Marc Cain Chinesinnen stehen auf schwäbischen Schick

Verkehrte Textilwelt: Das schwäbische Unternehmen Marc Cain produziert Damenmode in Deutschland und exportiert sie nach China. Wie kann das funktionieren?

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Helmut Schlotterer Quelle: Peter Rigaud - PR

Helmut Schlotterer betrachtet das Rückenteil eines zukünftigen Kleides, das aus der Strickmaschine fällt. "Das angestrickte Stück, das interne Informationen zu Fertigungsnummer, Farbe und Größe enthält, könnte ein bisschen schmaler sein", merkt er gegenüber dem Maschinenführer an und zeigt ihm das Stück, das nach der Weiterverarbeitung eh weggeworfen wird. "So lassen sich noch ein paar Meter Garn einsparen", sagt Schlotterer.

Der 66-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer von Marc Cain im schwäbischen Bodelshausen nahe Tübingen, einem der zurzeit erfolgreichsten Hersteller für gehobene Damenmode in Deutschland. Ausgerechnet am Fuße der Schwäbischen Alb, wo die Textilindustrie seit Ende der Sechzigerjahre vom Untergang gezeichnet ist, produziert Schlotterer seine Damenkollektion.

Arbeiteten Ende der Sechzigerjahre noch knapp eine Million Mitarbeiter in rund 10.000 Textilbetrieben in Deutschland, sind es heute nur noch rund 120.000 Menschen in 1200 Betrieben. Während die meisten Modelabel billig in China oder Bangladesch nähen lassen, macht Schlotterer das Gegenteil: Er exportiert seine Kleidung made in Europe erfolgreich nach Asien.

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Käufer achten zunehmend auf heimische Produktion

Skandale um brennende oder einstürzende Textilfabriken muss er so nicht fürchten und profitiert davon, dass mehr Käufer auf heimische Produktion achten. Seine Garne, Jerseys und Gewebe kommen aus Italien, gestrickt, veredelt und bedruckt wird in Bodelshausen, zusammengenäht in Rumänien und Ungarn. 800 Mitarbeiter beschäftigt Schlotterer in Deutschland und erzielte operative Gewinnmargen von mehr als 20 Prozent 2012. Den Umsatz hat er in den vergangenen zehn Jahren auf zuletzt 223 Millionen Euro fast vervierfacht. Möglich macht’s trotz höherer Löhne eine Mischung aus neuester Technik, hoch effizienter Produktion und Rundum-Designorientierung im Unternehmen bis hin zur Kantineneinrichtung.

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Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
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Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Nach einem Textiltechnikstudium in Reutlingen, einem Jahr als Hospitant in der Pariser Modeszene und BWL-Studium in München machte sich der damals 25-Jährige 1972 mit einem Ford Combi mit Luftmatratze auf den Weg nach Italien. In Carpi, einem kleinen Ort bei Bologna, entwickelte und produzierte er seine erste Strickkollektion zusammen mit italienischen Partnern. Nur seinen Nachnamen konnte er für die Kollektionen nicht gebrauchen. Schlotterer GmbH – das hätte zu sehr nach Provinz geklungen.

Spagat zwischen Italien und schwäbischer Provinz

Der Name seines befreundeten frankokanadischen Branchenkollegen Marc Cain klang internationaler, modischer und professioneller. So taufte Schlotterer sein Unternehmen bei der Gründung 1973 kurzerhand mit dessen Erlaubnis Marc Cain. In seine Heimat auf die Schwäbische Alb wollte er eigentlich nie zurück. Er sah den Niedergang der Textilindustrie voraus. Doch als der kleinen Strickfabrik seines Vaters 1976 die Pleite drohte, entschied er sich, seine Mode neben seiner italienischen Produktion zunächst auch als Lohnbetrieb in Bodelshausen zu produzieren.

Der Spagat zwischen Italien und schwäbischer Provinz gelang. Mit den ersten elektrischen Maschinen produzierte er neueste Muster und Farben und verschaffte sich einen Wettbewerbsvorsprung. Beeinflusst von italienischer Mode und Architektur, eröffnete Schlotterer im biederen Deutschland 1983 seinen ersten deutschen Showroom aus Glas, Stahl und Beton.

Zwar muss Schlotterer für die deutsche Produktion höhere Löhne zahlen als in Asien. Dafür laufen seine Maschinen in Bodelshausen im Dreischichtbetrieb 24 Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Von seinen Mitarbeitern erwartet Schlotterer Flexibilität: "Das ist wichtig für uns, starre Modelle wären schwierig." Das bringt ihm schon mal die Kritik der IG Metall ein.

