Kostenlose Wein-Apps Das Smartphone als Sommelier

Wein trinken: gerne; Wein aussuchen: lieber nicht. Viele Menschen sind überfordert, sobald es um die passende Flasche geht. Dabei kann das Smartphone helfen.

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Quelle: Fotolia

Eigentlich weiß keiner so recht warum, doch Weinwissen gilt vielerorts als prestigeträchtig. Wer sich auskennt, erscheint niveauvoll. Wer Merlot von Cabernet unterscheiden kann, gilt als kultiviert und schlau. Kein Wunder, dass Weinseminare oft so gut besucht sind. Aber was, wenn man ohne große Mühe mit Weinwissen glänzen möchte?

Das Etikett ist für die meisten Laien erstmal keine Hilfe; laut diesem ist jeder Wein ein Spitzenprodukt. Und die meisten Deutschen kaufen Wein an Orten, wo sie vor dem Kauf nicht probieren können: Mehr als 70 Prozent der Weine gehen hierzulande in Supermärkten und Discountern über die Kasse. So erfahren viele erst zu Hause, ob sie Entdeckung oder Enttäuschung kaltgestellt haben.

Kostenlose Wein-Apps

Nun machen Start-Ups das Smartphone zum digitalen Sommelier: Wein-Apps sollen Weintrinkern zur richtigen Flasche verhelfen. „Beim Wein kann ich die Qualität erst während des Konsums feststellen. Wein-Apps können diese Verunsicherung vor dem Kauf reduzieren“, sagt Erik Schweickert, Weinwirtschafts-Professor an der Hochschule Geisenheim University. „Das ist gerade ein großes Thema mit vielen Start-Ups und Risikokapital im Markt. Viele arbeiten an Apps, die Wein-Informationen passend zum Profil des Nutzers bereitstellen“, so der Wissenschaftler.

Weinvorschlag zum Abendessen

Die App „Winemeister“ beispielsweise hat über 2000 Supermarkt-Weine in ihrer Datenbank. Die Nutzer geben Budget und Anlass an und bekommen daraufhin Weinvorschläge. So nennt das Programm vermeintlich passende Weine für das erste Date oder darauf aufbauend Empfehlungen zum Liebeskummer. Oder wer etwas Passendes sucht, um jemandem zu ärgern, erfährt, dass der nächstgelegene Rewe einen extrem tanninhaltigen Merlot im Angebot hat. Die Weine sind von drei Sommeliers und der Nutzercommunity bewertet.

Die App „Wine Stein Smart Sommelier“ orientiert sich hingegen an der Küche ihrer Nutzer. Hobbyköche kombinieren aus Zutaten ein Gericht und bekommen die passenden Weine angezeigt. Das Programm ist zwar auf Englisch, doch die Speisenauswahl reicht über Klöße und Spätzle (zu denen die App im Übrigen einen Silvaner nahelegt).

Wo die Deutschen ihren Wein kaufen

Aus Sicht von Weinprofis haben die digitalen Empfehlungen jedoch ihre Grenzen. „Für eine erste Orientierung sind solche Apps ganz nützlich. Doch die Ratschläge sind häufig sehr pauschal - dabei gibt es Riesenunterschiede je nach Küche und Wein“, sagt der Peer Holm, Vizepräsident der deutschen Sommelier Union. So schlagen die Programme beispielsweise zum Wiener Schnitzel einen Grünen Veltliner vor, obwohl die Geschmackserlebnisse hier absolut verschieden sein können – zum Beispiel je nachdem, wie jung oder gereift der Wein ist. Der Sommelier hält das persönliche Gespräch in der Weinberatung für unverzichtbar: „Es ist ohnehin schwierig, Sinneseindrücke zu beschreiben. Im direkten Austausch können Weine viel differenzierter dargestellt und empfohlen werden.“

Weintrinker können ihr Smartphone auch als mobile Weinschule benutzen. So enthält die App „Weine & Rebsorten“ Informationen zu Rebsorten, typischen Aromen, Anbaugebieten oder Kombinationstipps von Essen und Wein – das Programm funktioniert als Nachschlagewerk für unterwegs.  Mit der App „Weintrainer“ können Nutzer ihr Wissen testen.  Auf virtuellen Karteikarten wird zum Beispiel gefragt, welche Rebsorten typisch im Rioja sind, wie lange ein Weißburgunder gelagert werden sollte oder welche Aromen kennzeichnend für Merlot sind.

