Kosmetikindustrie Make-Up-Boom dank Selfie-Wahn

Kosmetik boomt wie noch nie. Lippenstifte, Lidschatten & Co. bewegen jährlich 58 Milliarden Dollar. Vor allem die neue Generation will immer bereit für Selfies sein. Doch der Hype kann schnell zum Bumerang werden.

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Viele junge Menschen schauen sich Schminktipps im Internet an. Quelle: AP/dpa

New York „Ich bin so aufgeregt”, kreischt die junge Frau mit dunklem Pferdeschwanz in die Kamera. Sie ist kurz davor, die Tricks für gold-bronzene rauchige Augen zu erklären. Die Dame heißt Jaclyn Hill und mehr als eine Millionen Menschen haben ihr jüngstes Video bereits auf Youtube gesehen. Hill gehört zu den vielen Online-Tutoren, die anderen Frauen zeigen, wie sie sich schminken sollen. Und sie sind voll im Trend.

Der Markt für Make-Up boomt. Vor allem die sozialen Medien treiben das Geschäft mit Grundierung, Lippenstiften und Maskara. Nach einer Studie der Marktforschung Euromonitor ist der Markt für so genannte Cover-Up-Kosmetik – also alle Produkte rund um die Augen, Make-Up, Lippenstifte und Nagellack – zwischen 2011 und 2016 um ein Drittel auf 58 Milliarden Dollar (53 Milliarden Euro) gestiegen.

„Das ist die Selfie Generation: Sie müssen immer bereit sein fürs nächste Selfie“, erklärt Fabrizio Freda, der Vorstandsvorsitzende des US-Kosmetikkonzerns Estee Lauder den Erfolg seiner Branche – und seines Unternehmens. Sie können sich heute „keinen schlechten Tag mehr leisten“, stellt Freda zu seiner Freude fest.

Das spiegelt sich auch in den Quartalszahlen wider, die Estee Lauder am Mittwoch veröffentlicht hat: Der Umsatz stieg fast zweistellig auf 2,9 Milliarden Dollar. Im vergangenen Geschäftsjahr hat das New Yorker Traditionsunternehmen mehr als elf Milliarden Dollar umgesetzt. Der Aktienkurs von Estee Lauder hat sich innerhalb von zehn Jahren vervierfacht.

„Ein Mädchen hat heute an einem Tag mehr Fotos von sich als ihre Mutter in ihrem Alter in einem Jahr hatte“, beschreibt er die Welt, in der er sich bewegt. Die jungen Frauen von heute wollten nicht in sechs Monaten sexy sein, wenn die Creme ihr Hautbild verbessert hat. „Sie wollen jetzt und sofort sexy sein“. In Produkten übersetzt heißt das: Sie müssen sofort wirken. Also mehr Make-Up, um Schwächen zu vertuschen als langfristige Hautpflege.

„Aussehen spielt heute eine absolut zentrale Rolle“, beobachtet auch die Fondmanagerin Scilla Huang Sun vom Julius Bär Luxury Brands Fund. Vor allem die jungen Menschen kauften viel Kosmetik, weil das ein erschwinglicher Luxus sei. Der Boom ist nach Ansicht der Luxus-Expertin noch nicht vorbei. „Es ist ein struktureller Trend, der noch anhalten wird“, ist die Sun überzeugt.

Vor allem in den USA und Großbritannien, aber auch in Deutschland und Frankreich wächst der Markt rasant. Welche Produkte besonders gut gehen, das bestimmen auch die sogenannten Filter, die die Menschen für ihre Bilder auf der Foto-Plattform Instagram benutzen, beobachtet Hannah Symons, Beauty and Personal Care Analyst von Euromonitor. „Die Filter heben starke Farben besonders hervor. Deshalb sind Lippenstifte und buschige Augenbrauen derzeit so angesagt“, erklärt Symons.

Lippenstifte waren im letzten Jahrzehnt eigentlich etwas aus der Mode gekommen. Stattdessen trugen Frauen wenn überhaupt eher Lip-Gloss, der die Lippen in natürlicheren Farben glänzen ließ. Jetzt sind Lippenstifte wieder in, weil sie gut auf Instagram-Bildern wirken. Allein der Markt für Lippenstifte ist innerhalb von fünf Jahren weltweit um 42 Prozent gestiegen.


