarbeit im Sommer fahren, weil die Nachfrage zu gering war", erzählt Horbach. Kurzarbeit gibt es heute zwar nicht mehr, dafür hat ein Drittel der Belegschaft nur einen befristeten Vertrag über ein halbes Jahr während der heißen Karnevalsphase.
Ganz ähnlich sieht es bei anderen Unternehmen der Branche aus: Viele stocken ihr Personal mit Aushilfen zwischen Herbst und Aschermittwoch deutlich auf, um dem starken Andrang Herr zu werden. Die ausgelassene Feierstimmung wollen die Anbieter das ganze Jahr über aufrechterhalten, um die Nachfrage zu steigern. "Die Realität ist leider oft schon hart genug. Deshalb kreieren wir immer wieder neue Spaßprodukte und bringen diese in den Handel", sagt Michael Prinz, der seit 1999 das Online-Portal "Karneval Megastore" leitet.
Um nicht der "Saisonalitätsfalle" Karneval zu erliegen, hat Prinz früh angefangen sein Angebot breit aufzustellen. Der Online-Händler wirbt mit dem Slogan "Wir sind deine Party" und tatsächlich findet der Kunde neben dem Kostümangebot allerhand Skurriles auf der Seite: Von Scherzartikeln wie künstliches Sperma, Bärenfleisch aus der Dose oder ein wasserlöslicher Bikini bis hin zu einer eigenen Comic-Reihe. Die Produkte verschickt der Hersteller mit Sitz in Metzingen an Kunden und Händler in ganz Europa.
Hinzu kommt verstärkt das Geschäft mit Lizenzprodukten aus Film und Fernsehen, zum Beispiel "Star Wars"-Fanartikel. Der Online-Versandhändler "Maskworld" macht einen Großteil seiner Einnahmen mit Latex- und Lederprodukten wie Masken, Rüstungen und Tuniken. "Mittelalter- und Fantasyfans sowie Live-Rollenspieler kaufen unsere Produkte. So haben wir uns ein weiteres Standbein zum klassischen Verkleidungsgeschäft geschaffen", sagt Marion Frischkorn von Maskworld.
Wem der ganze Karnevals- und Verkleidungshype auf die Nerven geht, muss jetzt ganz stark sein: Viele Händler denken über Expansion nach. Deiters plant noch in diesem Jahr zehn neue Filialen, der Online-Händler "Karneval Megastore'" liebäugelt mit richtigen Filialen. Anscheinend schaffen es die Geschäfte also mehr als gut, sich aufs Jahr gesehen über Wasser zu halten.