Geht Albert Eickhoff heute über die Düsseldorfer Königsallee, erkennt er den Luxusboulevard kaum wieder. „Vor 30 Jahren gab es noch mindestens 20 familiengeführte Einzelhandelsunternehmen an der Kö“, sagt der 78-Jährige. „Heute ist die Kö sehr stark fremdvermietet.“ Gerade am nördlichen Straßenabschnitt tummeln sich internationale Luxusmarken, wie Louis Vuitton, Gucci und Prada „Alles relativ anonym geführte Unternehmen“, kommentiert Eickhoff, der zu den renommiertesten Luxusmodehändler Deutschlands zählt. Auch er wird Ende März 2014 sein Geschäft an der Königsallee 30 schließen und es an Dior vermieten. „Es gibt Angebote im Leben, die man einfach nicht ablehnen kann“, sagt Eickhoff – ohne Details nennen zu wollen.
Das Beste oder nichts
Modekonzerne drängen deutschlandweit an die einschlägigen Luxusadressen – sei es an die Düsseldorfer Königsallee, die Münchner Maximilianstraße oder die Frankfurter Goethestraße. Der Meisterkreis, die Vereinigung der deutschen High-End-Branche, zählte 2012 in Deutschland 149 luxuriöse Monolabel-Stores. Im Vorjahr waren es noch 118. „Die Nachfrage wird nicht abnehmen“, sagt der Geschäftsführer der Düsseldorfer Immobilienberatung Comfort, Jürgen Kreutz. Denn die internationalen Luxuskonzerne, wie LVMH, Kering und Richemont, verzeichnen jährlich wachsende Gewinne und expandieren alle an die gleichen exklusiven Adressen. „Luxusmarken sind kompromisslos“, sagt Kreutz. „Es muss die Top-Lage sein oder gar nichts.“
Zwei Mietverträge für das Neubauprojekt One Goetheplaza an der Frankfurter Goethestraße sind beispielsweise immer noch nicht unterschrieben – obwohl mit Nespresso dort schon am 30. September der erste Einzelhändler eröffnet hat. Die beiden Ladenlokale liegen allerdings auch nicht zur luxuriösen Goethestraße, sondern zum Goetheplatz. Die begehrte Adresse ist mit Louis Vuitton nur einem Mieter vorenthalten.
Millionensummen sind der "Schlüssel"
Um sich bei der Konkurrenz um Ladenflächen durchzusetzen, spiele die Luxuskonzerne ihre Finanzkraft aus: Sie bieten hohe Mietzahlungen – und legen gerne noch ein sogenanntes „Key Money“, zu deutsch Schlüsselgeld, oben drauf. Wie es festgelegt wird und ob es an den Vormieter oder den Immobilienbesitzer fließt, wechselt von Fall zu Fall. Grundsätzlich gilt: Je höher die Mieten in der Umgebung steigen und je länger der Vertrag des Vormieters noch läuft, desto höher ist auch die Ablösesumme. Die Logik: Wer jemanden in begehrter Lage früh aus seinem Vertrag zu alten, günstigen Konditionen herausbewegt, muss sich das auch was kosten lassen.
Der Zürcher Immobilienexperte Marc-Christian Riebe vergleicht die Schlüsselgelder mit Transaktionen beim Fußball: „Wenn Borussia Dortmund jetzt Bastian Schweinsteiger von Bayern München vorzeitig aus seinem Vertrag heraus kaufen würde, dann müssten sie dafür auch einige Millionen Ablösesumme bezahlen“, sagt der Geschäftsführer der Schweizer Immobilienberatung Location Group. Erst Ende November zahlte US-Immobilienmogul Jeff Sutton 51 Millionen Dollar an die Modemarke Juicy Couture, damit sie vorzeitig aus ihrem Ladenlokal an der New Yorker Fifth Avenue auszieht und Sutton es teurer weiter vermieten kann. So verfuhr er schon mit dem Vormieter Hugo Boss, der 25 Millionen Dollar für die vorzeitige Schließung erhielt.
Wo die Mieten am höchsten sind
Im Vergleich dazu sind die deutschen Ablösesummen moderat: So schätzt Riebe, dass bei der kürzlich abgeschlossenen Übernahme der Escada-Sport-Filiale an der Münchner Maximilianstraße durch den Outdoor-Ausstatter Stone Island ein Schlüsselgeld von zwei bis drei Millionen Euro geflossen ist. Das bisher höchste Schlüsselgeld in Deutschland spendierte Gucci 2007. Der Modekonzern legte acht Millionen Euro für das von Iris Berben und ihrem ehemaligen Lebenspartner Gabriel Lewy betriebene Café Roma an der Maximilianstraße auf den Tisch. „Das war aber nur möglich, weil die Miete für eine lange Zeit auf dem gleichen Niveau blieb“, sagt Riebe, der das Geschäft begleitete. „Das war eine einfache Rechenfrage: Wie viel können Sie mit einem Café verdienen, wie viel mit der Ablösesumme und dem neuen Mietvertrag? Frau Berben und Herr Lewy mussten nicht drei mal überlegen.“
Die Maximilianstraße ist gemeinsam mit dem Berliner Kurfürstendamm und der Düsseldorfer Königsallee das teuerste deutsche Nobelpflaster. Für ein Ladenlokal von 80 bis 120 Quadratmetern fallen hier monatlich bis zu 250 Euro pro Quadratmeter an, heißt es in einem Marktbericht der Immoblienberatung Comfort. Am Neuen Wall in Hamburg sind es 240 Euro, an der Frankfurter Goethestraße 230 Euro. Durch die hohe Nachfrage sind die Mieten an allen Luxuslagen in den vergangenen Jahren gestiegen. Den größten Mietsprung erlebte zwischen 2010 und 2012 die Goethestraße mit einem Plus von 28 Prozent.