 

"Die selbst angetrunkene Erfahrung entscheidet"

„Unterwegs oder im Freundeskreis kann man mit solchen Apps bestimmt ein bisschen beeindrucken – weil man plötzlich Dinge über einen Wein weiß. Doch Weinexpertise ist schließlich mehr als die Fakten, die jeder nachschlagen kann“, sagt der Sommelier Holm. Wer Weinexperte werden will, komme um regelmäßiges Trinken nicht durch Apps herum.

In Weingeschäften oder beim Winzer gäbe es fast immer die Möglichkeit, einen Wein vorab zu kosten. „Man braucht kein Fachwissen, um den richtigen Wein auszuwählen. Man sollte einfach unvoreingenommen probieren und sobald ein Wein schmeckt, empfehle ich einfach, sich ein paar Fakten wie Rebsorte, Hersteller oder Herkunft zu merken und sich daran beim nächsten Mal orientieren. Die selbst angetrunkene Erfahrung entscheidet“, so der Profi.

 

Der Klimawandel verändert den Weinanbau
Bei vier Grad Erwärmung lägen die Bedingungen der Champagne in England.
An der Südküste Australiens würde die Weinqualität leiden.
Auch in den USA würden sich die idealen Anbaugebiete verlagern.
Und in Neuseeland würde es für Weinanbau im Norden zu heiß.

Doch viele Weintrinker haben hier ein Problem: Je mehr Weine in einer Hobbykarriere probiert werden, desto schwieriger wird es, sich an bestimmte Gläser zu erinnern. Doch auch hier gibt es mittlerweile digitale Hilfe. In speziellen Apps, wie zum Beispeil dem kostenlosen Programm „Wine Notes“, können Weine und Geschmackseindrücke verewigt werden. Zur möglichst genauen Differenzierung gibt es Aromen und Anregungen zur Auswahl. Die Nutzer können sich damit bereits geleerte Flaschen ins Gedächtnis oder vielmehr den Gaumen rufen oder nach bestimmten Geschmacksrichtung suchen, wie zum Beispiel: Zeige alle von mir probierten Weine mit Cassis-Aroma.

Instagram für Weinliebhaber

Deutlich geselliger geht es derweil in der App „Delectable“ zu: Das Programm erscheitn wie Instagram für Weinliebhaber. Die Weinszene ist hier auf Basis der Facebookprofile oder mit separaten Accounts vernetzt. Die Nutzer fotografieren ihre probierten Flaschen und geben dazu ihr Geschmacksurteil ab. Auf der persönlichen Startseite werden dann die Trinkfreuden oder -enttäuschungen der Freunde präsentiert – ein Netz an Probennotizen und Weinempfehlungen.

Wem das noch nicht zu viel der Fachsimpelei ist, für den gibt es professionelle Apps wie das Kellermanagement-Programm „Vinfox Cave“. Es ist eine schmucklos, aber detailverliebt aufgebaute Datenbank, mit der Weinsammler ihren Schatz verwalten können. Sie können damit ihre gelagerten, bestellten und getrunkenen Weine einschließlich vieler Merkmale erfassen, um sie anschließend nach Regionen, Sorten, Wert oder Probennotizen zu sortieren. Dazu reichert die App die Trinkströme mit Informationen aus dem Internet – zum Beispiel der Standort eines Weinguts. Fraglich nur, welcher Weintrinker die Kellerabgänge derart gewissenhaft erfasst – insbesondere ab der zweiten Flasche.

Solche Profi-Apps sind laut Marketingexperte Schweickert nur für eine kleine Gruppe relevant. „Die wenigsten Weintrinker wollen sich derart intensiv mit dem Thema beschäftigen. Das meiste Potenzial haben daher Apps für die Mehrheit der Weintrinker. Und das sind die, die während der Kaufentscheidung relevante Informationen brauchen“. Schweickert erwartet deshalb, dass in Zukunft gerade der Lebensmitteleinzelhandel mit Wein-Apps arbeiten wird – auf Basis von Algorithmen und angegebene Konsumpräferenzen.

Doch es gibt derweil auch Wein-Apps, die völlig simpel funktionieren. Das Programm „When Wine tastes best“ basiert auf dem biodynamischen Maria-Thun-Kalender. Viele demeter-Winzer orientieren sich nach diesem Plan, der zum Beispiel die Mondphasen in die Landwirtschaft  integriert. Laut Maria Thun gibt es bestimmte Zeitphasen, in denen der Wein besser schmeckt. Das Smartphone bestimmt, ob es gerade ein guter Zeitpunkt ist, eine Flasche Wein aufzuziehen.

Gesellschaftliche Konventionen bleiben hierbei außen vor: So ist laut biodynamischen Prinzipien die optimale Trinksituation manchmal eben an einem Vormittag – zum Wohl!

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