Marketing "In Mathe bin ich Deko" - mehr als nur ein Witz?

Eine Entrüstung jagt die andere: Ob „Sklavenarmbänder“ bei Mango oder ein Mädchen-T-Shirt mit der Aufschrift „In Mathe bin ich Deko“ bei Otto. Immer öfter hebt die Öffentlichkeit den Zeigefinger, weil Produkte als politisch inkorrekt empfunden werden.

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Auslöser der Kritik: Das T-Shirt mit der Aufschrift

Harsche Vorwürfe: Das Versandhaus Otto diskriminiere Frauen und der Modehersteller Mango mache Geschäfte auf dem Rücken von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. So schwerwiegend diese Behauptungen sind, so trivial sind die Produkte, die dahinter stecken. Bei Otto ist es ein T-Shirt für Mädchen mit der Aufschrift „In Mathe bin ich Deko“. Am Donnerstag nahm das Unternehmen das Kleidungsstück in Österreich aus dem Sortiment, nachdem es zahlreiche Internetnutzer auf der Facebook-Seite des Unternehmens als diskriminierend und herabwürdigend für Mädchen bezeichneten. In Deutschland kam es nicht zu diesem Schritt – es war schon ausverkauft.

Einige Tage zuvor erwischte die Welle der Entrüstung den spanischen Modehersteller Mango. Am 3. März beschwerten sich französische Nutzer auf der Facebook-Seite des Unternehmens über Armbänder, die in Frankreich als „Sklavenschmuck“ vermarktet wurden. Mango „normalisiere damit tragische historische Ereignisse, die bis heute das Leben von Millionen auf dem Globus beeinflussen“, heißt es in einer Online-Petition, die bereits über 8.000 Unterstützer hat.

