Mehr als 1000 PS, bis zu 400 Kilometer pro Stunde und eine Innenausstattung aus handvernähtem Leder: Für Autofans ist der Bugatti Veyron ein Traum – zu einem Preis, der für schlaflose Nächte sorgt: 1,1 Millionen Euro kostet der Wagen. Startpreis vor Steuern, versteht sich. Bei Benedikt Lüchinger gibt es das Traumauto bereits für 9900 Euro – pro Tag.
Lüchinger ist Geschäftsführer bei Edel & Stark, einem Limousinen-Service, der in Deutschland, Frankreich und der Schweiz Edel-Karossen an seine Kunden verleiht. Die können auch durchaus eine Nummer günstiger sein als der Bugatti. „Der Preisrahmen startet bei 300 Euro am Tag inklusive 150 Kilometer und endet regulär bei 2390 Euro“, sagt Lüchinger. Ferrari, Lamborghini, Aston Martin, Bentley, Jaguar oder Rolls Royce – der Edel-Autoverleiher verspricht auf seiner Webseite ein großes Leih-Angebot für Luxus-Auto-Fans.
Die Sharing-Economy erobert den Premiumsektor. Und das in vielen Bereichen. Dutzende Luxus-Verleiher tummeln sich im deutschsprachigen Raum. Sie verleihen tageweise Edelkarossen, Yachten, Handtaschen von Louis Vuitton oder Uhren von Breitling. Und es werden immer mehr. Wer einmal richtig protzen will, kann das schon für vergleichsweise kleines Geld - zumindest für einen Tag.
Luxus-Markt vor der Billionen-Grenze
Der gesamte Luxusmarkt boomt. Nach einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Bain & Company wird mit den besonders teuren und edlen Waren weltweit mehr Geld umgesetzt als jemals zuvor: 865 Milliarden Euro waren es allein im Jahr 2014, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Noch ist der Anteil der Leih-Luxusgüter daran klein, aber erwächst.
Die umsatzstärksten Luxusgütersegmente 2014
Gesamtumsatz: 865 Milliarden Euro
Wachstum: +7% zum Vorjahr
Quelle: Bain & Companay/Fondazione Altagamma-Studie zum globalen Luxusgütermarkt 2014: "Luxury Goods Worldwide Market Study"
Luxus-Kreuzfahrten
Umsatz: 1 Milliarde Euro
Wachstum: +5% zum Vorjahr
Luxus-Yachten
Umsatz: 7 Milliarden Euro
Wachstum: +2% zum Vorjahr
Designermöbel
Umsatz: 18 Milliarden Euro
Wachstum: -1% zum Vorjahr
Privat-Jets
Umsatz: 19 Milliarden Euro
Wachstum: +9% zum Vorjahr
Luxus-Genussmittel
Umsatz: 39 Milliarden Euro
Wachstum: +2% zum Vorjahr
Luxus-Weine und -Spirituosen
Umsatz: 58 Milliarden Euro
Wachstum: +5% zum Vorjahr
Luxus-Hotellerie
Umsatz: 150 Milliarden Euro
Wachstum: +9% zum Vorjahr
Persönliche Luxusgüter
(Uhren, Schmuck, Kleidung, Schuhe und Lederwaren)
Umsatz: 223 Milliarden Euro
Wachstum: +2% zum Vorjahr
Luxusautos
Umsatz: 351 Milliarden Euro
Wachstum: +10% zum Vorjahr
Denn Luxusgüter sind nicht mehr nur für die Superreichen. Auch Menschen mit weniger prallem Geldbeutel leisten sich etwas. „Luxus hat sich in der westlichen Welt soweit demokratisiert, dass heute eigentlich jeder Zugang zu wenigstens ein bisschen Luxus hat. Und auch der Meinung ist, das Recht darauf zu haben“, sagt Martina Kühne, Trendforscherin und Luxus-Expertin am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI).
Wer kauft, ist selber schuld
Genau an diesem Punkt setzen die Luxusverleiher an. Die Anbieter machen sich dabei zunutze, dass die Menschen nach wie vor auf Luxus stehen, ihn aber für das eigene Wohlbefinden nicht mehr unbedingt selbst besitzen müssen. Car-Sharing hat es vorgemacht. „Es ist doch fast schon Unsinn, wenn ich mir ein 1000-Euro-Kleid für einen Abend kaufe, wenn ich es auch für 100 bekommen kann“, sagt Anna Mangold.
