Die Krisenmanager bei Karstadt haben Fakten geschaffen: Sechs Häuser werden dicht gemacht, offenbar binnen Jahresfrist. Neben zwei klassischen Kaufhäusern werden auch zwei Schnäppchencenter geschlossen – und der junge Ableger K Town wird komplett eingestampft.
Es ist das Ende von Karstadts Versuch, jugendlicher zu wirken. Und das bezeichnende Aus einer gescheiterten Strategie. Denn Karstadt schließt in diesem ersten Schritt nur die ganz krassen Problemfälle. Die, bei denen der Konzern einfach aus den Mietverträgen kommt und für die es gar keine Hoffnung mehr gibt. Abgestorbene Extremitäten an einem kranken Körper.
So zumindest fällt das Urteil des neuen Karstadt-Chefs aus. "Diese Häuser stecken nachhaltig in den roten Zahlen, und es gibt nach unserer Analyse keine Möglichkeit, dies zu drehen", sagt Stephan Fanderl im Interview mit dem "Handelsblatt". Über den jungen Ableger der Warenhauskette urteilt er: Das Konzept K Town habe sich einfach "nicht durchgesetzt".
Karstadts Krisen-Chronik
Mit seinem früheren Mutterkonzern Arcandor war Karstadt 2009 in die Insolvenz gerutscht. Im Juni 2010 stieg Investor Nicolas Berggruen ein. Von seinem Einspringen wurde die Wende erhofft. Die Chronik der Krise.
Für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften - darunter die Karstadt Warenhaus GmbH - wird am 1. September 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Am 1. Dezember wird bekannt, dass zehn Karstadt-Standorte mit teils mehreren Häusern nach Angaben der Insolvenzverwaltung geschlossen werden sollen. Etwa 1200 Mitarbeiter sind betroffen.
Beim Essener Amtsgericht wird am 15. März ein Insolvenzplan vorgelegt. Am 12. April stimmen die Gläubiger dem Plan zu. Am 1. Juni haben von bundesweit 94 Kommunen bis auf drei bereits alle einem Verzicht auf die Gewerbesteuer zugestimmt. Die im Insolvenzplan geforderte Zustimmungsquote von 98 Prozent gilt damit als sicher. Nur sechs Tage später erhält die Berggruen Holding vom Gläubigerausschuss den Zuschlag zur Übernahme. Einen Tag später unterschreibt Berggruen den Kaufvertrag unter Vorbehalt. Berggruen fordert vom Karstadt-Standortvermieter Highstreet deutliche Mietsenkungen. Am 14. Juni endet eine erste Verhandlungsrunde zu den künftigen Mieten ohne Ergebnis. Am 20. Juni lehnt Berggruen ein Angebot von Highstreet über Mietsenkungen von mehr als 400 Millionen Euro ab.
Am 26. August hat sich Berggruen mit der Essener Valovis-Bank geeinigt: Die Bank hatte Highstreet ein Darlehen über 850 Millionen Euro gewährt und dafür im Gegenzug 53 Waren-, Sport- und Parkhäuser als Sicherheit erhalten. Man habe sich unter anderem darauf verständigt, dass Berggruen dieses Darlehen bis 2014 ablösen könne, heißt es. Am 2. September stimmen die Highstreet-Gläubiger den geforderten Mietsenkungen zu.
Am 30. September hebt das Essener Amtsgericht das Insolvenzverfahren auf. Damit erhält Berggruen zum 1. Oktober die Schlüsselgewalt für die Karstadt Warenhaus GmbH. 40.000 Gläubiger verzichten auf zwei Milliarden Euro. Die Belegschaft verzichtet auf 150 Millionen Euro.
23. November: Der frühere Woolworth-Manager Andrew Jennings wird zum neuen Karstadt-Chef bestellt. Er beginnt Anfang Januar 2011.
Jennings legt am 6. Juli das Konzept „Karstadt 2015“ vor: Modernisierung der Warenhäuser, stärkeres Online-Geschäft und Expansion der Sporthäuser sind der Kern.
Am 16. Juli kündigt Karstadt die Streichung von 2000 Stellen an.
Karstadt kündigt am 13. April 2013 eine „Tarifpause“ für die Beschäftigten an. Am 9. Juni bestätigt das Unternehmen, dass der Vertrag von Karstadt-Chef Jennings zum Jahresende ausläuft.
Im Februar kommt Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt nach Essen und übernimmt den Geschäftsführerposten. Am 7. Juli legt Sjösted nach nur fünf Monaten alle Ämter nieder. Als Grund dafür nennt sie, dass die „Voraussetzungen“ für den von ihr angestrebten Weg nicht mehr gegeben seien.
Der Österreicher René Benko kauft Karstadt im August für nur einen Euro. Der bisherige Eigentümer Nicolas Berggruen zieht sich komplett zurück. Die Sanierungsaufgaben bleiben gewaltig.
Dabei war K Town mit großen Zielen gestartet. "Mit unserem trendigen und Lifestyle-orientierten Konzept K Town sprechen wir einen ganz neuen, modernen Kunden mit einem sehr jungen Lebensstil an", hieß es hoffnungsfroh in Pressemitteilungen aus dem Jahr 2012.
Der erste K-Town-Store wurde im September 2011 in Göttingen eröffnet. Das Ambiente hat Industriehallen-Charakter und wirkt moderner als das biedere Karstadt-Kaufhaus: TV-Bildschirme, Lichtinstallationen, Lounge-Atmosphäre. Der Warenfokus lag von Beginn an auf jungen Marken: Desigual, Mavi, Blend, Superdry. 2012 folgte das zweite Geschäft in Köln - im Erdgeschoss der dortigen Karstadt-Filiale.