Mode Made in Germany

"In Hochzeiten müssen einige Mitarbeiter zwölf Stunden ohne Pause ran", sagt ein Gewerkschafter. Das bestreitet Schlotterer: Zwar würden Überstunden aufgebaut und anschließend wieder abgebaut, aber im Rahmen der geltenden Gesetze. Auch im Krankheitsfall soll Schlotterer genau nachhaken, was dem Mitarbeiter denn fehle. Schlotterer bestreitet das nicht. Das Gespräch diene ausschließlich dem Wohl der Mitarbeiter. Einen Betriebsrat gibt es bei Marc Cain nicht.

Neben den langen Laufzeiten der Maschinen befeuert neueste Technik Schlotterers Erfolg. Nur so könne er immer einen Schritt voraus sein und die beste Qualität anbieten, sagt der Chef. Für die nächste Kollektion sollen in Bodelshausen bereits Maschinen zum Einsatz kommen, die die Kleidungsstücke in einem Stück stricken. Dann kann Schlotterer sich ein komplettes Made in Germany ins Etikett nähen.

Chinesen lieben die hohe Qualität

Gerade im Ausland kommt die deutsche Qualitätsarbeit an. Russen und Chinesen kauften in den vergangenen Saisons jährlich mehr als 30 Prozent als zuvor. "Bemerkenswert ist die konsequent betriebene internationale Expansion des Labels. Die Chinesen lieben und achten den hohen Qualitätsstandard der Kollektionen", lobt Wolf Jochen Schulte-Hillen, Chef der Münsterländer Unternehmensberatung SHSelection. 3,6 Millionen Teile fertigt Marc Cain pro Jahr und setzt seine zwei Linien Marc Cain Collections und Marc Cain Sports in 58 Ländern, 156 Marc-Cain-Läden und 258 Shop-in-Shops. Für 2013 erwartet Schlotterer acht bis zehn Prozent mehr Umsatz, zuvörderst aus China und Russland. Mit Preisen zwischen 90 Euro und 400 Euro für Pullover und bis 500 Euro für Blazer liegt Marc Cain im sogenannten Premiumbereich unterhalb des Luxuslevels.

Die komfortable Finanzlage ermöglichte es Schlotterer, ohne Bankkredite aus laufenden Einnahmen 60 Millionen Euro in ein futuristisches Produktions- und Verwaltungsgebäude zu stecken. "Mode braucht eine hübsche Verpackung", sagt der gesprächige Schwabe, dessen Kleidungsstil von seinen Modeerfahrungen in Italien zeugt. Der Glasbau in Bodelshausen wirkt denn auch eher wie ein Luxushotel denn eine Fabrik. Weiße Designerstühle zieren die Kantine, in der Schlotterer selbst regelmäßig isst. Auch die Fabrik ist ganz in Weiß gehalten.

Auch die Inneneinrichtung ist selbst designt

Für weitere 23 Millionen Euro baut Schlotterer jetzt ein neues Logistikcenter. Der üppige Cash-Flow sorgte auch dafür, dass er seinen Bruder, einst der Teilhaber, nach Differenzen ausbezahlen konnte. "Die Gewinne der vergangenen acht Jahre sind im Unternehmen geblieben", sagt er.

Der Chef behält möglichst viele Gewerke im Unternehmen. Die Inneneinrichtung seiner Läden und Showrooms wie Tische, Umkleiden und Schränke designt sein Team selbst. Auch organisiert Marc Cain die Logistik für den Online-Shop selbst, der im Startjahr 2012 rund sechs Millionen Euro Umsatz erzielte und in diesem Jahr zehn Millionen erreichen soll. Dereinst soll das Unternehmensvermögen in eine soziale Stiftung fließen. Denn Kinder hat Schlotterer mit seiner Frau, einem ehemaligen Model von Yves Saint-Laurent, nicht.

Als Nächstes überlegt er, eine Parfüm-Lizenz zu vergeben: "Die Lizenzen haben Kollegen wie Joop und Boss ordentliche Zusatzgewinne eingebracht." Eine Herrenkollektion ist aber nicht geplant: "Die mache ich erst, wenn mich der Wahnsinn befällt." Viele Konkurrenten hätten sich mit neuen Linien verhoben. Mangels eigener Herrenmode trägt Schlotterer also weiter sein Boss-Sakko.

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