Landwirtschaft Langfristig wird der Milchpreis steigen

Der sinkende Milchpreis trifft nicht alle produzierenden Bauern in gleicher Weise. Steigende Nachfrage aus dem Ausland dürfte außerdem schon bald die Einnahmen wieder steigen lassen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Milchkuh. Quelle: Getty Images

Alle paar Jahre im Mai wiederholt sich ein Schauspiel, dessen Drehbuch so vorhersehbar ist wie das der Passionsspiele in Oberammergau. Erster Akt, Auftritt des Bösewichts: „Discounter senken die Milchpreise auf Rekordniveau.“ Zweiter Akt, dramatische Folge: „Milchbauern in ihrer Existenz bedroht.“ Dritter Akt, Katastrophe: „Das große Höfesterben setzt sich fort.“ Was die mitfühlenden Zuschauer dann meist nur noch am Rande mitbekommen, nennt sich in diesem Jahr „Milchgipfel“, findet am Montag in Berlin statt und bedeutet: Es gibt für die Bauern Geld vom Staat.

Diesmal sollen die deutschen Milchbauern sollen Soforthilfen von mindestens 100 Millionen Euro bekommen. Über die genaue Höhe werde er noch Gespräche führen, sagte Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU).
Die Frage ist nur: Ist die Lage tatsächlich so ernst?

Der komplizierte Milchmarkt

Der Absturz des Milchpreises klingt besorgniserregend. 46 Cent kostet der Liter Frischmilch aktuell im Durchschnitt bei den Discountern. Bei den Bauern kommen davon zwischen 17 und 23 Cent an – selbst für abgefülltes Trinkwasser zahlen Kunden mehr.
„Die Fokussierung auf Konsummilch wird der Marktlage nicht gerecht“, sagt jedoch Andreas Gorn, Leiter des Bereichs Milchwirtschaft bei der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI). Die drastische Zahl ist zwar öffentlichkeitswirksam, sagt aber über die tatsächliche Ertragslage der Bauern nur wenig aus. Grund: Nur gut zehn Prozent der deutschen Milch gelangen zum direkten Verzehr in den Handel.

Der überwiegende Teil wird als Milchpulver ins Ausland exportiert oder weiterverarbeitet, zum Beispiel zu Käse oder Butter. Hier wird der Preis getrennt verhandelt und kann höher liegen als für Trinkmilch.
Zudem lässt der Milchpreis nur bedingt Rückschlüsse auf den Gesamtmarkt für Milcherzeugnisse zu. „Da die Milchpreise zwischen Molkereien und Discountern nur zweimal im Jahr verhandelt werden, ist der Preis ein stark nachlaufender Indikator“, so Gorn. Das heißt: Wer erfolgreiche Lobbyarbeit betreiben will, für den mag der Milchpreis im Laden ein attraktiver Indikator sein. Wer aber wissen will, wie sich die Perspektiven für die Bauern entwickeln, muss anderswo hinschauen.

Milchproduktion weitet sich aus

Um ein paar Monate in die Zukunft zu schauen, bietet sich ein Indikator an, der auf den ersten Blick herzlich wenig mit Milchwirtschaft zu tun hat: der Ölpreis. Weil große Importeure deutscher Milchprodukte wie Saudi-Arabien und Iran mit ihren Staatseinnahmen direkt vom Ölpreis abhängen, gibt es hier einen direkten Zusammenhang. Sinkt der Ölpreis, gehen auch die deutschen Milchexporte zurück. Da Öl seit Jahresbeginn mehr als 50 Prozent an Wert gewonnen hat, dürfen die Milchbauern also hoffen. „Mit ein paar Monaten Verzögerung wird sich das auf die Milchpreise auswirken“, erwartet Analyst Gorn.
Langfristig stehen die Zeichen gar auf Wachstum.

„Wenn die weltwirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen stabil bleiben, kommt es in den nächsten zehn Jahren zu einer deutlichen Ausweitung der Milchproduktion in Deutschland“, sagt Frank Offermann vom Thünen-Institut. Die bundeseigene Behörde veröffentlicht einmal im Jahr eine Projektion für die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft in der kommenden Dekade. Das „Baseline-Szenario 2025“ kommt zu einer erstaunlichen Aussage für den Bereich Milch: „Das Einkommen der Milchviehbetriebe steigt bis 2025 im Schnitt um 35 Prozent und liegt damit höher als in allen anderen Betriebsformen.“ Als Gründe für diese optimistische Aussage nennt Offermann zwei Faktoren: „Die Milchwirtschaft hat einen besonders hohen Exportanteil und profitiert am stärksten vom Nachfragewachstum in Schwellenländern und den günstigen Wechselkursen.“

Deshalb werde die Produktionsmenge in Deutschland in den kommenden Jahren um gut ein Viertel steigen, sagen Experten.
Unter den Bauern wird es dennoch Verlierer geben. So zeigt sich schon aktuell, dass der Preisverfall nicht alle Bauern in gleichem Maße trifft. „Der Abstand zwischen den Preisen für Discountmilch und Markenprodukte sowie Biomilch ist zuletzt immer größer geworden“, sagt Analyst Gorn. Entsprechend liest sich die Projektion des Thünen-Instituts. So werde es trotz Kapazitätsausweitung zu einer weiteren Konzentration der Branche kommen. Regionen, die in den vergangenen Jahren „nur unterdurchschnittlich von den hohen Preisen profitierten, werden mittelfristig ihre Bestände reduzieren“. Das treffe vor allem Mittelgebirgslagen, wo die Logistik schwieriger ist. Profitieren dürften Küstenregionen, der Niederrhein und das Voralpenland.
Und wem die Milcherlöse wegbrechen, der hat immer noch Alternativen: Allein mit erneuerbaren Energien verdienten deutsche Landwirte 2015 rund sechs Milliarden Euro.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%