Als Nicolas Berggruen die sechste Etage des Karstadt-Hauses am Kurfürstendamm in Berlin betritt, springen wartende Mitarbeiter auf, Verkäuferinnen fallen sich in die Arme, andere klatschen Beifall. Aus dem hauseigenen Restaurant wird ein Rollwagen mit Sektgläsern herangeschoben. Der Investor – Dreitagebart, lässig aufgeknöpftes weißes Hemd und Sonnenbrille in der Hand – bedankt sich artig: "Ich bin irrsinnig glücklich, dass ich dabei bin."
Das war am 3. September 2010. Mitarbeiter, Gewerkschafter und Politiker feierten Berggruen als Retter des Essener Warenhausunternehmens aus der Insolvenz. Und der Deutsch-Amerikaner formulierte sein Ziel für das Projekt Wiederauferstehung von Karstadt: "Das Unternehmen muss sich erneuern, erfrischen und den Kunden etwas geben".
Genau drei Jahre ist der denkwürdige Auftritt her, und doch scheint zwischen der damaligen Feierlaune und der heutigen Stimmung eine Dekade der Ernüchterung zu liegen. Der Berggruen-Effekt ist verpufft, der Hoffnungsträger Karstadt gilt wieder als Sanierungsfall. Umsatzschwund, Stellenstreichungen und der Abgang von Karstadt-Chef Andrew Jennings zum Jahresende beherrschen die Schlagzeilen.
Von Erneuerungen ist wenig zu sehen
Keine Frage, Unternehmensrestrukturierungen brauchen Zeit. Ein Karstadt-Sprecher behauptet sogar eine "Trendwende unserer wirtschaftlichen Entwicklung seit Mai".
Doch von "Erneuern" und "Erfrischen", wie Berggruen versprach, ist nur wenig zu sehen. Die WirtschaftsWoche bat Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, um eine Analyse, wie Karstadt aus Sicht seiner Kunden heute dasteht. Dazu ließ Roeb im Mai und Juni insgesamt knapp 1000 Karstadt-Kunden in Bonn, Köln, Düsseldorf und Essen zu den Veränderungen in den Filialen befragen.
Das Resultat fällt ernüchternd aus: Egal, ob Marken- oder Online-Offensive, Filialmodernisierungen oder Imagewandel – Jennings und Bergguens Wirken scheint von den meisten Kunden kaum registriert, geschweige denn honoriert zu werden. Ein Unternehmenssprecher will die Ergebnisse nicht kommentieren, verweist aber auf "repräsentative und neutrale Marktforschungen", die ein anderes Bild zeigen würden.
Roebs Fazit dagegen ist eindeutig: "Aus Sicht der befragten Kunden hat sich bei Karstadt so gut wie nichts getan, die Strategie von Karstadt ist den Ergebnissen zufolge in wesentlichen Punkten gescheitert."
Die neuen Eigenmarken sind den Kunden kein Begriff
Die Messlatte für dieses Urteil bilden die Ankündigen des Karstadt-Chefs in den vergangenen drei Jahren. So erklärte Jennings:
"Wir werden unsere ‚Private Labels‘ zu echten Marken entwickeln"
Die Marken sind nur etwas für Fashionfans
Doch zu den Kunden drangen die neuen Eigenmarken des angeschlagenen Kaufhausriesen bislang offenbar nicht durch. Mit Karstadt-Eigenkreationen wie der Businessmodelinie "Yorn" und den Damenkollektionen "She" und "Adagio" wissen jeweils weniger als 15 Prozent der Befragten überhaupt etwas anzufangen. Vom jugendlich angehauchten Label "Peckott", das im Karstadt-eigenen Markenreigen ebenfalls als "frischer Aufschlag in die Fashionzukunft" gilt, haben mehr als 90 Prozent der befragten Kunden noch nie etwas gehört. Eine fatale Bilanz: "Gerade Eigenmarken sind im Modehandel ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Konkurrenz", sagt Roeb. Zudem ist die Spanne erheblich größer als bei Markenartikeln.
Unbekannte Markenkleidung
Wenn schon die No-Names floppen, wie steht es dann um die Luxusmodemarken und trendigen Labels, mit denen die Karstadt-Granden die Konsumenten beglücken wollten? Jennings kündigte dies im September 2011 mit den Worten an: "Wir werden mehr als 20 neue, exklusive Marken in unsere Warenhäuser bringen, die es bisher noch nicht in Deutschland gibt."
Tatsächlich sind seither zahlreiche neue Marken in den Regalen gelandet. Einziges Problem: Große erfolgreiche Neuzugänge wie die bunten Klamotten der spanischen Marke Desigual sind die Ausnahme. Stattdessen setzte Jennings auf diverse kleine Designerlabels wie Pink Tartan, Vince Camuto oder One Green Elephant. Doch die sind allenfalls hartgesottenen Fashionfans, nicht aber deutschen Modenormalos ein Begriff. Beim klassischen Karstadt-Kunden herrscht denn auch Verwirrung bei der Frage, ob sich das Markenangebot in den vergangenen drei Jahren verändert hat. 56 Prozent der Befragten wissen es nicht. Dass sich die Auswahl "gar nicht" oder "kaum" verändert hat, glauben 25 und 16 Prozent. Entsprechend konnte auch nur jeder zehnte Befragte eine oder mehrere Marken nennen, die er für eine Karstadt-Novität hielt.
