Kauforgie in China Wie sich Alibaba die Shopping-Zukunft vorstellt

Alibaba macht am „Singles‘ Day“ 22 Milliarden Euro Umsatz. Doch der Online-Marktführer in China spürt den Atem der Konkurrenz – und reagiert mit einem Plan, der die Grenzen zwischen Off- und Onlinehandel aufheben soll.

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Alibaba, Singles Day, Jack Ma, Amazon, E-Commerce Quelle: Reuters

Auch 2017 hat die Alibaba-gesponserte Kauforgie wieder alle Rekorde gebrochen: Innerhalb der 24 Stunden des 11. November machte der Amazon-Konkurrent aus China einen Umsatz von rund 22 Milliarden Euro – und übertraf damit die Erlöse des Vorjahres um 39 Prozent.

Was 2009 mal als Gegenstück für Alleinstehende zum Valentinstag begann, ist längst zum Tag geworden, an dem Abermillionen Menschen ungebremst dem Kapitalismus und Kaufrausch frönen. Damals rief Jack Ma am 11.11., der in China wegen des Datums nur aus Einsen auch Singles‘ Day heißt, die einsamen Herzen auf, sich selbst an dem Tag etwas Gutes zu gönnen. Inzwischen muss Alibaba rund 1,5 Milliarden Bestellungen verarbeiten, 90 Prozent davon getätigt von mobilen Endgeräten. Alibabas Logistik-Tochter Cainiao koordinierte davon 812 Millionen Lieferungen.

Doch dieser Erfolg lässt Alibaba nicht ruhen. Die Konkurrenz daheim ist groß: JD.com hat in den letzten Jahren aufgeholt. Während der E-Commerce Marktanteil von Alibaba von 61 Prozent in 2014 auf 57 Prozent in 2016 fiel, stieg der von JD.com von 18 auf 25 Prozent. Eine Erhebung der Analysten von Fung Global Retail & Technology vor dem Singles‘ Day zeigte zudem, dass zwar 96 Prozent der befragten Shopper Geld auf den Alibaba-Plattformen Taobao oder TMall ausgeben wollten, aber 61 Prozent auch bei JD.com auf Einkaufstour gehen wollten. Tatsächlich erzielte JD.com am Samstag 16,4 Milliarden Euro Umsatz – und dass ohne den gleichen medialen Aufwand wie Alibaba.

„Die tiefhängenden Früchte auf dem chinesischen Markt haben die beiden schon gepflückt und untereinander aufgeteilt“, sagt Matthew Crabbe von der Marktforschungsfirma Mintel. „Jetzt müssen sie andere Wege entwickeln, um relevant zu bleiben.“

Wie so ein Weg aussehen könnte, hat Alibaba-Gründer Jack Ma neulich selbst in einem Brief an die Aktionäre beschrieben. „New Retail“ heißt das Konzept, bei dem „die Grenzen zwischen Off- und Onlinehandel zusehends verschwinden, während sich Alibaba künftig mehr darauf konzentriert, die persönlichen Bedürfnisse eines jeden Kunden zu erfüllen.“ Konkret bedeutet das in China, dass man real existierende Läden in die digitale Sphäre einbinden möchte. 600.000 Tante-Emma-Läden sind inzwischen mit einem Alibaba-System verbunden, so dass man vor Ort Ware aus dem Netz einkaufen kann.

Wer sehen möchte, wie sich Alibaba das Shoppen der Zukunft konkret vorstellt, muss einen Hema-Supermarkt besuchen. Auf den ersten Blick ein ganz normaler Laden mit Abteilungen für Obst, Gemüse, Fleisch oder Getränke. Zwischen Regalen für frische Lebensmittel stehen mehrere Zubereitungsstände mit Tischen: so kann man sich zum Beispiel den frisch ausgesuchten Hummer wie in einem Restaurant zubereiten lassen und gleich noch vor Ort verzehren.

Doch auf den zweiten Blick sieht man, dass nicht alle Menschen hier auch Kunden sind. Mitarbeiter in hellblauen T-Shirts mit dem Hema-Logo huschen umher. Sie sollen innerhalb ihres Bereichs einen Beutel mit bestellter Ware innerhalb von drei Minuten vollpacken und dann an ein Transportsystem hängen. An der Decke hängend wird der Beutel zu einer Lagerhalle transportiert und von dort aus zum Kunde ausgeliefert.

Datenschutz? Alibaba will alles über den Kunden wissen

Alibaba verspricht, dass der gesamte Prozess nur 30 Minuten dauere. 50 bis 70 Prozent des Umsatzes sollen die inzwischen 20 Hema-Supermärkte mit Online-Bestellungen machen, teilt das Unternehmen mit. Nur auf die Frage nach Hemas‘ Umsatzzahlen und der angeblichen Effizienz zeigt sich Alibaba extrem verschlossen. Dabei brüstet sich Jack Ma sonst sehr damit, sehr viel über das Geschäft und vor allem den Kunden zu wissen.

Auch beim analogen Shoppen soll das Smartphone unabdingbar werden: Produkte haben Barcodes, die man beim Kaufen selbst einscannen und somit dem eigenen Einkäuferprofil beifügen soll; Kleidung oder Kosmetik lassen sich virtuell mit seinem Gesicht und seinem Körper ausprobieren – und am Ende kann man mit der Alibaba-Bezahl-App Alipay die Rechnung begleichen. „Das Smartphone erlaubt Alibaba, von jedem Kunden ganz viele Daten einzusammeln“, sagt Mei Xinyu, der am Institut für Internationalen Handel und Wirtschaftliche Zusammenarbeit des chinesischen Handelsministeriums forscht.

Mit den Informationen wiederum möchte das E-Commerce-Unternehmen den Kunden genau durchleuchten, um jederzeit wissen zu können, was er wann und warum kaufen will. „Wir wollen alles über die Vorlieben des Kunden wissen“, sagte Alibaba-Marketingchef Chris Tung und will damit Profile über den „Lebensstil unserer 500 Millionen Kunden erstellen“ können. „Wenn wir sehen, dass du Basketballsuperstar LeBron James magst, dann muss Nike dir keine Werbung für Fußballschuhe zeigen, sondern wir können dir gezielt die Infos zu seiner Produktlinie liefern.“

All diese Entwicklungen seien Indikatoren, dass Alibaba „von einem Kommerz-Unternehmen zu einem Technologie-Unternehmen wird“, sagt Liu Xingliang vom Datenzentrum des Forschungsinstituts China Internet. Doch was ist, wenn man überhaupt keine Werbung für LeBron-James-Produkte sehen möchte oder die Verehrung des Basketball-Stars lieber für sich behalten möchte?

Auf Fragen nach Datenschutz und Privatsphäre von westlichen Journalisten blockt Alibaba. Chris Tung weist nur darauf hin, dass man sich ja ins System einwählen müsse, bevor Alibaba die Daten bekommen könne. Was er auslässt: Wer Alibaba-Plattformen wie Hema oder Taobao nutzen möchte, dem bleibt gar keine andere Wahl, als sich einzuwählen und datentechnisch vor dem Unternehmen auszuziehen.

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