Sie hat auf dieser Philosophie ein ganzes Start-Up aufgebaut. Seit einem knappen Jahr verleiht sie mit ihrem Unternehmen Laremia im Internet und in einem Berliner Showroom Edelkleider von Kleider von angesagten Designern wie Badgley Mischka, David Meister und Monique Lhuillier.
Zehn bis zwanzig Prozent des Kaufpreises werden für ein Ausleihkleid fällig. Bei einem Kleid von Catherine Deane für 2.000 Euro Ladenpreis kommt da immer noch ganz schön was zusammen. Im Schnitt liegt der Preis für ein Abend- oder Cocktailkleid zwischen 40 und 100 Euro, bei einer Leihdauer von vier Tagen. Im Preis inbegriffen sind eine Riss- und Fleckenversicherung und die anschließende Reinigung. Wer seinen Wein verschüttet, landet also nicht automatisch im Armenhaus.
Einen mittleren vierstelligen Kundenstamm hat sich Laremia nach eigenen Angaben mittlerweile aufgebaut. Knapp 90 Prozent seien mit dem Service zufrieden, etwa 30 Prozent würden nach dem ersten Mal immer wieder Kleider leihen. Das Interesse am Leih-Luxus sei sogar noch wesentlich größer, erklärt Mangold und verweist auf 17.000 Facebook-Freunde.
Luxus für alle
Ein Edel-Kleid zum kleinen Preis, bestellt per Mausklick. Das kommt offenbar an. „Bei jüngeren, internet-affinen Menschen wächst die Bereitschaft, Dinge online zu leihen, die man nur für einen bestimmten Anlass braucht“, sagt auch Natascha Grüne vom Anbieter Dresscoded, der neben High-Fashion-Kleidern gleich noch die passenden Ketten und Armbänder anbietet. „Ältere Frauen sind skeptischer und bevorzugen oft die persönliche Beratung im Showroom, statt online zu mieten.“
Schon dieser Satz zeigt, dass es den typischen Luxus-Leiher nicht gibt. Von der Abiturientin bis zur 75-Jährigen sind alle dabei.
Wer zum Luxus-Leiher wird
Laremia-Chefin Mangold unterscheidet zwischen mehreren Typen: „Unsere Hauptkundin ist die modebewusste Frau, die viel unterwegs ist und häufig für Veranstaltungen neue, noch nicht gesehene Kleider braucht, aber nicht das Geld und die Zeit hat, sich immer ein neues zu kaufen. Für die sind wir ein unendlicher Kleiderschrank.“
Daneben gebe es aber auch diejenigen, die auf Nachhaltigkeit achten oder sich mit einem besonderen Kleid einmalig einen besonderen Wunsch erfüllen. Und es gibt die reiche Frau, die den Luxus-Verleih zum Experimentieren nutzt, dadurch neue Designer kennenlernt und sich die passsenden Kleider später wirklich kauft.
Protzen oder nur mal probieren
Leih-Luxus ist nicht nur für diejenigen, die gerne angeben. Auch zum Edel-Auto-Vermieter Edel & Stark kommen unterschiedliche Kunden. Die, die sich einen Traum erfüllen wollen, einen Gutschein verschenken oder jemandem zur Hochzeit ein Fahrzeug der Extraklasse schenken möchten.
„Das sind vor allem die Kunden, denen es um die Emotionen rund um den Sportwagen geht“, sagt Lüchinger. „Zum anderen haben wir internationale Touristen, welche sich anstatt eines ‚normalen‘ Mietfahrzeugs eine Limousine oder einen Sportwagen leisten.“
Immer mehr Anbieter drängen in den wachsenden Luxus-Markt. Denn auch die großen Autoverleiher haben das Premiumsegment längst für sich entdeckt und vermieten hochpreisige Fahrzeuge. Beim Berliner Edel-Taxi-Service Blacklane gibt es den Chauffeur gleich zur Limousine dazu.
