Lebensmittel-Erpresser „Überdurchschnittlich intelligent, männlich, finanzielle Probleme“

Der Sicherheitsexperte Walfried O. Sauer schätzt, dass es in Deutschland jährlich 50 bis 200 Produkterpressungen gibt. Wie können sich Unternehmen schützen und wer sind die Täter?

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Eine Frau schiebt in einer Filiale des Lebensmitteldiscounters Lidl einen Einkaufswagen Quelle: dpa

Herr Sauer, ein Erpresser fordert von deutschen Supermärkten und Drogerien einen Millionenbetrag - andernfalls droht er bundesweit mit dem Vergiften von Lebensmitteln. Wie können sich Unternehmen vor solchen Erpressungen schützen?
Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. Wir schätzen die Anzahl der Produkterpressungen in Deutschland auf rund 50 bis 200 pro Jahr. Selten wird ein Fall allerdings so bekannt wie der aktuelle Erpressungsversuch mit Lebensmitteln. Denn betroffene Unternehmen scheuen die Öffentlichkeit, da das Bekanntwerden neben finanziellen Verlusten schwere Reputationsschäden nach sich ziehen kann. In einzelnen Fällen bis zum Niedergang der Marke.

Welche Unternehmen sind betroffen?
Aus Tätersicht bringt es wenig, einen unbekannten Mittelständler am Rande der Insolvenz anzugreifen. Auch solche Erpressungsversuche mag es geben, aber im Fokus der Täter stehen in der Regel finanzstarke, erfolgreiche Unternehmen mit bekannten Marken. Das zeigt auch der aktuelle Fall: Der Täter hat gezielt große Handelsketten ausgewählt, die durch ihre Bekanntheit verletzlich sind.  

Sind Handelskonzerne auf solche Krisen vorbereitet? 
Da große Unternehmen regelmäßig betroffen sind, haben die meisten im Vorfeld schon Strukturen eingerichtet, um auf derartige Angriffe zu reagieren. Viele Unternehmen sind auch versichert gegen Erpressungsattacken. Auch aus eigenem Interesse sorgen die Versicherer im Vorfeld dafür, dass die Sicherheitslage geprüft wird und Notfallpläne aufgestellt werden. Dabei kommen auch Sicherheitsexperten wie wir zum Einsatz.

Zur Person

Was geschieht hinter den Kulissen, wenn ein Erpresserschreiben eingeht?
Es wird sofort der Krisenstab alarmiert. Die erste Frage lautet dann: Ist die Bedrohung ernst zu nehmen, oder nicht? Sicherheitsberater prüfen das. In vielen Fällen entpuppen sich Drohungen zum Glück als heiße Luft. Wenn dagegen – wie jetzt – Lebensmittel bereits vergiftet wurden, ist die Gefahr natürlich deutlich höher. Dann springen alle Notfallsysteme an, Juristen, Reputationsmanager werden dazu geholt und natürlich wird die Polizei eingeschaltet. Die versucht zunächst, ein Täterprofil zu erstellen.

Wodurch unterscheiden sich Erpresser von anderen Kriminellen?
Entführer sind offen gewalttätig – schon um das Opfer unter ihre Kontrolle zu bringen. Erpresser treten dagegen weniger brutal auf und sind auch meistens nicht vorbestraft.
Die Täter sind in der Regel überdurchschnittlich intelligent, selten Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen, zu über 90 Prozent Männer und haben finanzielle Probleme. In der Regel treten bei öffentlichkeitsbekannten Produkterpressungen weitere Trittbrettfahrer auf, welche die Unternehmen und Behörden vor zusätzliche Herausforderungen stellen.

Lohnt sich Erpressung aus Sicht eines Täters?
Nein. Ich kümmere mich seit 1980 um die Abwehr von Erpressungen und Entführungen und die allermeisten Täter werden über kurz oder lang erwischt. Nach meiner Erfahrung ist die Geldübergabe der kritische Punkt, bei der die oder der Täter die Anonymität verlassen müssen und in den meisten Fällen gefasst werden. Allerdings haben die Täter in den letzten Jahren dazugelernt. Viele Erpresser nutzen Kryptowährungen wie Bitcoin als Alternative zu Bargeld.  Das macht es zwar schwieriger, auf der Spur des Erpressungsgeldes zu bleiben, aber nicht unmöglich.

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