Knüpfkunst Bodenreform für alte Perserteppiche

Junge deutsche Designer wie Jan Kath zeigen, wie handgeknüpfte Teppiche das Wohnzimmer beseelen. Sie präsentieren alte Orientmuster in der Formensprache der Moderne - von schrill bis schäbig.

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Der handgeknüpfte Läufer wird zum Designobjekt: Teppichdesigner Jan Kath. Quelle: dpa

Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte es vorkommen, dass die Gastgeberin einer Party sich für den Perser entschuldigte, der da ganz unschuldig vorm Fernseher auf dem Parkett ausgebreitet war und als fransiges Erbstück sein Dasein fristete. Heute kann es passieren, dass eine Gastgeberin ihre Gäste mit einem Aperol Spritz in der Hand als Erstes zum Fernseher führt und Elogen über Herkunft und Gestaltung des leicht abgewetzt und dennoch edel wirkenden textilen Designerstücks hält.

Es sind vor allem deutsche Designer, die dem totgesagten Perserteppich neues Leben eingehaucht haben, indem sie ihm eine zeitgenössische Formensprache verpassten. Vorneweg Jan Kath, Spross einer Bochumer Teppichhändler-Familie. Der 41-Jährige ist der Star der Szene, mit einem Showroom in New York und Dependancen in Berlin, Hamburg, Stuttgart und neuerdings Köln. Er gehört zu den Urhebern des sogenannten „used look“, jener artifiziellen Schäbigkeit, die an die Strategien moderner Malerei erinnert, an Drippings, Übermalungen und Abkratzungen.

Designer-Teppiche von Jan Kath & Co.
Teppichdesigner Jan Kath in seinem Atelier in Bochum. Seine Kreationen spielen mit dem Zerfall und Verschleiß der bekannten Muster von Orientteppichen. Quelle: dpa
Mal bekommen die Perser Schriftzüge wie aus der Graffiti-Spraydose verpasst, mal werden sie mit Gespinsten überzogen. Hier waren es knallorange Herzchen. Quelle: dpa
Mit Teppichen, die wie von Schimmel befallen erscheinen, belebt Jan Kath den Orientteppich neu und feiert große Erfolge im Luxussegment. Quelle: dpa
Kaths Kreationen entstehen am Computer, der mittels Spezialsoftware Knoten für Knoten auf eine Lochkarte überträgt. Nach diesen sogenannten Graphen arbeiten die Teppichknüpfer in Nepal und Indien. Quelle: dpa
Teppiche statt Krieg: Das traditionelle Ornament ist bei Kath vom Schriftzug "Make rugs, not war" überzogen. Ein Slogan wie aus der Farbdose. Quelle: Dimo Feldmann
Was wie erlesener Schimmelfraß aussieht, findet internationalen Anklang. Neben Niederlassungen in Berlin, Hamburg, Stuttgart und Köln unterhält Kath auch einen Showroom in New York. Quelle: Dimo Feldmann
Auch Kaths Hamburger Kollege Hossein Rezvani interpretiert traditionelle Muster wie dieses Täbris neu - und verleiht ihnen einen luxury-shabby-Look. Quelle: PR

In der ehemaligen Maschinenhalle am Rande der Bochumer Innenstadt, dem Kreativzentrum und Archiv der Kath’schen Designerwerkstatt, sind die Kollektionen unter mächtigen Stahlträgern aufgehängt, großformatige, je nach Blickwinkel changierende Teppiche aus Wolle, Seide und Brennnesselfasern, die mit dem Reiz des Zerschlissenen spielen, mit einer Ästhetik der Vergänglichkeit und des Verfalls. Da zerläuft das florale Dekor eines Bidjar-Teppichs zu Schlieren oder verschwindet unter einem Liniengespinst. Andere Stücke sehen aus, als seien die Farben wegradiert, verätzt und abgeblättert wie bei einer verwitterten Mauer oder als sei das Muster von wahlweise blauem oder pinkfarbenem Schimmelfraß überzogen.

Speerspitze der Tradition

Kath spricht von „Erosionen“, von „Angriffen“ auf das Material. Er traktiert die Oberflächen, „zermalt“ die Motive, arbeitet Farbspritzer und -klekse ein oder verwischt die vertrauten Muster – nicht, um sie zerstören, sondern, um sie zur Kenntlichkeit zu entstellen. Das „Mutterbild“ soll unter den reliefartig vorstehenden Manipulationen wie eine halb verblasste Erinnerung durchscheinen. Mit solchen Déja-vu-Effekten will Kath die mittlere Kundengeneration, die mit Großmutters Perser aufgewachsen ist, wiedergewinnen. „Auferstanden aus Ruinen“, das sei sein Thema, sagt der Designer. Der Junge aus dem Ruhrgebiet ist zwischen Industrieruinen groß geworden, in einer Region, in der die Tradition, wie er sagt, nie viel galt. Gerade deshalb versteht er sich als „Speerspitze der Tradition“, als Vermittler von Neuem und Altem, der digitales Design mit der jahrhundertealten Kulturtechnik des Teppichknüpfens verbindet.

Handgeknüpfte Teppiche

Ein eigens für Kath entwickeltes Computerprogramm ermöglicht es, die Entwürfe auf Lochkarten, sogenannte Graphen, zu übertragen, auf denen jeder einzelne Knoten samt Faden und Färbung als kleiner Punkt markiert ist. Diese Graphen werden online von der Bochumer Zentrale in die Manufakturen in Nepal und Indien übermittelt und dienen als Vorlage für mehr als 2600 Knüpfer, deren Arbeit vor Ort so „ziemlich genau“ kontrolliert werden kann. „In den meisten Fällen können wir exakt kalkulieren, was für ein Produkt herauskommt“, sagt Kath. Für sein neues Projekt „Space/Kosmos“ hat Kath Satellitenbilder einer Supernova in fotorealistischer Auflösung, „Pixel für Pixel“, in die Knoten-Sprache des Teppichs übersetzt. Das Ergebnis, das ihm in Kathmandu präsentiert wurde, habe ihn überzeugt.

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