Auch im Modebereich nimmt der Konkurrenz-Druck zu. Noch wächst der Markt offenbar organisch, das Interesse steigt durchgehend. Laremia-Chefin Mangold gibt sich deshalb betont gelassen. „Jeder neue Anbieter macht das Modell zum Leihen bekannter. Davon profitieren wir.“
Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert
Nur wenige Begriffe werden so inflationär und so unterschiedlich verwendet, wie der Luxus-Begriff. Die Vorstellung von Luxus ist nicht nur individuell unterschiedlich, sie unterliegt auch einem gesellschaftlichen Wandel. In einem idealtypischen Modell beschriebt das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut vier Phasen, die den Wandel des nachvollziehbar machen. Das Modell beschreibt einen Reifeprozess, der sich an den Lebensphasen orientiert;
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Die erste Phase der Luxusentwicklung ist geprägt durch einen großen Konsumhunger, der mit dem was angeboten wird, befriedigt wird. Das vorherrschende Prinzip: „Mehr ist Mehr“. Dies ist vor allem auf aufstrebenden Märkten zu beobachten. Hier herrschen Nachholbedarf und das Verlangen aufzusteigen. Gleichzeitig gibt es ein Defizit.
Sie setzt Solvenz voraus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbewerbsdruck. Der Traum von einem weiterem Aufstieg weicht der Angst vor einem Abstieg. Nun wird das „Mehr“ zum „Muss“. Güter mit Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Mein Haus, mein Auto, mein Diamantring.
Eine erste Luxusmüdigkeit setzt ein. Die Phase ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen. Die Erkenntnis, dass das Glücksfühl beim Erwerb eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser möglich ist, stellt sich ein. Der Luxuskonsum verschiebt sich von der Produkt- auf die Erlebnisebene.
Die Ästhetik des neuen Luxus lässt sich für die Forscher des GDI auf den Begriff der Verschlichterung bringen. Luxuskonsumenten demonstrieren bewusst den Verzicht. Die Fähigkeiten, dass Reduzierte und Essentielle leben, aber lesen zu können rückt in den Vordergrund. Nur wer über materiellen Besitz verfügt, wird sich die Fähigkeiten aneignen können, um die Codes des neuen Luxus zu entziffern.
Dass Luxusgüter zum Mieten das Interesse der breiten Masse auf sich ziehen, schmeckt nicht jedem. Vor allem denen nicht, die sich Veyron und Vuitton eigentlich auch so leisten könnten.
Denn so geht auch ein Stück Exklusivität und damit auch der Reiz der Luxusgüter verloren. „Wenn man nicht weiß, ob die Designer-Handtasche oder Luxus-Limousine des Gegenübers nun geliehen oder gekauft ist, wird es folglich immer schwieriger, den sozialen Status des Gegenübers auf einen Blick einzuschätzen und den ‚wahren‘ Luxuskunden zu erkennen“, sagt GDI-Expertin Martina Kühne.
Nach einer Studie zum Luxuskonsum hat die Forscherin deshalb bereits das Ende des Bling-Bling-Luxus ausgerufen. Um sich von der Masse abzugrenzen, wendet sich die Elite demnach einem neuen Luxus zu. „Der zeigt sich dann nicht mehr in Form einer Louis-Vuitton-Tasche, sondern ist weitgehend unsichtbar“, glaubt Kühne. An die Stelle von Prunk und Protz treten Wissen, Erlebnisse und Erfahrungen, die sich wenige leisten können.
Den Luxusverleihern ist das freilich egal. Sie verdienen daran, die Luxusgüter näher an die Masse zu bringen – und machen dabei eine interessante Entdeckung: Auch wenn der Share-Gedanke langsam im Aufwind ist, können sich zumindest die Deutschen kaum völlig vom Besitz verabschieden.
"Der Trend zur Sharing-Economy ist deutlich zu sehen, allerdings wird die Option zum Kauf noch stark nachgefragt", sagt Natascha Gruen von Dresscoded. Und auch bei Laremia verlieben sich einige Kundinnen so sehr in ein Kleid, dass die den Modeverleihern bereits getragene Stücke abkaufen wollen - zum kleinen Preis, versteht sich. Auch im Second-Hand-Handel ist Luxus ein echter Erfolg.