Millennials beraten Firmenchefs

Dabei wächst das teurere Premium-Segment in allen Altersklassen. Von dem neuen Trend profitieren nicht nur die Großen wie Estee Lauder oder L’Oreal, sondern dank der sozialen Medien auch die Nischenhersteller, stellt Symons fest. Dank des Internets können auch kleine Hersteller ein globales Publikum erreichen. So haben es dank der Online-Schmink-Tutorials Marken wie Anastasia Beverly oder Charlotte Tillbury ebenso geschafft wie Too Faced und Becca, die beide von Estee Lauder gekauft wurden. Becca ist vor allem dank der Kooperation mit Youtuberin Jaclin Hill groß geworden.

„Wir sehen sehr viel Übernahme-Aktivitäten und es sind vor allem große Hersteller, die kleine Nischenhersteller für viel Geld kaufen“, beobachtet die Analystin Symons. Für Too Faced etwa hat Estee Lauder 1,45 Milliarden Dollar ausgegeben. „Die Akquisition der Marke Too Faced durch Estée Lauder war nicht billig, aber die Marke ist zurzeit ‚on fire‘, und daher war es eine gute Akquisition, also eine gute Geldanlage“, ist die Fondsmanagerin Sun überzeugt. Das gleiche gelte für die Übernahmen von NYX durch L’Oréal für geschätzt 500 Millionen Dollar.

Welche Rolle die Schmink-Hilfen im Internet im Kosmetik-Markt spielt, zeigt eine Umfrage von Euromonitor: Darin gaben 21 Prozent der Generation Z – also der 15 bis Anfang-20-Jährigen an, dass Blogs und Online-Tutorials ihre Einkäufe stark beeinflussen. Bei den etwas älteren Millennials, geboren 1980 bis 1999, waren es immerhin 18 Prozent. Und bei den Babyboomern, der geburtenstarken Generation nach dem Zweiten Weltkrieg, waren es nur zehn Prozent.

Auch die Werbung hat sich komplett verändert: Einfach nur berühmte Schauspieler oder Sänger zu nehmen, funktioniert bei der neuen Generation nicht mehr – außer die VIPs haben selbst eine starke Präsenz in den sozialen Medien. „Dann ist es so, als würde ein Freund etwas empfehlen“, erklärt Symons den Trick. Die jungen Kunden wollen Menschen, die authentisch herüberkommen: morgens ungeschminkt mit Augenringen vor dem Spiegel und dann – dank Make-Up und Augenbrauenstift – ein Star.

Dabei lassen sich die sogenannten „Influencer“ im Netz, die mit ihren Tipps Millionen bewegen, nicht mehr so leicht kontrollieren: Man kann die Schmink-Tutoren nicht mehr so leicht kaufen, wie noch vor ein paar Jahren. Sie müssen mittlerweile ihre Sponsoren angeben, bemerkt die Euromonitor-Analystin Symons.

Auch Estee-Lauder Chef Freda weiß, wie wichtig die neuen Medien für sein Geschäft sind. „Ich habe für mich und meine Manager Millenials als Mentoren eingestellt, die uns auf dem laufenden halten“, erzählt er. Die junge Dame, die für ihn zuständig ist, schreibt ihm nicht nur jeden Tag eine Mail über die neuesten Trends ihrer Generation. „Sie kommt auch in unsere Meetings mit, wo die wichtigen Entscheidungen gefällt werden“, sagt der Freda. Auch L‘Oreal reagiert auf den Trend im Internet und hat einen Head of Digital auf Stufe Geschäftsleitung ernannt.

So sehr er auch den Umsatz treibt; der digitale Make-Up-Boom hat auch seine Kehrseite: Das Netz kann Marken innerhalb kürzester Zeit in den digitalen Olymp schießen, sie aber genau so schnell wieder fallen lassen. „Ein Lippenstift, der heute in ist, kann morgen out sein“, erklärt Fondsmanagerin Sun. Deshalb ist es für Kosmetikfirmen sinnvoll, ein Portfolio von Marken zu besitzen, um die Abhängigkeit von einzelnen Marken zu umgehen. Akquisitionen von kleineren Marken wie „Too Faced“ durch Estee Lauder oder NYX durch L’Oréal mache daher durchaus Sinn. (Fast) egal wie teuer.

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