Aldi verkauft "Paris"-Raketen
Werbe-Patzer vor Silvester: Aldi Süd verkauft ein 105-teiliges Feuerwerks-Paket mit "7 Brilliant-Bomben-Raketen" und "fetzigen Knallfröschen" unter dem Namen "Paris". Viele Kunden sind erzürnt. Zu sehr fühlen sie sich an die zwei Terrorserien in der französischen Hauptstadt erinnert, die in diesem Jahr mehr als 140 Menschen das Leben kosteten. Der Name sei "peinlich" und "geschmacklos", heißt es in den Sozialen Netzwerken. "Das nenn ich nen Totalausfall der Marketingabteilung", schreibt ein Twitter-Nutzer. Discounter Aldi, der auch Feuerwerks-Körper mit Namen wie Kapstadt und "Palermo" im Angebot hat, erklärt den Fauxpas mit den langen Bestell- und Produktionsvorläufen. "Bitte seien Sie versichert, dass es nicht unsere Absicht war, unsere Feuerwerkskörper mit den Anschlägen von Paris in Verbindung zu bringen", antwortet der Discounter verärgerten Facebook-Nutzern. "Unsere Silvesterpakete werden bereits weit im Voraus gekauft und geplant, sodass eine Reaktion auf aktuelle Ereignisse leider nicht möglich ist."Auch andere große Unternehmen haben sich mit Werbe-Schnitzern schon den Unmut ihrer Kunden zugezogen.
Die Modekette Sinn Leffers bot ein Shirt an, auf dem ein sexistischer Spruch prangt: "Twinkle, twinkle, little whore - close your legs, they're not a door". "Blinzel, blinzel, kleine Hure - schließe deine Beine, sie sind keine Tür". Das T-Shirt stammt vom französischen Anbieter Boom Bap, der für provokante Sprüche bekannt ist. In den sozialen Netzwerken entlud sich ein Shitstorm. Mittlerweile hat das Unternehmen reagiert und sich entschuldigt. Die T-Shirts wurden aus dem Sortiment genommen. Insgesamt haben wohl 500 Shirts in 30 Filialen im Regal gelegen - auch beim Mutterunternehmen Wöhrl. Quelle: Screenshot
"Dreifarbige Sklaven-Sandalen" bot die Modekette Zara in ihrem Online-Shop an - und erntete sogleich Protest und Spott. In den sozialen Netzwerken verbreiteten sich schnell Bilder des Angebots. "Die Hakenkreuze waren wohl nicht genug", twitterte etwa Userin Ronja M. Das Unternehmen spricht von einem "Übersetzungsfehler" - worin dieser bestehen soll, wurde allerdings nicht erklärt. Zara nahm die Schuhe inzwischen aus dem Sortiment. Quelle: Screenshot
Auf den Spott musste die Modekette Mango angesichts dieses "Chiffonhemds mit Blitzmuster", wie die Bluse im Prospekt heißt, nicht lange warten. Die Frage "Wehrmacht denn sowas?" scheint nicht ganz unberechtigt, erinnern die "Blitze" doch sehr stark an die Sig-Runen des SS-Emblems. Immerhin hat Mango das Doppel-S vermieden, die Frage nach dem "totalen Look" war dennoch unvermeidlich und auch nicht ganz daneben: Mango selbst bietet auf seiner Website ein Pombipaket mit Hose und Stiefel an – beworben mit dem Spruch "Wollt ihr den Total Look".Bekannt zynisch meldete sich auch der Satiriker und Europaabgeordneter Martin Sonneborn auf Facebook zu Wort: "Wieso hat Mango dieses Modell nur für Damen – es gibt doch auch männliche Nazis…?" Quelle: Screenshot
Damit frau zu Halloween in sexy Kostüme passt, sollte sie Sandwiches der Fast-Food-Kette Subway essen. Mit diesem neuen Werbespot (hier geht es zum Video auf Youtube ) setzte sich die Sandwich-Bude gehörig in die Nesseln. Im Internet hagelt es Kritik an der Botschaft, dass Frauen dünn und aufreizend gekleidet zu sein hätten. Auch die Werbebotschaft, mit den Weißbrot-Sandwiches abnehmen zu können, sorgt für Beschwerden. Quelle: Screenshot
"Butter zum Braten von Schweizern" gibt es dank einer Übersetzungspanne bei der Schweizer Supermarktkette Migros zu kaufen. Auf ihrem Produkt „Schweizer Bratbutter“ heißt es im italienischen Untertitel „Burro per arrostire Svizzeri“. Das bedeutet: „Butter zum Braten von Schweizern“. „Das ist peinlich und unfreiwillig komisch zugleich“, sagte Migros-Sprecherin Martina Bosshard. Es handele sich um einem „blöden Übersetzungsfehler“. Das Produkt sei seit zwei Wochen auf dem Markt, seitdem sei auch der Fehler bekannt. Mitarbeiter im italienischsprachigen Kanton Tessin hätten das Missgeschick beim Auspacken bemerkt. Man habe daraufhin sofort mit der Produktion neuer Packungen begonnen. Weil das Produkt selbst aber einwandfrei sein, verkaufe man zunächst noch die Ware in der alten Verpackung ab. Quelle: Screenshot
Das Verteidigungsministerium hat eine Werbekampagne für Frauen in der Bundeswehr nach einer Panne abgebrochen. Auf der Internetseite war eine Werbung für „Zewa wisch & weg“-Haushaltstücher mit der Unterzeile aufgetaucht: „So vielfältig wie Sie: Individuelle Karrieremöglichkeiten für Frauen bei der Bundeswehr.“ Die Seite war von einer vom Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr beauftragten Werbeagentur erstellt worden. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums erklärte, dass die Kampagne bis auf weiteres gestoppt wurde. „Sollten sich erste Angaben erhärten, dass ein Programmierfehler der vom Bundesamt beauftragten Agentur Ursache für die irrtümliche Verbreitung des „Zewa-Bildes“ und die sich anschließende rufschädigende Diskussion war, behält sich das Ministerium rechtliche Schritte vor“, erklärte sie. Über den Stopp der Kampagne hatte zuerst der verteidigungspolitische Blog „Augen geradeaus!“ berichtet. Quelle: dpa

Das Modehaus hat die Schmuckstücke schon umbenannt und mit einem Übersetzungsfehler entschuldigt. Das spanische Wort "esclava" könne mit "Sklave", sowie mit "Armband" ins Französische übersetzt werden. Kritiker, wie die Organisation „SOS Racisme“, bezweifeln dies und fordern, dass der Schmuck komplett aus dem Sortiment genommen wird: „Das ist Geschäftemacherei auf dem Rücken eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit“, sagte SOS-Racisme-Chefin Cindy Leoni nach Bekanntwerden des „Skandals“ in einem Radio-Interview. Die gleiche Kritik, wie die Sklavenarmbänder von Mango, zogen vergangenen Sommer Adidas-Sneaker mit Fußfesseln auf sich. Da das vom US-amerikanischen Modedesigner Jeremy Scott gestaltete Modell zu sehr an die Sklaverei erinnere, stoppte das Unternehmen die Markteinführung.

