München, Frankfurt, Berlin Können Touristen den deutschen Handel retten?

Touristen sind für deutsche Einzelhändler eine wichtige Einnahmequelle. Doch die Kundschaft aus aller Welt will umworben und umsorgt werden. Ein hübscher Laden in guter Lage reicht häufig nicht aus, um sie anzulocken.

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In Zeiten des boomenden Onlinehandels in Deutschland werden Touristen zu einer immer wichtigeren Stütze für den stationären Handel in den Großstädten. Quelle: dpa

München/Frankfurt Sie kommen von weither und wissen oft sehr genau, was sie wollen: In Zeiten des boomenden Onlinehandels in Deutschland werden Touristen zu einer immer wichtigeren Stütze für den stationären Handel in den Großstädten. Juweliere und Schuhgeschäfte, Feinkostläden, Parfümerien und andere Anbieter profitieren seit vielen Jahren von den Gästen aus den USA, Russland, Japan, China und anderen Ländern. Aber können sie helfen, das Ladensterben in den Städten abseits der absoluten Top-Lagen aufzuhalten?

Für München hat der Handelsverband Bayern jetzt erstmals das Einkaufsverhalten chinesischer Touristen in einer Studie untersucht. Teilgenommen haben zwar lediglich 153 Chinesen, doch die Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Händler, wie Verbandssprecher Bernd Ohlmann sagt. 513 Euro geben die Gäste aus dem Reich der Mitte demnach pro Tag in der Isar-Metropole aus und haben den in München stark vertretenen arabischen Shopping-Touristen (367 Euro) damit den Rang abgelaufen.

Dabei haben es die Gäste aus China nicht einmal nur auf Luxusgüter abgesehen, sondern sie decken sich auch in mittelpreisigen Geschäften und Kaufhäusern ein. Ganz oben auf ihrem Einkaufszettel dabei: Lebensmittel, Bekleidung und Kosmetik, aber auch Schuhe, Uhren und Schmuck, wie die Studie ergab.

Zugleich zeigt die Befragung, dass chinesische Touristen sich nicht etwa erst beim Blick in die Schaufenster und Auslagen zum Kauf animieren lassen, sondern meist schon vorab wissen, was sie haben wollen, und genau planen, welche Geschäfte sie besuchen. Vier davon suchen die Chinesen im Schnitt an einem Einkaufstag auf, und zwar bevorzugt in der Münchner Innenstadt.

Ihre wichtigste Informationsquelle bei den Reisevorbereitungen ist dabei nicht mehr der klassische Reiseführer, sondern das Internet, sagt Ohlmann. Eine gute, möglichst mehrsprachige Präsenz im Netz, die allerdings bisher längst nicht jedes Unternehmen bietet, sei deshalb auch für den stationären Handel von entscheidender Bedeutung – zumal den chinesischen Besuchern laut Befragung vor allem Verständigungsprobleme zu schaffen machen.

Laden-Betreiber, die das Problem erkannt haben, helfen den Gästen aus aller Welt mittlerweile mit speziellen Shopping-Beratern beim Einkauf. Sie kennen sich nicht nur mit kulturellen Gepflogenheiten und möglichen Stolperfallen, sondern auch mit den Vorlieben der Touristen aus und fungieren als Mittler zwischen dem Verkaufspersonal und den Kunden aus dem Ausland.


Frankfurter Flughafen als Vorbild

Der Frankfurter Flughafen etwa bietet chinesischen Reisenden solch einen kostenlosen Service seit 2012 an – und der wird rege angenommen, wie Günter Rupp vom Personaldienstleister Airport Staff sagt, der das Projekt im Auftrag des Flughafenbetreibers Fraport leitet. Seit dem Start hätten die neun Mitarbeiter, die am Flughafen im Einsatz sind, schon tausende chinesische Touristen betreut. Neben der Einkaufsberatung helfen sie beispielsweise auch bei Mehrwertsteuer-Rückerstattungen, bei Fragen zum Zoll und anderen Themen. Auch geführte Shoppingtouren für Touristen, die schon von den Reiseveranstaltern organisiert werden, sind durchaus üblich.

Doch der Tourismus ist auch ein sensibles Geschäft, das auf politische Entwicklungen und globale oder regionale Krisen oft unmittelbar reagiert: So dämpften die Terroranschläge in europäischen Metropolen wie Paris und Berlin sowie striktere Visaregeln für Chinesen nach einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company zuletzt die Konsumlust von Touristen in Europa. Auch nach München kamen 2016 etwas weniger chinesische Touristen – doch stieg die Zahl der Übernachtungen.

Hinzu kommt: Abseits der Touristenströme, die zu Sehenswürdigkeiten wie Schloss Neuschwanstein, Oktoberfest, Kölner Dom, Brandenburger Tor oder in die Heidelberger Altstadt führen, stößt das Geschäft mit den globalen Shoppern ohnehin schnell an seine Grenzen. „Das ist wirklich nur in den Zentren der Großstädte zu spüren“, sagt Ohlmann. In weniger zentralen Stadtteilen, aber auch in Mittel- und Kleinstädten müssen sich die Ladenbesitzer also etwas anderes einfallen lassen, um langfristig zu überleben – und da führt an einer guten Online-Strategie kein Weg vorbei, meint Ohlmann.

Auch Florian Huber von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ist überzeugt, dass der Einzelhandel in Sachen Netzpräsenz nachlegen und viel gezielter Kanäle nutzen sollte. „Damit das klappt, muss man in die vielbesprochene Datenanalyse einsteigen und dynamisch Inhalte und Channels anpassen“, sagt der Handels- und Konsumgüterexperte.

Weniger Sorgen müssen sich aus Sicht des Bain-Handelsexperten Serge Hoffmann die Anbieter von Luxusgütern machen. Nach seiner Einschätzung wird der Onlinehandel – abgesehen von wenigen Produktgruppen wie Büchern oder Musik – auch künftig nicht mehr als etwa 20 bis 30 Prozent Marktanteil am gesamten Handel erreichen – weil sich das Einkaufserlebnis vor Ort inklusive Beratung eben nicht vollständig ersetzen lasse. Deshalb dürften Ladengeschäfte auch künftig wichtiges Aushängeschild großer Luxushersteller bleiben. „Diese Geschäfte dienen in erster Linie als Markenbotschafter, die das Luxuserlebnis transportieren können“, sagt Hoffmann. Schließlich können die Kunden eine edle Ledertasche oder einen feinen Seidenstoff auch künftig nicht online anfassen und sich von der Qualität überzeugen.

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