Damit sind die Luxusstraßen jedoch nicht die teuersten deutschen Adressen für Einzelhändler. Noch mehr müssen sie auf den großen Hauptstraßen und Fußgängerzonen der Innenstädte zahlen, wo sich die Massen bewegen. So ist Deutschlands teuerste Einkaufsstraße die Münchner Kaufingerstraße mit monatlich bis zu 350 Euro je Quadratmeter. Norbert Steinke, Chef der Münchner Modemarke Hallhuber, sieht keinen Nachteil darin, dass weniger Laufpublikum seinen Weg zu den Nobeladressen findet. Seine Firma ist gerne an beiden Lagen vertreten. „Ich sage immer, wir bewegen uns zwischen Zara und Prada“, so Steinke. „Die Fußgängerzonen haben zwar eine höhere Passantenfrequenz, dafür geben die Kunden auf den Luxusstraßen aber mehr aus.“
Auf diese kaufkräftige Kundschaft haben es die Luxusunternehmen abgesehen. Gerade betuchte Touristen aus Russland, China oder dem Nahen Osten treiben dort das Geschäft an. „Wir machen 75 Prozent unseres Umsatzes im Ausland“, sagt etwa Dirk Reichert, Chef der Premiummodemarke Laurèl. „Unsere Kunden aus China, den USA oder Japan treffen wir in Deutschland auf Straßen, wie der Königsallee an.“
Wie man gegen die Konkurrenz ankommt
In Düsseldorf bezieht sein Unternehmen demnächst eine Filiale im Kö-Bogen, einem Großbauprojekt von US-Architekt Daniel Libeskind am Nordende der Königsallee. Der Projektentwickler „Die Developer“ schafft damit etwas seltenes an Deutschlands Luxusmeilen: Gleich 20.000 Quadratmeter an neuer Einzelhandelsfläche. Um das zu ermöglichen, musste Düsseldorf erst mit einer 780 Millionen Euro teuren U-Bahn-Linie und einem Autotunnel von 51,6 Millionen Euro für neues Bauland sorgen.
Ein solches Vorhaben ist jedoch nicht an jeder deutschen Luxusmeile möglich - schließlich braucht es dafür Raum und Geld. Somit war der Kö-Bogen ein Segen für das Stuttgarter Nobelkaufhaus Breuninger, das dort bereits im Oktober auf 15.000 Quadratmetern seinen elften deutschen Standort eröffnet hat. „Wir wollen auch nach Hamburg, Frankfurt und München expandieren, sofern wir dort geeignete Flächen finden“, sagt Breuninger-Sprecher Christian Witt. Denn das schwäbische Unternehmen braucht außer einer guten Lage, auch ausreichend Platz: Das Düsseldorfer Haus beherbergt etwa eine 25.000 Paar große Schuhabteilung, ein Maßatelier, eine Dependance des Sylter Edelrestaurants Sansibar und mischt bekannte Marken, die teils schon an der Königsallee vertreten sind, mit neuen Designern. So versucht es, sich im Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel abzuheben.
All das können kleine familiengeführte Geschäfte meist nicht bieten – und unterliegen an den Luxusmeilen der Konkurrenz internationaler Modekonzerne. Diese haben etwa am Neuen Wall in Hamburg die traditionellen Möbelgeschäfte fast verdrängt. Ein solcher Identitätsverlust wird Immobilienexperte Marc-Christian Riebe zufolge alle Nobeladressen ereilen: „Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche“, sagt Riebe.
Mit Albert Eickhoffs Geschäftsaufgabe in Düsseldorf geht nun eine Mode-Ära zu Ende. Als Erster holte er Marken, wie Versace, Cavalli und Prada nach Deutschland und stellte die Kollektionen nach seiner Handschrift zusammen. Das wird ihm und den beiden offiziellen Geschäftsführern, seiner Tochter Susanne und ihrem Mann Stefan Asbrand-Eickhoff, immer schwerer gemacht. Marken, wie Jimmy Choo, Miu Miu und Gucci, kündigen den Eickhoffs zunehmend die Zusammenarbeit und eröffnen ringsherum ihre eigenen Geschäfte.
Die verbliebenen Marken machen teils strenge Vorgaben für das Privileg, sie im Sortiment haben zu dürfen. „Sie bestimmen, welche Tasche wir ordern und wie viele“, sagt Albert Eickhoff. Die Luxuskunden müssen auf ihren Einkaufsstraßen künftig wohl auf einen Luxus verzichten: Individualität.