Berggruen - der Retter in der Not
2007 übernimmt der Deutsch-Amerikaner ohne langen Vorlauf Teile des insolventen Möbelriesen Schieder mit 3500 Mitarbeitern.
2010: Aufatmen bei 25.000 Beschäftigten: Berggruen kauft die insolvente Warenhauskette Karstadt. Endgültig gerettet ist sie aber noch nicht: Die Sanierung sei ein Marathon und kein Sprint, bilanzierte der Chef Andrew Jennings Mitte Mai.
Nach der Karstadt-Übernahme buhlt der Milliardär Ende 2011 auch um die schwächelnde Metro-Tochter Kaufhof. Er will Karstadt und Kaufhof unter einem Dach zusammenführen. Zu Jahresbeginn erteilt Metro ihm und den anderen Bietern eine Absage: Das Unternehmen will vorerst nicht verkaufen.
Berggruen ist an der insolventen Drogeriemarktkette mit noch 13.500 Beschäftigten interessiert. Sein Unternehmen bestätigte Gespräche mit Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. Schlecker hatte Anfang 2012 Insolvenz angemeldet.
Ganz ähnliche Reaktionen rufen die Karstadt-Online-Aktivitäten hervor. Sie würden von den befragten Kunden "weitgehend ignoriert", sagt Experte Roeb. Dabei hatte Jennings einst eine wahre Netzoffensive versprochen: "Deutschland gehört zu den am schnellsten wachsenden Online-Märkten der Welt. Da wollen wir dabei sein."
Das klang einleuchtend, fast wie eine unerlässliche Einsicht. Denn Internet-Händler verzeichnen stürmisches Wachstum. Allein zwischen April und Juni 2013 setzten die deutschen E-Commerce-Händler 9,9 Milliarden Euro um, 50 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Für Warenhäuser könnten Online-Shops zudem die Chance eröffnen, ihr Geschäft zu internationalisieren und neue Zielgruppen anzusprechen.
Internet-Ignoranz vergrault Kunden
Jennings hatte im September 2011 den stationären Ableger K-Town gegründet, der sich explizit an junge Kunden richtet und dem Vernehmen nach sogar gut läuft. Eigentlich wären dies beste Voraussetzungen gewesen, um hier möglichst schnell einen Online-Shop anzudocken. Doch den suchen K-Town-Kunden bisher vergebens.
Es herrscht Renovierungsstau
Derlei Internet-Ignoranz hat auch Folgen für die Konzern-Internet-Seite Karstadt.de. Nur für 0,2 Prozent der befragten Karstadt-Kunden ist das Shopping-Portal die wichtigste Adresse für die eigene Online-Order von Mode. Stattdessen führen Zalando, Amazon und Esprit die Online-Rangliste an. Ohnehin kennt laut der Studie nur jeder fünfte Karstadt-Kunde den Internet-Shop des Warenhauskonzerns. Gerade mal 0,6 Prozent der Befragten kaufen dort nach eigenem Bekunden "häufig" ein.
Weit entfernt vom Wandel
Online-Patzer und Fehler bei der Sortimentsgestaltung sind für Einzelhändler selbst dann heikel, wenn das Gesamtbild stimmt. Kommt ein grundsätzliches Imageproblem wie bei Karstadt hinzu, wird es für das Unternehmen brandgefährlich. Karstadt wurde lange vor der Übernahme durch Berggruen heruntergewirtschaftet, in den Filialen herrschte ein gewaltiger Renovierungsstau. Also verhieß Jennings einen Modernisierungsschub und langfristig die Imagewende: "Unsere Häuser sollen modern und voller Leben sein, emotional, überraschend, sollen dem Kunden ein echtes Erlebnis und tolle Entdeckungen bringen."
Doch unter dem Duo Berggruen/Jennings scheint der Konzern dem erhofften Wandel kaum näher gekommen zu sein. Offiziell heißt es bei Karstadt zwar, "die Wahrnehmung der Modernisierung hinsichtlich neu eröffneter Filialen und des neuen Sortimentes entwickelt sich positiv". Doch dem widerspricht die Umfrage. Die Frage, ob sich bei Karstadt überhaupt etwas verändert habe, verneinten zwei Drittel der Befragten. Einzelne Kunden bemerkten immerhin, dass ihre Filiale aufgeräumter, heller und freundlicher geworden sei. Zwar beurteilen mehr als 60 Prozent das Personal als "freundlich" oder "sehr freundlich". Zugleich aber rügen 28 Prozent der befragten Kunden die Verfügbarkeit einer Bedienung als "schlecht" oder "sehr schlecht".
Das Schlimmste für Karstadt ist laut der Untersuchung aber, dass die befragten Kunden den Konzern bei der Modekompetenz eher als Fashionfriedhof denn als Trendunternehmen wahrnehmen. So wurden die rund 1000 Kunden gebeten, der Marke Karstadt das Porträtbild eines von vier Prominenten zuzuordnen. Das Gros der Befragten brachte Karstadt weder mit dem royalen Glamour von Herzogin Kate in Verbindung noch mit dem Charme von Modelveteranin Heidi Klum.
Vielmehr denken 38 Prozent der Befragten an eine Frau, die bisher nicht unbedingt für ihre hippen Outfits bekannt ist: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und auch eine andere "Mutter der Nation" zog noch überraschend viele Stimmen auf sich: 19 Prozent der Befragten sehen Inge Meysel als perfektes Karstadt-Promi-Pendant. Ein Gruß aus der Gruft: Die Schauspielerin verstarb 2004 im Alter von 94 Jahren.