Der Ruf nach politischer Korrektheit ist nicht neu – aber die Intensität, mit der er über soziale Netzwerke verbreitet werden kann. Jeder kann sich dort äußern, andere Meinungen kommentieren, weiter verbreiten – und eine öffentliche Debatte lostreten. So lösen zunehmend scheinbar belanglose Produkte sogenannte „Shitstorms“, also Stürme der Entrüstung, aus.

Die Hamburger Geschlechterforscherin Stevie Meriel Schmiedel kommentiert den aktuellen Hagel der Kritik gegen Otto so: „Das zeigt wieder, wie gut wir die sozialen Medien für uns nutzen können.“ Mit ihrer Initiative „Pinkstinks Germany“ hat sie mit anderen Frauenorganisationen das fragwürdige Mädchen-T-Shirt angeprangert. Die Initiative wehrt sich gegen die klassische Rollenaufteilung zwischen Frauen und Männern, die im Marketing oft durch die angebliche „Mädchenfarbe“ pink zum Ausdruck kommt. Daher ist ihre Losung „pink stinks“ (pink stinkt). Ihre Online-Petition gegen Sexismus in Außenwerbung hat bereits über 7.600 Fürsprecher gefunden.

Ernster Missstand oder lapidarer Witz?

Frau hübsch, Werbefarbe lila: Das sehen Kritiker als diskriminierend und beleidigend für Frauen. Die Initiative

„Der einfachste Weg für Unternehmen, ihre Produkte los zu werden, ist, sie auf spezielle Zielgruppen zuzuschneiden“, sagt Schmiedel. „Das führt bei Kindern dazu, dass Mädchen und Jungs in eine bestimmte Richtung gedrängt werden.“ Auch das Otto-T-Shirt trage zu dieser Rollenverteilung bei: „Es ist ein Trend, Mädchen zu sagen, sie seien nur Deko.“ Vor allem sei ein solches T-Shirt demotivierend – nicht nur für Mädchen.

Kinder- und Jugendmarktforscher Axel Dammler plädiert stattdessen dafür den Spruch nicht allzu ernst zu nehmen und stattdessen als das wahrzunehmen, als das er gedacht war: als Witz. „Ich finde, es ist ein typisch deutsches Problem, dass wir sehr humorlos sind.“ Außerdem bezweifle er, dass die Welle der Entrüstung die mehrheitliche Meinung widerspiegelt. „Es beschweren sich einige hundert Menschen, aber die restlichen 50.000 haben sich nicht beschwert.“ Deshalb sei die Kritik nicht zu überschätzen: „Das ist eine subjektive Wahrnehmung von angeblichen Mehrheitsmeinungen, die nichts mit dem tatsächlichen Meinungsklima zu tun haben“, sagt Dammler.

Sein Kritikpunkt an der Debatte: „Es wird nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch argumentiert.“ Das unterschiedliche Marketing für Jungen und Mädchen rechtfertigt Dammler mit Evolutionspsychologie: „Manche Dinge sind uns einfach angeboren“, sagt er. So herrsche in den meisten Kulturen vor, dass Mädchen mit Puppen spielen. Damit würden sie sich unbewusst auf ihre künftige Rolle als Mutter vorbereiten. „Frauen haben nun mal ein anderes Sozialverhalten in die Wiege gelegt bekommen als Männer.“

Gleichwohl räumt er ein, dass die Rollenverteilung auch gesellschaftlich geprägt ist – was sich etwa in der Mädchen zugewiesenen Farbe pink ausdrückt. Diese angelernte Vorliebe lasse sich jedoch im Marketing dafür ausnutzen, um Mädchen für Dinge zu anzulocken, die nicht dem klassischen Rollenbild entsprechen. Als Beispiel nennt er die Lego-Version für Mädchen "Lego Friends", die ebenso Kritik auslöste : „Wenn ich Mädchen für das Bauen begeistern will, dann geht das einfacher mit einem rosa Haus als mit einem Star-Wars-Schiff.“

So viele kritische Stimmen sich auf der Facebook-Seite von Otto finden, so viele positive finden sich auch. So schlägt ein Nutzer vor: „Wie wäre es mit einem T-Shirt "Ich verstehe keinen Spaß"?“

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