Lebensmittelindustrie Kampf gegen die Vertrauenskrise

Gammelfleisch, Dioxin, EHEC: Nach den jüngsten Skandalen hat das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelindustrie einen Tiefpunkt erreicht, viele fühlen sich schlecht informiert. Die Lobbyverbände wollen nun mit einer millionenschweren Kampagne das angekratzte Image der Branche aufpolieren.

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Jungtiere in einem der Hähnchenställe für den Geflügelproduzenten

Die Warnungen sind nüchtern gestaltet, doch sie genügen, um den Supermarktkunden den Appetit zu verderben. So raten die Berliner Behörden von einer Schinken-Zwiebel-Mettwurst mit mikrobiellen Verunreinigungen ab, in einer Delikatess-Edelsalami wurden Salmonellen gefunden, in Fertig-Rotkohl verirrten sich bei der Herstellung kleine Glasstücke. Solche Schreckensmeldungen listet seit Mitte Oktober das Portal lebensmittelwarnung.de auf, das Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) als Meilenstein der Verbraucherinformation bewarb. Dort sollen sämtliche Warnungen der Bundesländer vor verunreinigten Lebensmitteln zusammengefasst werden. 

Verspieltes Vertrauen

Ekel und Unbehagen lösen bei den Verbrauchern aber auch Medienberichte aus, wie eine TV-Beitrag über den Geflügelhersteller Wiesenhof, den die ARD im August ausstrahlte. Zu sehen waren unter anderem Mitarbeiter einer externen Firma, wie sie Puten traten und beim Verladen verletzten. Die Bilder aus dem Geflügelhof haben dem Image von Deutschlands größtem Geflügelproduzenten massiv geschadet. Seither kämpft Wiesenhof um sein Ansehen, mit Anwälten vor Gericht und neuen, nachhaltigen Produkten im Supermarktregal. Die neueste Innovation des Unternehmens bekam vor kurzem auf der Ernährungsmesse Anuga einen Geschmacks-Award: „Privathof-Geflügel“, in Plastikboxen abgepackte Masthähnchen, die mehr Platz zum Leben hatten und langsamer aufgezogen wurden - 1.100 Gramm „geprüfte Tierschutz-Qualität“.

 Mit seinem Nachhaltigkeits-Geflügel steht Wiesenhof stellvertretend für eine Branche, die in den vergangenen Jahren viel Vertrauen der Supermarktkunden verspielt hat. Dioxin in Eiern, falsch etikettiertes Gammelfleisch, Analog-Käse, Garnelen-Imitate – die Liste der Quellen der Verunsicherung wird immer länger. Hinzu kommen Verpackungsangaben, die viele Kunden nicht verstehen, und das geht weit über die Warnungen auf dem neuen Internetportal hinaus. Die Frage 'Was ist drin' ist für viele oft nur schwer zu beantworten.

Studien belegen eklatantes Misstrauen

EU-Richtlinie: Künftig muss auf der Verpackung stehen, wieviele Kalorien, Fett und Zucker drin sind. Verbraucher können Dickmacher und Kalorienbomben im Supermarkt künftig leichter erkennen. Auf Verpackungen von Lebensmitteln und Getränken müssen ab 2014 Angaben zu Fett, Zucker, Salz, Kohlenhydraten sowie der Kaloriengehalt stehen. Quelle: dpa

  

Nur noch knapp mehr als ein Viertel der Verbraucher ging nach einer GfK-Umfrage in diesem Jahr davon aus, ihre Lebensmittel würden ausreichend kontrolliert. Und die Brandmeyer Markenberatung befand in einer aktuellen Studie: Knapp zwei Drittel der Konsumenten vertrauen den Produktangaben der Hersteller nicht mehr. Laut einer Erhebung im Auftrag des Fresenius-Instituts glauben sogar nur neun Prozent der Verbraucher den Angaben der Hersteller. 

Für die Industrie sind das alarmierende Zahlen. Sie fühlt sich ungerecht behandelt, vor allem von den Medien. „Der Tenor der Berichterstattung ist überwiegend negativ“, beklagte Werner Wolf, Präsident des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), auf der Jahrestagung seines Verbands. Mit einer groß angelegten Kommunikationsstrategie wolle man künftig gegensteuern. Zu sehen ist davon bislang nichts, denn die Lebensmittelbranche muss sich erst einmal bemühen, alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Mit dabei sind Landwirtschaft, Handel, Industrie,  Handwerk und viele weitere. Dem BLL gehören 90 Verbände, 300 Unternehmen und rund 100 Einzelmitglieder an. „Es wird eine Kommunikationsoffensive der kompletten Lebensmittelwirtschaft. Wir sind dabei, das zu organisieren“, sagt Wolf zurückhaltend. Über Inhalte wolle er noch nicht sprechen. „Das Ganze soll im November spruchreif sein.“ Die Finanzierung sei geklärt. Die Millionen können also fließen, den Erfolg einer solchen Kampagne kann niemand vorhersagen. 

