Möbelpiraterie Das Geschäft mit kopierten Designermöbeln

Dreiste Fälscher sorgen für Ärger in der Möbelindustrie. Das weiß der schweizerische Hersteller Vitra nur zu gut – jährlich gibt er Summen im sechs- bis siebenstelligen Bereich im Kampf gegen Produktpiraterie aus.

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So ähneln sich die Möbel der beiden Hersteller
Eames Plastic Side Chair DSR Quelle: Vitra, Screenshot:voga.com
Eames Plastic Side Chair DSW Quelle: Vitra, Screenshot:voga.com
Eames Plastic Armchair DAR Quelle: Vitra, Screenshot:voga.com
Lounge Chair & Ottoman Quelle: Vitra, Screenshot:voga.com

Sie könnten eineiige Zwillinge sein: Auf den ersten Blick sehen die beiden blaugrünen Stühle identisch aus. Die gleiche Konstruktion. Die gleiche Farbe. Doch beim Blick auf den Preis wird der Unterschied deutlich. Das schweizerische Unternehmen Vitra bietet seinen Designerstuhl nach Charles & Ray Eames für 246 Euro an, Konkurrent Voga verlangt für den DSR-Stuhl nur 79 Euro.

Voga feiert Jubiläum – und wirbt mit 87 Prozent Rabatt auf seine Produkte. Dazu gibt es fünf Jahre Garantie, Gratis-Materialproben und Gratis-Rückversand. „Voga wurde gegründet, um tolles Design für jeden zugänglich zu machen“, wirbt der Möbelvertreiber auf seiner Internetseite.

Herkunftsländer von Plagiaten in Europa

Die Crux: „Die Möbel sind eine dreiste Fälschung“, warnt Rechtsanwalt Michael Ritscher. Seit zwei Jahren vertritt er Vitra juristisch gegen Voga und fährt schwere Geschütze auf. „Das ist organisierte Kriminalität und genauso schlimm wie Drogenhandel und Geldwäscherei.“

Design-Raub ist keine Seltenheit: Im Jahr 2014 haben die europäischen Zolldienststellen Waren im Wert von fast 140 Millionen Euro beschlagnahmt, weil sie ein Erzeugnis der Marken- und Produktpiraterie waren. Wie hoch der Schaden allein in der Möbelbranche ist, bleibt unklar. Der Zoll erfasst sie in seiner Statistik nicht explizit. Volker Bartels, Vorsitzender des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie, beobachtet, dass die Aufgriffe von gefälschten Produkten mit jedem weiteren Jahr zunehmen. Während 2013 noch fast vier Millionen Produkte beschlagnahmt wurden, waren es ein Jahr später zwei Millionen mehr.

Urheberrecht

Auch Vitra bemerkt, dass die Fälschungen zunehmen. Der Möbelhersteller hat die Lizenz, um die Möbel des Designerpaares Charles & Ray Eames herzustellen – Voga nach Aussage von Vitra nicht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Möbelhersteller mit Sitz in England, weil der die Möbel weltweit vertreibt. Laut Vitra wurden gegen Voga allein in Deutschland vier Strafverfahren eingeleitet. Auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online bestätigte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, dass es derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen Voga gibt.

Voga hat sich zu den Vorwürfen auf unsere Anfrage nicht geäußert. Das Unternehmen war selbst zu den angegebenen Geschäftszeiten nicht per Telefon zu erreichen. Auf eine E-Mail, in der unsere Onlineredaktion das Unternehmen aufgefordert hat, sich zu dem Rechtsstreit und Produktionsprozessen zu äußern, kam lediglich eine automatisierte Antwort mit dem Hinweis, dass es bei der Bearbeitung der E-Mails derzeit zu längeren Wartezeiten kommt. „Die Hintermänner des Unternehmens sind schwer zu fassen. Mehrere Staatsanwaltschaften in Europa ermitteln gegen sie. Nach Informationen von Vitra sitzen sie in Nordeuropa, lassen in China produzieren und ihr Briefkasten hängt in England“, sagt Ritscher.

Die skrupellosesten Fälschungen des Jahres
LED-Taschenlampe Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Porzellan-Engel Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Küchenschneidegeräte Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Käsereibe und Küchenmesser Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Spiralschneider „SPIRELLI“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Polstermöbelsystem „Conseta“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.
Parfums „Jean Paul Gaultier Classique“ und „Jean Paul Gaultier Le Male“ Quelle: Aktion Plagiarius e.V.

