Möbelklassiker Das Ende der Möbel-Kopien

Einen Design-Klassiker im Wohnzimmer für kleines Geld? Bis vor kurzem ermöglichte das britisches Recht. Nach der Gesetzesänderung hat die Repliken-Industrie schnell einen Ausweg gefunden – mit Überraschungen für Kunden.

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Ein Original: Der Lounge Chair von Charles & Ray Eames aus dem Programm des Herstellers Vitra. Quelle: Vitra

Eine Reise in die Toskana klingt zunächst verlockend. Aber weniger, wenn es eigentlich nur darum geht, sich einen Sessel anzuschauen, den man eventuell kaufen möchte. Das ist aber nötig, wer bei einem italienischen Anbieter von Kopien ikonischer Möbel wie dem Lounge Chair von Charles und Ray Eames vor dem Kauf begutachten möchte. Und bitte mit Voranmeldung. Eine Woche vorher. Viel Aufwand für ein Möbelstück.

Einfacher geht es, wie so oft, im Internet: Menschen mit dem Wunsch nach einem Designklassiker in den eigenen vier Wänden, sei es der Tisch Laccio, den Marcel Breuer entwarf oder den Freischwinger von Mies van der Rohe, aber eingeschränktem Budget unterwegs sind, werden auf entsprechenden Seiten rasch fündig. Portale bieten dort die Möbelklassiker zu einem Drittel des Preises an, den unter Umständen das örtliche Möbelhaus verlangt.

Diese Industrie hat in den vergangenen Jahrzehnten ihren Sitz in Großbritannien gehabt. Dort galt bis vor kurzem ein Gesetz, dass es Unternehmen wie Voga erlaubte, diese Stilikonen günstig produzieren zu lassen und zu vertreiben.

Herkunftsländer von Plagiaten in Europa


Seit Juli diesen Jahres gilt auch in Großbritannien, wie andernorts in der EU, dass Möbel, die die nötige Schöpfungshöhe erreichen, bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Designer geschützt sind. Das Unternehmen Vitra im Schweizerischen Birsfelden bezahlt für den Eames-Lounge Chair Lizenzgebühren an die Nachfahren des Designer-Ehepaars Charles und Ray Eames.

Das britische Unternehmen Voga, das keine Lizenzgebühren entrichtet, hat kurzerhand und ohne, dass es für den Besucher der Webseite leicht zu erkennen ist, das Procedere angepasst und ausgenutzt, dass in Irland die Gesetzeslage auch weiterhin erlaubt, solche Repliken zu vertreiben.


Wer heute den Swan Chair von Arne Jacobs die Arco Standleuchte mit Marmorfuß von Castiglioni als Version „inspired by“ erwerben möchte, kann dies tun. Und sich nach Eintreffen des gewünschten Objektes beim Verkäufer abholen. In einem Lagerhaus in Irland, 50 Kilometer südwestlich von Dublin. Betreiber des Lagerhauses ist das Logistikunternehmen DSV mit 40.000 Mitarbeitern und Sitz in Dänemark. Kunden von Voga haben in den vergangenen Wochen auch gleich DSV damit beauftragt, ihre Ware von Irland nach Deutschland zu bringen. Das ist derzeit legal. Aber zumindest umständlich. Voga selbst bietet auf seiner Webseite weder Versandservice an, noch Hinweise, wie sich das erledigen lässt.

Pflege geschützter Formen


Die Seite Verbraucherschutz.de hat die Zusammenarbeit mit Voga schon vor geraumer Zeit eingestellt. Die Klagen über die Schwierigkeiten mit den Bestellungen sind in den vergangenen Wochen lauter geworden. Kunden, die vor Jahren noch problemlos die Möbel in der Optik der lizensierten Originale bestellt hatten, ziehen nun Konsequenzen und wollen nicht wieder dort ordern.

Für Eckart Maise, Chief Design Officer des Unternehmens Vitra ist die neue Gesetzeslage in Großbritannien natürlich eine erfreuliche Angelegenheit. Der kolportierte Schaden für Vitra durch Repliken sei allerdings lange nicht so hoch, wie es heißt: „Ziehen Sie auf jeden Fall mal zwei Nullen von den angeblichen 250 Millionen Euro ab“, sagt Maise. Dennoch sei es wichtig, dass ikonische Möbel und Leuchten ebenso durch Urheberrecht geschützt sind wie andere Kunstwerke, also 70 Jahre über den Tod des betreffenden Autors hinaus. „Wir zahlen an die Nachfahren, wie der Eames-Familie, Lizenzgebühren, das die Eames Foundation nutzt, um unter anderem das Haus der Eames in Los Angeles zu pflegen, das jeder Interessierte besuchen kann“, sagt Maise.

Urheberrecht

Die Vertreiber von nicht lizensierten, meist aus China stammenden Kopien nutzten Großbritannien bisher als Schlupfloch für den europäischen Markt. Allerdings sind nicht alle Möbelstücke urheberrechtlich geschützt, sondern nur solche, die als „work of artistic craftsmanship“ qualifizieren. „Welches Stück diese Voraussetzungen erfüllt, muss im Einzelfall geprüft werden“, sagt Maise.

Für die Kunden, die in der Vergangenheit Kopien daheim auspackten, besteht kein Grund zu Sorge. Der Besitz und Kauf von diesen Produkten ist nicht illegal. Auch legen die Unternehmen mit Lizenzen keinen Wert darauf, den Besitz zu ahnden.

Die skrupellosesten Fälschungen des Jahres
LED-Taschenlampe Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Porzellan-Engel Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Küchenschneidegeräte Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Käsereibe und Küchenmesser Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Spiralschneider „SPIRELLI“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Polstermöbelsystem „Conseta“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Parfums „Jean Paul Gaultier Classique“ und „Jean Paul Gaultier Le Male“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.

Das heißt nicht, dass es nicht zu Problemen zwischen Besitzer einer Replik und Hersteller der lizensierten Originale kommen kann. Viele Käufer machen sich gar nicht richtig klar, was genau sie dort gekauft haben und nehmen an, es handele sich um günstige Versionen und Schnäppchen. Spätestens aber, wenn ein Möbelstück einen Defekt aufweist und der Besitzer sich zum Beispiel an Vitra wendet, ist die Not groß. Zwar wird das Möbelstück nicht konfisziert, aber auch nicht repariert.

Wer dieser Tage über die Webseite Voga bestellt, kommt mit etwas Pech gar nicht in die Verlegenheit seine Bestellung je zu besitzen, geschweige denn zu reklamieren. Laut den aktuellen Terms & Conditions hat der Käufer lediglich drei Wochen Zeit seinen Kauf in Kildare abzuholen. Danach behält sich Voga vor, die Ware anderweitig zu veräußern, zu spenden oder zu zerstören.

Wem das nach der Bestellung doch zu riskant ist, hat zwar die Möglichkeit zu stornieren. Aber nur 72 Stunden. Und abzüglich 20 Prozent Bearbeitungsgebühr. Dann doch vielleicht lieber erst eine unverbindliche Reise in die Toskana. Zum Möbelschauen.

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