Verbraucher fürchten Mogelpackungen

Vertreter der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch sähen es lieber, wenn in mehr Transparenz statt in Imagekampagnen investiert würde. Sie fordern eine klare Kennzeichnung der Lebensmittel. Martin Rückert, Sprecher der Organisation. Foodwatch: „Die Verbraucher haben das Recht, anhand der Verpackung direkt zu erkennen, was drin ist.“ Dass Verbraucher diese Informationen auch tatsächlich wollen, zeigen Ergebnise einer Fresenius-Studie, nach der mehr als die Hälfte der Supermarktkunden fürchtet, sich Mogelpackungen in den Warenkorb zu legen. Angst haben viele auch vor versteckter Gentechnik. Ein Weg zu mehr Transparenz ist die sogenannte Ampelkennzeichnung, mit der beispielsweise der Fett- und Zuckergehalt eines Produkts rot gekennzeichnet wird, wenn er vergleichweise hoch ist. In Großbritannien gibt es eine solche Ampel seit 2006, und Foodwatch erzählt gern, wie gut die Erfahrungen damit in dem Land seien.

Furcht vor der Ampel

Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode hält eine Nahrungsmittelverpackung mit einer überdimensionalen Tabelle, die die Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel verdeutlicht. Die EU hat die Ampel jedoch abgelehnt. Quelle: dpa

Dabei spielt die Organisation vor allem auf die Volksgesundheit an. Im Kampf gegen falsche Ernährung und Fettleibigkeit sei so etwas wie die Ampel der richtige Weg. Eine europaweite Einführung ist erst einmal vom Tisch, dagegen hat auch die Industrie erfolgreich gekämpft. Einige Hersteller, die hauptsächlich Süßwaren verkaufen, würden dann überdurchschnittlich benachteiligt, so die Furcht. Und Olivenöl, als gesundes Salat- und Bratöl seit Jahren gepriesen, hätte plötzlich einen roten Kreis, weil es hauptsächlich aus Fett besteht.

Anstatt der Ampel hat die EU die Ernährungswirtschaft verpflichtet, ihre Produkte mit einer einheitlichen Nährwertkennzeichnung zu versehen. Sie umfasst Angaben zum Brennwert sowie den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, immer bezogen auf 100 Gramm pro 100 Milliliter. So wie es die deutsche Industrie seit einigen Jahren größtenteils schon freiwillig macht. 

Mehr Durchblick beim Lebensmittelkauf

Für mehr Durchblick soll seit Juli auch das Portal „Lebensmittelklarheit“ sorgen, das die Verbraucherzentralen mit Aigners Unterstützung und Geld aus dem Verbraucherministerium betreiben. Dort können sich Bürger direkt beschweren, wenn sie sich von einem Produkt getäuscht fühlen. Inzwischen wird etwa die Liste an Chips, Suppen und anderen Fertigprodukten immer länger, die zwar keine „geschmacksverstärkenden Zusatzstoffe“ enthalten, dafür aber Hefeextrakt. Dieser gilt laut Gesetz nicht als Geschmacksverstärker, enthält aber genauso Salze der Glutaminsäure, die identisch sind mit dem viel gescholtenen Zusatzstoff Mononatriumglutamat. 

Damit kam die Politik der Industrie zuvor, die auch das unfair findet. Einzelne Produkte an den Pranger zu stellen sei nicht der richtige Weg, meint der BLL. Denn die Hersteller halten sich an die Gesetze – einige Produkte trotzdem öffentlich als Verbrauchertäuschung zu brandmarken, habe mit sachlicher Verbraucheraufklärung nichts zu tun. 

"Wie eine Sau durchs Dorf getrieben"

Im Ausland vertraut man deutschen Produkten noch: Knapp 30 Prozent der Lebensmittel gehen in den Export. Quelle: dapd

Nach seiner Erfahrung seien es nicht die Foodwatch-Themen, die Verbraucher bei Kundenanfragen beschäftigen, sagt Werner Wolf, Präsident des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Die Verbraucherschützer nehmen sich einzelne Produkte vor, mit denen Unternehmen ihrer Meinung nach die Kunden täuschen. Sie erfragen beim Hersteller detailliert, was enthalten ist, beispielsweise künstliche Aromen in Gewürzgurken. Und über das Portal „Abgespeist“ animiert die Organisation die Verbraucher, sich direkt beim Hersteller über Produkte zu beschweren. „Wir fühlen uns manchmal wie eine Sau durchs Dorf getrieben“, sagt Wolf. Dabei seien 85 Prozent der Verbraucher mit Qualität und Angebot im Deutschen Handel zufrieden - ebenfalls ein Ergebnis der bereits zitierten Fresenius-Studien - und die deutsche Lebensmittelindustrie eine der leistungsfähigsten der Welt.

Spitzenplatz beim Export

Knapp 30 Prozent der Lebensmittel gingen in den Export. Damit belege Deutschland in Europa einen Spitzenplatz. Im Ausland, so scheint es, vertraut man den Produkten aus Deutschland noch. Wolf betont: „Wir haben nichts zu verstecken.“  

Die Verbraucher scheinen da anderer Meinung zu sein. Lebensmittelklarheit kann sich vor Kundenanfragen kaum retten, Ende Oktober waren es schon mehr als 3.500. Davon seien 900 in Bearbeitung gewesen, erklärte der Portal-Leiter Hartmut König. Wenige Tage nach dem Start brach das Portal wegen des Ansturms gar kurz zusammen. Über das „Abgespeist“-Portal beschweren sich bisweilen mehr als 10.000 Kunden über ein Produkt. Das zeigt: Die Nachfrage nach umfassender Aufklärung war wohl noch nie so groß wie heute.

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