Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte es vorkommen, dass die Gastgeberin einer Party sich für den Perser entschuldigte, der da ganz unschuldig vorm Fernseher auf dem Parkett ausgebreitet war und als fransiges Erbstück sein Dasein fristete. Heute kann es passieren, dass eine Gastgeberin ihre Gäste mit einem Aperol Spritz in der Hand als Erstes zum Fernseher führt und Elogen über Herkunft und Gestaltung des leicht abgewetzt und dennoch edel wirkenden textilen Designerstücks hält.
Es sind vor allem deutsche Designer, die dem totgesagten Perserteppich neues Leben eingehaucht haben, indem sie ihm eine zeitgenössische Formensprache verpassten. Vorneweg Jan Kath, Spross einer Bochumer Teppichhändler-Familie. Der 41-Jährige ist der Star der Szene, mit einem Showroom in New York und Dependancen in Berlin, Hamburg, Stuttgart und neuerdings Köln. Er gehört zu den Urhebern des sogenannten „used look“, jener artifiziellen Schäbigkeit, die an die Strategien moderner Malerei erinnert, an Drippings, Übermalungen und Abkratzungen.
In der ehemaligen Maschinenhalle am Rande der Bochumer Innenstadt, dem Kreativzentrum und Archiv der Kath’schen Designerwerkstatt, sind die Kollektionen unter mächtigen Stahlträgern aufgehängt, großformatige, je nach Blickwinkel changierende Teppiche aus Wolle, Seide und Brennnesselfasern, die mit dem Reiz des Zerschlissenen spielen, mit einer Ästhetik der Vergänglichkeit und des Verfalls. Da zerläuft das florale Dekor eines Bidjar-Teppichs zu Schlieren oder verschwindet unter einem Liniengespinst. Andere Stücke sehen aus, als seien die Farben wegradiert, verätzt und abgeblättert wie bei einer verwitterten Mauer oder als sei das Muster von wahlweise blauem oder pinkfarbenem Schimmelfraß überzogen.
Speerspitze der Tradition
Kath spricht von „Erosionen“, von „Angriffen“ auf das Material. Er traktiert die Oberflächen, „zermalt“ die Motive, arbeitet Farbspritzer und -klekse ein oder verwischt die vertrauten Muster – nicht, um sie zerstören, sondern, um sie zur Kenntlichkeit zu entstellen. Das „Mutterbild“ soll unter den reliefartig vorstehenden Manipulationen wie eine halb verblasste Erinnerung durchscheinen. Mit solchen Déja-vu-Effekten will Kath die mittlere Kundengeneration, die mit Großmutters Perser aufgewachsen ist, wiedergewinnen. „Auferstanden aus Ruinen“, das sei sein Thema, sagt der Designer. Der Junge aus dem Ruhrgebiet ist zwischen Industrieruinen groß geworden, in einer Region, in der die Tradition, wie er sagt, nie viel galt. Gerade deshalb versteht er sich als „Speerspitze der Tradition“, als Vermittler von Neuem und Altem, der digitales Design mit der jahrhundertealten Kulturtechnik des Teppichknüpfens verbindet.
Handgeknüpfte Teppiche
Handgeknüpfte Teppiche werden meist aus Wolle und Seide gefertigt. Die beste Wolle stammt von den Schafen aus dem Hochland Tibets. Nach der Schur wird die Wolle gewaschen, gekämmt und von Hand zu einem mal dicken, mal dünnen Garn versponnen, das die Farbe unterschiedlich stark aufnimmt. So entsteht ein reizvolles, unregelmäßiges Farbbild, der sogenannte Abrasch.
Teppiche werden an einem Knüpfstuhl mit vertikalen Kettfäden gefertigt. Die Knüpferinnen und Knüpfer sitzen nebeneinander und knüpfen die Wolle Reihe für Reihe nach einem vorgegebenen Muster ein. Ist eine Reihe beendet, werden die Knoten fixiert, mit einem Kammhammer angeschlagen, und die nächste Reihe beginnt. Je dichter die Knoten, desto feiner der Teppich. Nach Vollendung des Teppichs wird der Flor abgeschnitten und das Finishing beginnt: Der Teppich wird mehrmals gewaschen und zum Trocknen ausgelegt.
Die Masse der nach Deutschland importierten Teppiche stammt aus Indien, Nepal, Iran und Pakistan. Sie werden in Manufakturen und in Heimarbeit gefertigt. Zertifizierungsstellen wie „Step“ oder „good weave“ sollen garantieren, dass die Teppiche nicht in Kinderarbeit hergestellt werden.
Ein eigens für Kath entwickeltes Computerprogramm ermöglicht es, die Entwürfe auf Lochkarten, sogenannte Graphen, zu übertragen, auf denen jeder einzelne Knoten samt Faden und Färbung als kleiner Punkt markiert ist. Diese Graphen werden online von der Bochumer Zentrale in die Manufakturen in Nepal und Indien übermittelt und dienen als Vorlage für mehr als 2600 Knüpfer, deren Arbeit vor Ort so „ziemlich genau“ kontrolliert werden kann. „In den meisten Fällen können wir exakt kalkulieren, was für ein Produkt herauskommt“, sagt Kath. Für sein neues Projekt „Space/Kosmos“ hat Kath Satellitenbilder einer Supernova in fotorealistischer Auflösung, „Pixel für Pixel“, in die Knoten-Sprache des Teppichs übersetzt. Das Ergebnis, das ihm in Kathmandu präsentiert wurde, habe ihn überzeugt.