Das ist clever. Denn zumindest in England kann sich Voga eines juristischen Tricks bedienen: Dort gilt – anders als in den meisten anderen europäischen Staaten wie Deutschland – das Urheberrecht nur 25 Jahre nach dem Tod des Schöpfers. Ab Mitte 2016 soll auch in England das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod andauern. Weil Voga seine Möbel aber über die Grenzen von England hinaus vertreibt, könnte das Unternehmen das Urheberrecht in der Mehrheit der Länder verletzen.

Fälscher mögen Designs aus den Dreißigern bis Siebzigern

Das britische Unternehmen Voga soll nur eines von vielen sein, das sich gerne an den Designs der Möbelmarke Vitra bedient. Beträge im sechs- bis siebenstelligen Bereich gibt Vitra jährlich aus, um rechtlich gegen Fälscher vorzugehen. „Viel gravierender als die Summe ist aber der Schaden, der dem Unternehmen und letztlich auch der europäischen Wirtschaft und Kultur durch die Fälschungen entsteht“, sagt Eckart Maise, Chefdesigner bei Vitra.

Fälscher haben immer ganz bestimmte Möbel im Visier: „Vor allem auf die urheberrechtlich geschützten Designs sehen es die meisten Fälscher ab“, sagt Ursula Geismann, Sprecherin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. Das seien vor allem die Designs der Möbelklassiker aus den Dreißigern bis Siebzigern. Sie liegen besonders im Trend. Dementsprechend hoch sei die Nachfrage nach diesen Möbelstücken – und das Geschäft lukrativ für die Fälscher.

Die Produktpiraterie aus Verbrauchersicht

Der Kunde freut sich häufig nur im ersten Moment über sein vermeintliches Schnäppchen. „Ein Duplikat ist reine Augenwischerei“, warnt zumindest Vitra-Chefdesigner Eckart Maise. Das Internet sei das ideale Medium, um Plagiate zu vertreiben – schließlich kommt es bei der Fälschung nur auf die Optik an. Wenn das Möbel zu Hause angekommen ist, kommt beim genaueren Hinsehen das böse Erwachen. „Wir arbeiten drei bis vier Jahre an dem Design eines Möbels. Das ist nicht so einfach zu kopieren“, sagt Maise. Beim Möbelstück komme es nicht nur auf die Optik an, sondern ebenso auf Sicherheit, Material und Produktdetails an.

So wehren sich Unternehmen gegen Produktpiraten

So gering wie der Preis ist oft auch die Qualität. „Die meisten nachgemachten Möbel, vor allem aus China, durchlaufen keine Sicherheitsprüfungen“, sagt Jochen Winning, Geschäftsführer der Deutschen Gütegemeinschaft Möbel, die jährlich die Einrichtungsgegenstände von 80 deutschen Herstellern zertifiziert. Deshalb sollten Verbraucher aufmerksam werden, wenn das Möbelstück nicht zertifiziert ist. „Die bekanntesten Siegel sind Geprüfte Sicherheit, Blauer Engel und das Goldene M“, sagt Winning. Sie garantieren, dass die Möbel sicher sind und keine schädlichen Stoffe enthalten.

Auch wenn Verbraucher sich bewusst gegen die Sicherheit und für ein gefälschtes Stück entscheiden, machen sie sich nicht strafbar – allerdings könnten dies die Lieferanten, welche die Möbel importieren. „Indem sie die Möbel in Deutschland einführen, verletzen die Spediteure das deutsche Urheberrecht“, sagt Rechtsanwalt Georg Jacobs, der auf Marken- und Kennzeichenrecht spezialisiert ist. Wenn es deutliche Anhaltspunkte dafür gebe, dass urheberrechtlich geschützte Möbel transportiert werden, sei es die Pflicht des Lieferanten, sich selbst darüber zu informieren – und nicht blind auf pauschale Aussagen des Auftraggebers zu vertrauen. Andernfalls drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe.

Vor allem zukünftig wird es für die Lieferanten wichtiger werden, zu wissen, welche Produkte sie importieren. Der Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie schult die Zollbeamten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen. Sie erklären den Beamten die genauen Produktdetails und mit welchen Spediteuren sie kooperieren. So sollen die Zollbeamten sensibilisiert werden für gefälschte Waren – und im Zweifelsfall Lieferanten an der Einfuhr illegaler Produkte hindern.

Die Spediteure von Voga hat Vitra bereits ausfindig gemacht – über den Internetauftritt des Möbelanbieters und Testbestellungen. Das Unternehmen will auch gegen die Spediteure juristisch vorgehen. Wann das Verfahren gegen Voga zu einem Ende kommen wird, ist noch ungewiss. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt Mitte Dezember ihre Ermittlungen fort.

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