Landwirtschaft Die Schuldfrage im Kampf um die Milch

Seite 4/4

Ist das Konsumverhalten der Verbraucher schuld?

Die Verbraucher
Konsumenten diskutieren schon seit einigen Tagen lebhaft in den sozialen Netzwerken. Viele sehen die Schuld bei den Landwirten. Andere fordern dazu auf, freiwillig zur teureren Milch zu greifen.

Zu Beginn des Jahres hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V. die Wahrnehmung und das Ansehen der deutschen Milchwirtschaft in den Augen der deutschen Verbraucher untersuchen lassen. Für nahezu jeden Deutschen (98 Prozent) gehören Milchprodukte zur täglichen Ernährung. Lediglich 44 Prozent wussten zum Zeitpunkt der Befragung allerdings, wie viel ein Liter dieses für sie so wichtigen Grundnahrungsmittels kostet. Obwohl mehr als die Hälfte aller Befragten in letzter Zeit Presseberichte über die Milchwirtschaft in Europa und in Deutschland wahrgenommen hat, sogar 81 Prozent von den Protesten der Milchbauern gehört oder gelesen haben und zwei Drittel wissen, dass diese Proteste mit sinkenden Milchpreisen zu tun haben, weiß nur ein Viertel aller Deutschen korrekt, in welcher Cent-Spanne derzeit der Milchauszahlungspreis in Deutschland liegt.

Groß ist auch die Skepsis gegenüber den Molkereien. Fast drei Viertel der Befragten haben Zweifel daran, dass die Milchindustrie aufrichtig kommuniziert, wenn es um die Begründung der aktuell niedrigen Milchauszahlungspreise für die Bauern geht. Die Begründung der Molkereien, dass der aktuelle Preisverfall durch „massive, nicht vorhersehbare Einbrüche des Weltmarkts“ verursacht sei, halten nur 23 Prozent für glaubwürdig; 73 Prozent dagegen für unglaubwürdig.

Die Situation sei allerdings weitaus komplizierter, als die meisten Verbraucher wüssten, betont Agrarökonom Alfons Balmann. Viele Bauern, die mit Aussicht auf einen steigenden Milchpreis Investitionen getätigt, und Kredite aufgenommen haben, hätten nun ein Liquiditätsproblem. Mit dem Gesetz der Marktbereinigung, nach dem nur der effizient wirtschaftende Betrieb überlebt, habe das nichts mehr zu tun: „Wir haben momentan eine Extremsituation. Hier sollten Lösungen gefunden werden, damit Betriebe, die dem strukturellen Wandel eigentlich standhalten würden, jetzt nicht scheitern. Nur weil sie kurzfristig ihre Kredite nicht zahlen können“.

Die Schuldfrage sollte nach Meinung des Ökonomen keine Rolle spielen. Es sei schlicht nicht der eine Schuldige auszumachen. Nur der Lösungsansatz ist für Balmann klar: „Das, was die Politik jetzt diskutiert, hat lediglich eine Alibi-Funktion.“ Dabei werde die enorme Macht des Einzelhandels unterschätzt.

„Man muss sich die Frage stellen, inwieweit der Handel nicht auch im eigenen Interesse ein Stück weit gesellschaftliche Verantwortung übernehmen muss.“ Zum einen um sich auch zukünftig die Belieferung mit hochwertigen und sicheren Milchprodukten zu sichern. Zum anderen, weil der Einzelhandel auch sonst enorm auf seinen guten Ruf achte, argumentiert Balmann. „Aldi etwa hat trotz aller Härte in Preisverhandlungen bei den Lieferanten einen extrem guten Ruf als verlässlicher Marktpartner, ebenso wie bei den Verbrauchern“.

Eine Lösung gäbe es nur, wenn Handel, Molkereien und Landwirtschaft zusammenarbeiten. Sonst, fürchtet der Agrarökonom, könnte ein irreparabler Schaden für die Milchwirtschaft entstehen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%