Die PR-Abteilung feierte den Schritt als Start der "Expansion von K Town". Es sei "Zeit, unser Pilotprojekt auszurollen". Doch Köln bleibt die einzige und letzte Neueröffnung. Die Kunden- und Umsatzzahlen erfüllten offenbar nie die Erwartungen. Das Management scheute den Schritt, das Experiment auszuweiten.
Der Versuch, mit K Town etwas völlig neues auf die Beine zu stellen, scheiterte. Für Experten keine Überraschung. "Das war gewollt und nicht gekonnt", sagt Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Jennings, der gescheiterte Ex-Chef, hat es nicht geschafft, Waren in der Auswahl, der Qualität und dem Preis anzubieten, wie die Kunden es wollten."
Für das Ende von K Town sei aber nicht allein die Idee dahinter verantwortlich, glaubt Gerd Hessert, der an der Universität Leipzig Handelsmanagement lehrt und lange vor Berggruen selbst Karstadt-Manager war. "Ganz offensichtlich wurde das Angebot nicht sonderlich positiv aufgenommen. Aber es gibt K Town auch nur an zwei Standorten. Da lässt sich nicht sicher sagen, ob nicht andere Faktoren für die Probleme verantwortlich waren." Um den möglichen Erfolg einzuschätzen, hätte das Konzept in größerem Stil erprobt werden müssen.
Dass das Experiment K Town nun zu Ende geht, sei kein Wunder, glaubt Hessert. "Einzelkonzepte ergeben in einer Sanierungsphase gar keinen Sinn", sagt der Handelsexperte. "Es ist die richtige Entscheidung, sich auf den Kern der Warenhauskette und die Grundsanierung zu konzentrieren. In dieser Phase muss der Konzern nicht noch Ballast mitschleppen."
K Town ist nur der Anfang
Es geht dabei nicht um K Town allein. Der Jugendableger war nur eine Steigerung in Karstadts Plan, junge Kunden zu gewinnen und die Zielgruppe zu erweitern. "Das Unternehmen muss sich erneuern, erfrischen und den Kunden etwas geben", hatte Nicolas Berggruen im September 2010 die Parole ausgegeben. Er übertrug Andrew Jennings die Aufgabe, den Wandel zu bewirken. Der scheiterte.
Bemühungen gab es, zumindest auf dem Papier. Mit Eigenmarken, verändertem Produktangebot, Filialmodernisierungen und Online-Offensive versuchte sich Karstadt ein anderes Image aufzubauen. Aber trotz einiger Investitionen gelang es dem Konzern nie, das Konzept zur Erneuerung so auszubauen, dass es die Kunden überzeugte.
Schon im Herbst vergangenen Jahres zeigte eine Studie im Auftrag der WirtschaftsWoche, dass das zumindest auf dem eingeschlagenen Weg nicht funktionieren würde. Das Wirken von Jennings und Berggruen wurde von den meisten Kunden kaum registriert, geschweige denn honoriert. Stattdessen vergraulte es auch noch die Stammkunden.
Vor einem Jahr wiegelte der Konzern noch ab: Die Entwicklung sei positiv, hieß es. Heute erklärt der neue Karstadt-Chef Fanderl, dass der Kurs der Berggruen-Ära ein Fehler gewesen sei. Seit der Insolvenz im Jahr 2009 habe die Kette fast 30 Prozent seiner Kundschaft im Alter zwischen 35 und 40 Jahren und bei den über 55-Jährigen verloren. "Karstadt hat in dieser Zeit an der Kernzielgruppe vorbeigearbeitet – und dafür brutal die Quittung bekommen", resümiert Fanderl.
Wie der neue Chef die alte Kundschaft zurückgewinnen will, ohne die neue zu verlieren, sagt er nicht klar. Er unterteilt die Kundschaft in zwei Typen: Die, die sich inspirieren lassen und die, die nur schnell und einfach ihren Produktbedarf decken wollen. Dazu will Fanderl in unterschiedlichen Städten unterschiedliche Karstadt-Formate etablieren. "Karstadt 1881, das Erlebnishaus" in den Metropolen und "Mein Karstadt" zur Bedarfsdeckung in den kleineren Städten.
"Karstadt konzentriert sich jetzt wieder auf die Basics", sagt Handelsexperte Roeb. "Das ist nicht besonders originell, ist aber kurz- bis mittelfristig der beste Weg."
Schließlich sei die Ausgangslage bei der Warenhauskette nicht schlecht. "Karstadt macht pro Quadratmeter 20 Prozent mehr Umsatz als Kaufhof", so Roeb. Wegen vieler Fehlentscheidungen fielen aber die Margen sehr viel geringer aus. "Die Vorgänger haben einfach zu viel und zu inkonsequent experimentiert."
Wie auch immer die als "Fokus+" verkaufte neue Strategie unter Investor Benko und Chef Fanderl am Ende aussehen mag: Es wird eine Mammutaufgabe sein, den Wandel zu stemmen. Und es wird eine Herausforderung, ihn zu kommunizieren und die Kunden zurückzulocken.
Denn auch daran scheiterte die Verjüngungsoffensive: Es gelang nie, den Kunden begreiflich zu machen, was das junge Karstadt von P&C, Kaufhof oder selbst Kult unterscheiden sollte – und was es besser machte als Billiganbieter wie Primark.
In der Kommunikation mit der jungen Zielgruppe zeichnete sich das Ende von Jugendableger K Town bereits früher ab. Seit Mai gibt es im K-Town-Blog, wo sonst nahezu wöchentlich über aktuelle Modetrends geschrieben wurde, keine Einträge mehr. Der letzte Eintrag auf der Facebook-Seite von K Town Göttingen datiert vom 2. Juni 2014. "Happy Monday", steht dort, und: "Wie war euer Wochenende?". Antworten gab es - keine.